Vienna Pride: Queere Migrantinnen und Migranten erzählen über ihr Leben in Österreich

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Vienna Pride: Queere Migrantinnen und Migranten erzählen über ihr Leben in Österreich

"Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, nimmt sie ihre Burka ab und gibt sich ihren Lastern hin."

Am Samstag findet in Wien die jährliche Regenbogenparade statt und wie jedes Jahr werden sich auch heuer wieder Menschen des gesamten Regenbogenspektrums mit Glitzer, Konfetti und Euphorie auf Wiens Straßen tummeln, um eine offene, solidarische und bunte Stadt zu feiern und zu fordern.

Wer dabei oft zu kurz kommt – nicht zuletzt, weil die sie vertretenden Vereine aus Geld- und Ressourcen-Gründen nicht mit einem eigenen Wagen präsent sein können –, sind Migrantinnen und Migranten, die gleich an mehreren Fronten um Toleranz und Anerkennung kämpfen. Deswegen haben wir beschlossen, ihre Geschichten über Migration, Outings und Homophobie hier zu erzählen.

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Duffy

Foto von der Autorin

Foto von Duffy

Bevor Duffy mit 14 nach Österreich kam, wusste sie gar nicht, dass es eine "queere Welt" gibt. Sie wusste ebenfalls nichts von Kategorien wie lesbisch, schwul oder heterosexuell, obwohl sie schon als Kind immer gesagt hatte, sie werde einmal "eine Frau heiraten". Im Kosovo, ihrem Herkunftsland, wurde sie aufgrund ihres Auftretens von den meisten Menschen wie ein Junge behandelt. Ihre Familie reagierte zwar immer wieder verwirrt auf Duffys burschikose Verhaltensweisen, machte sich aber keine Gedanken über ihre Sexualität. "Im Endeffekt hatten wir einfach keine Zeit und Energie, um uns mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Wir mussten überleben", erzählt Duffy im Gespräch mit VICE.

Als sie Anfang der 00er-Jahre schließlich in Linz landete, war Duffy lange Zeit mit anderen Migrantinnen und Migranten aus dem Kosovo und anderen Ländern unterwegs. "Die kulturellen Parallelen waren einfach verbindender als die Sexualität. In der österreichischen LGBTQ-Community habe ich nie wirklich Anschluss gefunden. Lesbisch zu sein alleine ist einfach zu wenig, um dazu zu gehören."

Gewissen Aspekten der Szene steht sie kritisch gegenüber. Auch der Regenbogenparade: "Ich habe ja nichts gegen feiern. Aber wir haben einmal im Jahr die Möglichkeit, eine große Bühne zu nützen, um unsere dringenden Anliegen mit der Welt da draußen zu teilen. Anstatt das zu machen, werden die Ressourcen aber in eine sexfokussierte, schräge Party gesteckt und damit genau das Bild reproduziert, das die Leute schon von uns haben. Ein bunter verrückter Haufen, der wie in einem Zoo begafft werden kann."

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"Ein bunter verrückter Haufen, der wie in einem Zoo begafft werden kann."

Die erste Zeit in Österreich war für Duffy nicht leicht: "Bei uns im Kosovo steht Gastfreundschaft ganz oben. Wenn du dort als Fremder ankommst, wirst du behandelt wie ein König. Jeder Zweite bietet dir was zu Essen an und will dir unsere Kultur näher bringen. Als ich dann nach Österreich kam war ich sehr enttäuscht, dass man mich und meine Kultur nicht schätzte."

Die Integrationsmaßnahmen empfand sie teilweise als "Brainwashing" und sagt: "Ich habe am Ende komplett vergessen, woher ich bin und was meine Geschichte ist." Gewalt gebe es auch in Österreich häufig, meint Duffy – auch wenn sie hier meistens psychischer Natur ist. "Die Leute lassen sich gegeneinander ausspielen und vom System krank machen."

Über schwarz-weiße Positionen hinwegzusehen – nicht mehr nur in Gut und Böse, wir und die Anderen, Inländer und Ausländer, LGBTGs und Heterosexuelle einzuteilen –, habe ihr geholfen, aus der Opferrolle zu kommen, sagt Duffy. Sie will ihre Energie künftig für konstruktive Dinge nützen und hat ein DJ- und Rap-Label für Frauen gegründet, das sich Femme DMC nennt. Denn es sei wichtig, dass Frauen "ein Platz für kreative Entfaltung" geboten wird.

Roberto

Foto von Roberto

Roberto wurde in einem kleinen "Kaff“ in der Steiermark geboren und ist der Sohn von einem syrisch-polnischen AkademikerInnenpaar, das in den 60ern nach Österreich gezogen war. "Ich bin in einem typisch österreichischen, ländlich-bäuerlichen Umfeld aufgewachsen. Ein Outing in diesem traditionell schwarz-blau eingefärbten Milieu wäre nicht vorstellbar gewesen", erzählt Roberto im Interview mit VICE. Also hatte er sechs Jahre lang eine Freundin, die allerdings wusste, dass Roberto schwul war.

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"Meine Freundin war sexuell sehr ausschweifend. Ich hab mich da eher zurückgehalten und war sehr 'jungfräulich' – bis ich dann eines Tages in Berlin im Sündenpfuhl gelandet bin. Da kam dann meine wahre 'schwule Identität' zum Vorschein, die danach schrie, ausgelebt zu werden."

Sein erstes Mal hatte Roberto schließlich mit einem Kenianer, der ihn auf eine afrikanische Familienfeier eingeladen hatte. "Ich wurde dort von der Schwester und der Mutter quasi an ihn weitergereicht. Seine Mutter hat sich zu uns ans Bett gesetzt, mir ein Kondom in die Hand gedrückt und gesagt: 'So mein Lieber – mein Sohn gehört jetzt dir.' Das war richtig krass."

"Bei mir wurde das alles unter den Perserteppich gekehrt."

Auch Sally, sein Neo-Lover musste dafür kämpfen, für das akzeptiert zu werden, was er ist. "Aber bei mir wurde das alles unter den Perserteppich gekehrt." Nie hätte Roberto es gewagt, mit seinen streng katholischen Eltern über seine Sexualität zu sprechen. Jahre später heiratete er trotzdem. Sein Vater erfuhr es via Facebook. Er war außer sich. Nicht in erster Linie aufgrund der Tatsache, dass Roberto schwul war, wie er meint; sein Vater habe nur nicht verstehen können, warum man diesen Umstand so transparent machen müsse. "Ich könne ja schließlich einfach eine Frau heiraten und meine Homosexualität heimlich ausleben, hat er zu mir gesagt."

Eine solche Vorgangsweise sei speziell im Kontext arabischer LGBTQ-Migrantinnen und -Migranten recht üblich, meint Roberto. So erzählt er etwa von einer Bekannten, die verheiratet werden soll und gezwungen sei, Burka zu tragen. Eigentlich sei sie aber lesbisch und würde mit Vorliebe Whiskey trinken und Zigarren rauchen. "Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, nimmt sie ihre Burka ab, und gibt sich ihren Lastern hin. Kehrt sie zurück zu ihrem Klan, streift sie sich ihre Verhüllung über und lebt ihr Schattendasein. So läuft das."

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Imad

Imad mit Asma al-Assad, der Frau des Syrischen Präsidenten. Foto von Imad

Imad arbeitete bis zum Kriegsbeginn in Syrien als Sozialarbeiter für eine regimenahe Flüchtlingsorganisation. "Mit der Politik der Regierung war ich früher noch einverstanden. Als die Proteste und der Krieg begonnen haben, habe ich aber das wahre Gesicht gesehen", erzählt er im Interview mit VICE. Über ein Outing machte er sich bis zu seiner Ankunft in Österreich nicht viele Gedanken. Andere Probleme hätten diese Thematik überschattet.

Als es von Seiten des Regimes gegenüber der Protestbewegungen zu immer mehr Ungerechtigkeiten kam, begann auch Imad – trotz seiner beruflichen Nähe zum Regime –, die Assad-Politik über die sozialen Medien anzuprangern. "Asma al-Assad wusste von meiner Einstellung zur Regierung, hat aber nichts gesagt." Doch der Geheimdienst habe ihm mit der Todesstrafe gedroht, sollte er seine Aktivitäten nicht einstellen: "Die haben gesagt, sie killen mich."


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Auch von Seiten der Regierungsgegner wurde Imad zunehmend bedrängt. Man hielt ihn für eine Art Doppelagenten, der für die Regierung Informationen abzwackte. Die Bedrängnis von beiden Seiten wurde ihm schließlich zu viel und er ließ seinen Freund, seine Familie und den Freundeskreis in Syrien zurück, um sich nach Deutschland aufzumachen – wo er nie landen sollte. Denn an der Grenze zu Ungarn wurde Imad von der Polizei angehalten und ins niederösterreichische Traiskirchen gebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich nicht viele Gedanken über seine Homosexualität gemacht.

Dennoch sei es für ihn ein ungeheures Freiheitsgefühl gewesen, sich in Österreich auf einmal ganz offiziell outen zu können. "Ich hab auf Facebook geschrieben: 'Ich bin schwul, ich bin queer, ich bin gegen euer System nananana!' Das war unglaublich befreiend", erzählt er und strahlt. Seiner Familie würde er trotzdem nie etwas von seinem echten Leben erzählen: "Die sind alt und wohnen in Syrien. Die würden das nicht verstehen."

Imad hat viele Monate in Flüchtlingslagern und Asylheimen in Dörfern verbracht. Als er endlich in Wien leben konnte, suchte er nicht den Kontakt zu seinen syrischen Landsleuten, sondern traf sich oft mit Menschen queerer Vereine. Das verhalt ihm zu seinem jetzigen Job: Imad arbeitet heute im Vorstand von Queerbase und will Menschen, die Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind, ein angenehmeres Leben ermöglichen.

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