Klara und ihre Tochter Amelia
Klara und ihre Tochter Amelia | Foto: Bekky Lonsdale
schwangerschaft

Plötzlich Mutter: Diese Frauen hatten keine Ahnung, dass sie schwanger waren

Unbemerkte Schwangerschaften sind zwar extrem selten, dafür ist das Ganze umso traumatischer. Wir haben mit drei Frauen gesprochen, die es erlebt haben.
Nana Baah
London, GB

Es ist ein Sonntag, eine Woche vor ihrem 18. Geburtstag, als Beth ihrem Vater von furchtbaren Schmerzen erzählt. Seit Tagen plagen sie Bauchkrämpfe. Einmal ist sie deswegen sogar schon in der Schule zusammengebrochen. Trotzdem schiebt sie den ständigen Drang, aufs Klo zu gehen, auf einen gereizten Darm. Und schwanger kann sie ja auch nicht sein, immerhin war der Test ein paar Wochen zuvor negativ. Sex hatte sie seitdem auch nicht gehabt. Wenige Stunden später bringt Beth in der Notaufnahme ein Baby zur Welt: Maizie.

Anzeige

In den Monaten davor führte Beth ein ganz normales Teenager-Leben im englischen Nordwesten: Sie langweilte sich in ihrem Heimatkaff, lernte für die Schule, traf sich mit Jungs, arbeitete im Pub, machte Sport und hing mit ihren Freundinnen abends am Strand vor dem örtlichen Vergnügungspark ab.

Auf Fotos aus dieser Zeit sieht Beth ganz normal, ja sogar richtig schlank aus. Weder ein runder Bauch noch irgendwelche anderen Anzeichen deuten darauf hin, dass sie bereits im siebten Monat schwanger ist.

Photo supplied by interviewee

Auf dem linken Bild ist Beth im sechsten Monat schwanger, auf dem rechten Foto im siebten | Fotos: bereitgestellt von Beth

Beth hatte eine unbemerkte Schwangerschaft – eine, die in ihrem Fall nicht von handelsüblichen Schwangerschaftstest erkannt wurde, bei der ihr Bauch nicht anschwoll und auch die anderen Symptome nur minimal auftreten und deswegen schnell anderen Krankheiten zugeordnet werden. Wie aktuelle Studien zeigen, liegt die Wahrscheinlichkeit einer verdrängten Schwangerschaft bei 1:475. Und während manchen Frauen nach sieben oder acht Monaten bewusst wird, dass sie ein Kind bekommen, wissen andere – wie Beth – erst dann Bescheid, wenn das Kind auf die Welt kommt.

Unbemerkte Schwangerschaften können verschiedene Gründe haben: zwei Gebärmütter (das Baby wächst dann in der Gebärmutter heran, die sich näher an der Wirbelsäule befindet), ein gekrümmter Gebärmutterhals oder niedrige hCG-Werte (das Hormon, das während der Schwangerschaft produziert und von Tests registriert wird). Und welche Frau weiß schon ohne spezielle Voruntersuchungen, wie viele Gebärmütter sie hat. Die hCG-Werte kontrolliert man eigentlich nur, wenn man eh schon weiß, dass man schwanger ist.

Anzeige

Verdrängte Schwangerschaften sind in den Medien immer wieder Thema. Aber gerade die Berichterstattung in Boulevardblättern ist in erster Linie reißerisch und sorgt bei der Leserschaft für Unverständnis. Wie es den betroffenen Frauen während und nach einer verdrängten Schwangerschaft geht, wird kaum behandelt. Deswegen erzählen uns drei Mütter, wie es sich anfühlt, ganz unerwartet ein Kind auf die Welt zu bringen, wie sie mit der plötzlichen Mutterrolle zurechtkommen und mit den teils negativen Reaktionen umgehen.

Beth Martin and her child

Beth mit Maizie

"Wir sind in die Notaufnahme, weil ich zu bluten angefangen habe. Dort sagte mir die Schwester, dass ich schwanger sei und mein Kind gleich auf die Welt kommen werde", sagt Beth, während sie ihre Tochter Maizie, inzwischen sechs Monate alt, auf dem Knie wippt. Wie sich herausstellte, war Beths Muttermund schon neun Zentimeter geöffnet. Bei zehn Zentimetern beginnt man normalerweise zu pressen. Rund zwei Stunden später war Maizie auf der Welt. Hatte sie Angst? "Ich dachte eigentlich an gar nichts", sagt Beth. "Ich wollte vor allem keine Schmerzen mehr haben, wenn ich ehrlich bin."

Klara erlebte 2016 das Ende ihrer unbemerkten Schwangerschaft. Damals war sie 22 und wachte am Morgen des ersten Arbeitstags ihres neuen Jobs mit schlimmen, periodenähnlichen Krämpfen auf. Sie hörte auf den Rat ihrer Mutter, schmiss sich Schmerztabletten ein und ging zur Arbeit. Als die Schmerzen schließlich zu schlimm wurden, machte sie früher Feierabend und ging nach Hause. Wenige Stunde später brachte sie ihre Tochter Amelia zur Welt. Auf der Toilette.

Anzeige

"Ich saß dort und mein Körper ging einfach von selbst nach oben", sagt Klara und demonstriert die Bewegung mit einer Kniebeuge vor dem Sofa. Anfangs dachte sie, eine Fehlgeburt zu haben. "Aber wenn es eine Fehlgeburt gewesen wäre, hätte ich im neunten Monat schwanger sein müssen. Das war das letzte Mal, dass ich mit jemandem geschlafen hatte." Durch Klaras Schreie aufgeschreckt, kam ein Nachbar zur Hilfe und rief einen Krankenwagen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. "Ich konnte Amelia gerade noch auffangen, bevor sie in die Toilette gefallen ist", sagt Klara.

Klara and her daughter

Klara mit ihrer Tochter Amelia

"Vier Notärzte schauten in mein winziges Badezimmer", so Klara weiter. "Zum Glück war eine von ihnen sehr einfühlsam und hat mich einfach nur gehalten, während ich geweint und geweint habe. Es ist alles so verschwommen. Es war einfach so ein aufreibender Moment. Mir wurde klar, dass sich mein ganzes Leben ändern würde. Ich konnte nur daran denken, was meine Mutter wohl sagen würde, wenn sie nach Hause kommt und dieses Blutbad im Badezimmer vorfindet." Eine Sanitäterin machte dann ein bisschen sauber.

Viele wundern sich, wie eine Frau monatelang nicht bemerken kann, dass sie schwanger ist. "Manchmal laufe ich zu Hause nackt rum, aber meine Mutter hat mir nichts angesehen. Sie war also richtig schockiert", sagt Beth. Auch Klaras Körper veränderte sich während der Schwangerschaft kaum. "Ich wog sieben Kilo weniger als jetzt", sagt sie. Perioden seien für sie kein Indikator gewesen, denn sie habe zu dem Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr lang mit einer Kombi-Pille verhütet, von der die Monatsblutung ausblieb.

Anzeige
Klara before and after she gave birth (photo supplied by interviewee)

Links: Klara ist im siebten Monat schwanger | Rechts: Klara drei Tage nach der Geburt ihrer Tochter Amelia | Fotos bereitgestellt von Klara

Auch Lily nahm die Anti-Baby-Pille, als man bei ihr mit 18 eine bis dahin unbemerkte Schwangerschaft feststellte. Von ihrem inzwischen einjährigen Sohn Archie erfuhr sie etwa zwei Monate vor dem Geburtstermin. Damals lebte sie mit ihrem Freund und dessen Familie zusammen, arbeitete 50-Stunden-Wochen als Restaurantmanagerin und Kellnerin. "Die Leute sagten, ich sei runder geworden, und dass meine Haut strahle", sagt sie. "Aber ich hatte auch viel gegessen und überall gleichmäßig zugenommen. Da war kein Babybauch oder so." Sie habe zwei Schwangerschaftstests gemacht, doch beide seien negativ gewesen. Damit war der Grund für die Extrapfunde für Lily klar: Es war wohl nur das viele Essen.

Als sie aber ein paar Monate darauf die ersten Tritte spürte, machte sie einen dritten Schwangerschaftstest. "Der war positiv, also brachte man mich schnell zum Ultraschall ins Krankenhaus." Diagnose: schwanger in der 30. Woche.

Abgesehen davon, dass die Frauen mit wenig bis gar keiner Vorwarnung ein Baby zur Welt bringen mussten, hatten sie während der Schwangerschaft keinen Zugang zu Mutterschaftsvorsorge – keine Untersuchungen, keine Geburtsvorbereitungskurse. Zum Glück kamen alle drei Babys ohne Komplikationen und rundum gesund zur Welt. Trotzdem hatten Beth, Klara und Lily Angst, dass ihre Unwissenheit dem Kind geschadet haben könnte. "Ich trank, ich rauchte gelegentlich und arbeitete in einer Bar, Herrgott noch mal", sagt Klara. "Ich arbeitete 12-Stunden-Schichten und trug dauernd Fässer durch die Gegend – im achten Monat." Vor Archies Geburt hatte Lily regelmäßig Albträume, in denen es um die Gesundheit des Babys ging. "Ich dachte, wenn er mit einer Behinderung zur Welt kommt, ist es allein meine Schuld", sagt sie. "Natürlich hörte ich sofort mit Alkohol und Drogen auf, als ich von ihm erfuhr."

Anzeige
Beth and her daughter, Maizie

Beth und Maizie

Wer schon mal eine langanhaltende Migräne oder einen verschleppten Husten hatte, kennt das Phänomen sicher: Man geht nicht zum Arzt, weil man davon ausgeht, dass die Symptome sicher wieder verschwunden sind, bis der Termin stattfindet. Klara sagt, sie hätte angesichts ihrer Symptome zum Arzt gehen sollen, allerdings habe sie zu viel Angst gehabt. "Zwei Wochen vorher war die obere Hälfte meines Bauchs sehr hart, ich hatte keine Ahnung, was da los war", sagt sie. "Das hätte ich untersuchen lassen sollen, aber ich war jung und dumm und steckte den Kopf in den Sand."

Lily ging mit ihren Unterleibskrämpfen auch nicht zur Ärztin. "Ich erzählte meiner Freundin, wie ich mich fühlte, und sie sagte: 'So geht es mir auch.' Weil wir die gleiche Pille nahmen, hielt ich es für eine normale Nebenwirkung." Ärzte und Ärztinnen nehmen außerdem Frauen nachweislich weniger ernst als Männer, wenn sie angeben, Schmerzen zu haben. Viele Frauen haben bereits Erfahrungen damit, dass medizinisches Personal sie nicht für voll nimmt. Das kann Frauen widerwillig machen, mit vagen Symptomen überhaupt zum Arzt zu gehen.

Außerdem glaubt man Frauen oft nicht, dass ihre Schwangerschaft tatsächlich eine unbemerkte war. Beth geht davon aus, dass die Sozialarbeiter im Krankenhaus aufgrund ihres Alters an ihrer Geschichte zweifelten. Sie urteilten, Beth habe von ihrer Schwangerschaft gewusst und sie schlicht vor allen verborgen. Deshalb schrieben sie Beth fünf Tage stationären Aufenthalt in der Klinik vor, in dieser Zeit nahmen sie die werdende Mutter und ihr Zuhause in Augenschein. "Die Sozialarbeiterin sagte: 'Wenn die Schwangerschaft nur eine Woche weniger fortgeschritten wäre, hätten Sie direkt wieder weggedurft'", sagt Beth. "Das hat mich verletzt, weil es klang, als hätten sie mich 'erwischt'." Bald kursierten an Beths Uni Gerüchte über ihr Baby: Sie habe das Kind adoptiert, oder es sei ein Kind von Beths Vater und damit eigentlich Beths Schwester. "Auch an der Uni behaupteten manche, ich hätte davon gewusst und es versteckt. Aber ich bin kein böser Mensch – ich würde nie bewusst ein Baby gefährden."

Anzeige
Klara's daughter

Amelia ist heute drei Jahre alt

Als das britische Boulevardblatt Daily Mail Klaras Geschichte veröffentlichte, schickten ihr Leser gehässige Nachrichten: Sie sei dumm, weil sie nichts von der Schwangerschaft gemerkt habe. "Ich hatte überhaupt keine Erfahrung", sagt sie. "Also erzählte ich einfach und dachte nicht daran, wie der Autor das alles hinstellen würde."

Alle drei Frauen zeigen sich überrascht, wie gut ihnen das Mutterdasein gelingt, obwohl sie sich vorher kein Kind gewünscht hatten – und sich mit Verhütung davor schützen wollten. Während unseres Gesprächs trocknen sie Tränen, wischen Sabber weg und füttern die Kinder. Sie alle sagen, sie hätten sich anders verhalten, hätten sie von ihrer Schwangerschaft gewusst. "Ehrlich gesagt hätte ich abgetrieben", sagt Beth. "Aber im Nachhinein kann ich mir das nicht mehr vorstellen."


VICE-Video: Der Babyschmuggel in Bulgarien und Griechenland


Ihre Ärztinnen und Ärzte haben ihnen versichert, dass eine weitere unbemerkte Schwangerschaft unwahrscheinlich sei. Trotzdem haben sie teils Angst davor, wieder Sex zu haben. "Ich bin paranoid geworden, was Sex angeht", sagt Beth. "Nicht, dass ich es nicht mehr tun würde, aber ich würde vorher gut überlegen." Lily sagt: "Man kann alle Vorsichtsmaßnahmen einhalten und es kann trotzdem passieren. Das hat meine Perspektive auf Sex verändert." Lily glaubt, sie habe von der Erfahrung eine posttraumatische Belastungsstörung.

Beth ist alleinerziehend, Maizies Vater hat sich dafür entschieden, am Leben seines Kindes nicht teilzunehmen. Doch Beths Freunde und ihre Familie, allen voran ihr Vater, unterstützen sie tatkräftig. "Wir sind einfach alle glücklich", sagt Beth und lächelt Maizie an, während sie ihr Kinn streichelt. "Alle lieben dich, nicht wahr?"

Zwar hat Lily mit Angstgefühlen und postnatalen Depressionen zu kämpfen, aber sie blickt zuversichtlich in die Zukunft. "Im Moment bin ich vollkommen happy mit Archie, aber später möchte ich mehr Kinder haben", sagt sie. Klara findet, ihre Mutterschaft kam genau zum richtigen Zeitpunkt. "Vor Amelias Geburt trieb ich einfach so durchs Leben und hatte keinen richtigen Plan." Sie habe sich gefragt, was aus ihr werden sollte. "Ich hatte ein abgeschlossenes Jurastudium, aber fing damit nichts an. Jetzt habe ich meine Berufung gefunden."

Auch Beth findet, dass Maizie ihrem Leben eine neue, positive Richtung gegeben hat. "Viele Leute fragen mich, ob ich traurig bin, weil ich mein Leben nicht mehr leben kann", sagt sie. "Dabei lebe ich es doch." Im September will sie ihr Studium fortsetzen und kommendes Jahr dann noch Sport und öffentliche Verwaltung studieren, bevor sie sich beim Grenzschutz bewirbt. "Wenn überhaupt hat Maizie das Leben von allen besser gemacht."

Beth and her daughter Maizie

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.