Es war das erste Mal, dass Menschen nicht im Untergrund, sondern auf der Straße tanzten
Ich habe Motte kennengelernt und wir wurden ein Paar, das war 1988.Motte war DJ, führte einen eigenen Club und bekam deshalb auch regelmäßig neue Platten aus England geschickt. Dadurch habe ich mitbekommen, dass da etwas Neues rüberkommt, neue Musik, eine neue Stilrichtung. An einem Abend im Mai 1989, der Kalte Krieg war kurz vor dem Ende, die Mauer gerade am Fallen, hat Motte in einem Club aufgelegt. Man konnte dort nicht mal richtig stehen, musste gebückt auflegen, bekam Rückenschmerzen. Danach war man meistens komplett dreckig und erschöpft. Als Motte nach Hause kam, meinte er zu mir: "Ich habe eine Idee. Ich will, dass diese Musik rauskommt, dass sie an die frische Luft kommt und nicht immer nur im Underground vor sich hin staubt. Lass uns eine Parade machen. Wir müssen nicht nach Brasilien. Wir machen das einfach selber. Wir machen das mit unserer Musik."Wir fanden Paraden schon damals gut, wir wollten immer mal nach Rio de Janeiro. Für mich machte das sofort Sinn. Wir waren unglaublich kreativ zusammen, haben davor schon Events organisiert, DJ Battles oder Modeshows mit Kunst, Musik und Secondhand. Alles immer ohne Geld. In Berlin war ja damals sowieso kein Geld. Mein Zimmer in einer 600 Quadratmeter-Wohnung mit vier anderen Leuten hat 30 Mark Miete gekostet. Geld war damals relativ egal. Man hat zweimal die Woche in Cafés gearbeitet, und das hat gereicht.Mein Zimmer in einer 600 Quadratmeter-Wohnung mit vier anderen Leuten hat 30 Mark Miete gekostet.
Wir wollten endlich ans Licht, an die Sonne, wir wollten raus aus diesen dunklen Kellern.
Mit der Loveparade wollten Danielle und Motte eine positive Demo ins Leben rufen
Es waren erstmal mehr Polizisten dort als Teilnehmende. Als es dann nach vier wurde, meinte der Einsatzleiter irgendwann: "Wollen wir jetzt mal?"
Es blieb nicht bei einer Veranstaltung. Die Loveparade existierte bis 2010
Nach der Wende war Techno für Berlin genau die richtige Musik. Techno veränderte die herkömmlichen Musikstrukturen. Es gab keine Sänger mehr, alles wurde auf den Rhythmus reduziert. Die DJs und Produzenten der frühen 90er haben diese Musik selbst gemacht und selbst erfunden. Es war eine Musik, die ganz bewusst keine Heroes hatte. Damit konnten sich gerade die Ost-Kids identifizieren. Sie sind in einem System groß geworden, das gerade zusammengebrochen war. Die Techno-Kultur fing sie auf, holte sie ab. Dort konnten die Jugendlichen sich selbst verwirklichen, selbst produzieren, dekorieren, projizieren, organisieren, ohne viel Geld.Nach der Wende war Techno für Berlin genau die richtige Musik.
Die Begeisterung war riesig. Nach wenigen Jahren nahmen bereits über eine Million Menschen an der Loveparade teil
Ich habe dann an Paraden kein Interesse mehr gehabt. Ende der 90er hat ja plötzlich jeder eine Parade gemacht. Es gab die Sexparade, die Hateparade, die Fuckparade, die Schlagerparade, den Karneval der Kulturen sowieso und den wichtigen CSD, den es bis heute gibt und noch so viele mehr. Demos nehme ich ernst, aber wenn alles zu einer Parade wird, kann man dort zwar mittanzen und dabei sein, aber trotzdem mit dem ganzen System drum herum konform sein. Dann hilft es nichts, hat keine Aussage außer sich dem Hedonismus zu frönen. Es kommt ja eigentlich darauf an, wie man lebt, wenn man nach Hause kommt. Also habe ich mich mehr auf den Individualismus konzentriert.Motte hat bei der Loveparade weitergemacht und versucht, unseren Idealismus dort weiter spürbar zu machen. Als Vater der Loveparade sah er sich dazu in der Pflicht. Viel Geld verdient hat er damit nicht, auch wenn man das meinen würde. Aber ihm ging es bis ans Ende um unseren Grundgedanken: Friede, Freude, Eierkuchen.Folge Marleen auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.Ende der 90er hat ja plötzlich jeder eine Parade gemacht.