Es ist jetzt über fünf Jahre her, dass ich das erste Mal eine Zigarette in die Hand nahm. Es war auf einer Party und ich war umgeben von Menschen, die kraft ihres Rauchens viel cooler schienen als ich. Fest entschlossen, mich in meinem neuen sozialen Umfeld und meiner neuen Stadt einzuleben, fing ich an, erst in Gesellschaft und dann relativ bald auch regelmäßig alleine zu rauchen.
In all den Jahren habe ich Dutzende Male immer wieder damit aufgehört—ohne Erfolg. Wie bei jeder anderen Sucht ist auch diese hier ein ganz persönlicher Kampf. Wenn du süchtig bist, dann können noch so viele Freunde versuchen, dir ein schlechtes Gewissen einzureden, kannst du noch so viele wohlmeinende und belehrende Gespräche mit deinen Eltern führen, können noch so viele Partnerinnen versuchen, dich zu etwas zu überreden, für das du einfach noch nicht bereit bist—es hilft alles nichts. Ja, ich bin mir bewusst, dass Zigaretten nicht gut sind. Und obwohl ich genau weiß, warum sie so schlecht sind, rauche ich sie einfach verdammt gerne.
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Und das brachte mich auch in die Situation, in der ich mich heute befinde. Nachdem ich jetzt so lange versucht habe, damit aufzuhören, nur um immer wieder zwischen kurzen Pausen und von Schuldgefühlen geplagten Neuanfängen hin und her zu eiern, habe ich für mich einen „gesunden” Mittelweg gefunden: meinen persönlichen „Happy Place”, wo ich gelegentlich auch mal eine rauchen darf—also wirklich gelegentlich.
Alles begann vor ein paar Monaten, als ich mal wieder mit dem Rauchen aufgehört hatte, weil ich mich für meine 24 Jahre grenzwertig unfit fühlte. Ich wusste, dass 2015 alles anders werden sollte, und ich wollte für die Änderung meines Lebenswandels nicht erst bis zu meinem guten Vorsatz fürs neue Jahr warten. Also meldete ich mich in einem Fitnessstudio an, stellte meine Ernährung um und fing an, fünfmal die Woche Sport zu machen.
Seit November bin ich jetzt dabei, habe ein paar Pfunde verloren und (was am wichtigsten ist) fühle mich jetzt wohler in meinem Körper. Zum Teil liegt das auch daran, dass ich, nachdem ich meine neuen Gewohnheiten einen Monat lang durchgezogen hatte, zu dem Schluss kam, dass es mir jetzt so gut geht, dass ich es mit meiner Zigarettenabstinenz womöglich gar nicht so übertreiben muss. Vielleicht konnte ich ja zu diesem Typen werden, der bei der Arbeit immer eine Schachtel rumfliegen hat und hier und da mal eine raucht.
Überraschenderweise funktionierte das ziemlich gut. Ich ging weiter ins Fitnessstudio und achtete darauf, mich vernünftig zu ernähren und genügend Schlaf zu bekommen, während ich zwischendurch immer mal wieder Zeit für eine Zigarette fand. Ich balancierte das Gute tagtäglich mit dem Schlechten aus und schaffte dabei das Unmögliche: Ich trickste das System aus und lebte gesund, ohne wirklich gesund zu leben. Die Gegensätze schaukelten sich auch gegenseitig hoch: Wenn ich besonders fleißig trainiert hatte, wartete danach auch automatisch eine schöne Zigarette auf mich—und hatte ich an einem Tag besonders viel geraucht, dann wurde mein Mittagessen dafür eben um so gesünder.
Mit einem Engelchen auf der einen und einem Teufelchen auf der anderen Schulter hatte ich das Gefühl, die universelle Balance gefunden zu haben. Vielleicht muss man ja gar nicht komplett damit aufhören. Vielleicht kann man gesund leben und dabei regelmäßig rauchen. Ich wollte es allerdings genau wissen und fing deshalb an, Nachforschungen anzustellen.
„Es ist zuerst einmal wichtig, was man überhaupt unter einem ‚gesunden Lebensstil’ versteht”, sagte mir Dr. Azure B. Thompson, die stellvertretende Direktorin für Strategie und Forschung am CASA-Columbia-Suchtzentrum in New York. Thompson ist eine Expertin für die sozialen Faktoren des Drogenmissbrauchs. Auch wenn ein gesunder Lebensstil darüber definiert wird, gesund zu essen, Sport zu treiben und mit Stress vernünftig umzugehen, erzählte sie mir, dass „manche Menschen nur wenige dieser Aktivitäten durchziehen und dann trotzdem von sich sagen, einen ‚relativ gesunden Lebensstil’ zu führen.” „Durch regelmäßiges Zigarettenrauchen schützt man sich allerdings nicht gerade vor gesundheitlichen Schäden”, fuhr sie fort. Zu diesen Schäden gehören natürlich auch so schöne Sachen wie eine langfristige Lungenschädigung sowie ein erhöhtes Krebsrisiko, Herzkrankheiten, Atemwegserkrankungen und Schlaganfälle.
Wenn man gesund lebt und gleichzeitig raucht, gewährt man gefährlichen Stoffen Zugang zu seinem Körper. Aber es ist jetzt ja auch nicht so, dass ich eine ganze Schachtel am Tag rauche. Wenn ich schon Giftstoffe in mich reinlasse, dann stürmen sie nicht durch den Haupteingang. Sie schleichen sich eher durch das Fenster rein, das ich auf Kipp stehen habe. Theoretisch sollte es also für mich möglich sein, einfach so weiterzumachen wie bisher, so lange ich nicht in meine Gewohnheit von einer Schachtel pro Tag zurückfalle, oder?
„Ich halte das für einen gängigen Gedanken”, entgegnete mir Thompson. „Bei vielen ungesunden Dingen wie Junk-Food oder Alkohol wird uns gesagt, dass sie in Maßen OK sind. Es ist allerdings nicht möglich, die schädlichen Folgen von Zigaretten zu umgehen.”
Laut Thompson sollte ich für einen wirklich gesunden Lebensstil nicht einfach nur nicht rauchen, sondern mich dafür nicht einmal in die Nähe eines Ortes begeben, wo geraucht wird. „Jeglicher Tabakrauch ist schädlich”, versicherte sie mir. „Die Risiken beziehen sich dabei nicht nur auf starke oder langjährige Raucher.” Trotzdem ist ein Leben in einer komplett rauchfreien Umgebung ein unrealistisches Ideal: Wenn man zwischen 20 und 30 ist und gerne rausgeht, dann lässt es sich quasi nicht vermeiden, regelmäßig von rauchenden Mitmenschen umgeben zu sein. Dazu ist beim Leben in einer Großstadt das Einatmen von Passivrauch so gut wie unumgänglich.
Thompson gab mir hier die Antwort, die ich eigentlich schon erwartet hatte—natürlich sagt mir eine Suchtforscherin, dass ich keiner Sucht verfallen sollte! Ich musste mir also noch eine andere Meinung einholen und habe mich deswegen mit Jonathan Henry unterhalten, einem zertifizierten Personal Trainer. Tagsüber ist Henry in einem Kindergarten angestellt und weiß also, wie man sich mit weinenden Sechsjährigen einig wird. Nachts geht er jedoch keine Kompromisse mehr ein: Dann stellt er sicher, dass seine Kunden keine Dummheiten mehr mit ihren Körpern anstellen und schließlich langfristig gesund leben.
„Es ist nicht möglich, gesund zu leben und gleichzeitig zu rauchen”, meinte er umgehend zu mir, nachdem ich ihm die Frage gestellt hatte, ob ich ins Fitnessstudio gehen und nebenher rauchen könnte. „Das zu tun, wäre das genaue Gegenteil von einem gesunden Lebensstil”, fügte er noch klärend hinzu.
Ich sollte hier anmerken, dass mich Jonathan einmal trainiert hat. Damals war ich noch starker Raucher und als ich 100 Hampelmänner machen sollte, bin ich fast kollabiert. Vor den Hampelmännern habe ich mich noch wie ein normaler Mensch gefühlt und auch so ausgesehen. „Selbst wenn man dank eines guten Stoffwechsels einen fitten Eindruck macht, sich gesund ernährt und Sport treibt”, erzählte mir Henry, „schädigt das Rauchen trotzdem lebenswichtige Organe und genau das wird man auch irgendwann sehen können.”
Er fährt fort und meint zu mir, dass mein „gesunder” Lebensstil, meine Fitness-Routine und meine Ernährung letztendlich auf der Strecke bleiben würden, wenn ich nicht bald mit dem Rauchen aufhöre.
Trotzdem fühle ich mich eigentlich ganz gut! Ich ringe nicht mehr nach Atem, wenn ich ein paar Treppen hochgehe. Dieser qualvolle Husten—starke Raucher wissen, wovon ich hier rede—ist nicht mehr da. Und ich rieche auch nicht mehr so stark nach Rauch, dass meine Mutter entsetzt das Gesicht verzieht, wenn ich sie umarme. Alles ist gut.
Außerdem brauche ich manchmal einfach eine Zigarette, zum Beispiel wenn es auf der Arbeit nicht so gut läuft, wenn in meiner Beziehung Sand im Getriebe ist oder wenn ich mal wieder voller Sorge über das Älterwerden nachdenke—halt das ganze Zeug, das bei Leuten zwischen 20 und 30 so auf dem Tagesplan steht und das sich nach einer Zigarettenpause normalerweise wieder in Luft aufgelöst hat. Rauchen ist zwar definitiv keine Aktivität, die gesund für den Körper ist, aber vielleicht birgt das Ganze ja gewisse Vorteile für den psychischen Zustand. Das dürfte vor allem auf die Menschen zutreffen, die sich nur zum Stressabbau eine Zigarette anzünden. Um diese These bestätigen zu lassen, habe ich mich mit Margie Cohen, einer Psychotherapeutin aus Kalifornien, in Verbindung gesetzt. Ihre Ex-Frau war eine langjährige Raucherin, also sollte sie doch eigentlich wissen, wovon ich spreche.
„Es ist meine Aufgabe, die Entscheidungen meiner Patienten zu verstehen und zu respektieren”, sagte Cohen. „Gleichzeitig will ich ihnen aber auch dabei helfen, die Emotionen zu verstehen, die sie mit dem Rauchen verarbeiten, damit sie neue Wege erschließen können, mit diesen Gefühlen umzugehen.” Wenn man sich laut Cohen mit solchen Emotionen nicht auseinandersetzt, kann das einen Menschen davon abhalten, ein wirklich erfüllendes Leben zu führen.
Cohen meinte dazu noch, dass Nikotin zwar fälschlicherweise als Hilfe gegen Stress bezeichnet wird (wie jede andere süchtig machende Substanz eigentlich auch), in Wahrheit allerdings eher von den Problemen ablenkt, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind.
„Meiner Erfahrung nach wird das Rauchen für einen Menschen weniger verlockend, wenn man sich vor seinen Gefühlen und vorhergegangenen traumatischen Erfahrung nicht verschließt”, sagte Cohen.
Die Psychotherapeutin ist ganz klar auf Henrys und Thompsons Seite, wenn es darum geht, dass Rauchen ohne Zweifel negative Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit eines Menschen hat. Allerdings gibt Cohen auch zu, dass sie niemanden zum Aufhören (eine „selbstbestimmende Entscheidung, die einen auf dem Weg zur Erfüllung und zur Zufriedenheit nach vorne bringt”) zwingen würde, wenn diese Person noch nicht dazu bereit ist.
Wenn man mit dem Rauchen aufhört, nur um „dem gesellschaftlichen oder inneren Druck nachzugeben”, dann wird das laut Cohen „wahrscheinlich keine Entscheidung sein, die man erfolgreich durchziehen kann, und der Stress, die Schuldzuweisung, das Schamgefühl und das fehlende Selbstvertrauen könnten sich so nur noch weiter intensivieren.”
Zusammenfassend kann man sagen—und da sind sich auch die befragten Experten einig—, dass es nicht möglich ist, gesund zu leben, ohne gleichzeitig auch mit dem Rauchen aufzuhören. Aber eigentlich habe ich mir diesen neuen Lebensstil nur angeeignet, um etwas gegen die von Cohen erwähnten Stressgefühle und gegen das kaum vorhandene Selbstvertrauen zu machen. Und zum ersten Mal in meinem jungen Leben habe ich einen Mittelweg zwischen vorsichtig und unvernünftig gefunden, indem ich mich auf der einen Seite dazu zwinge, auf gewissen Dinge zu verzichten, aber mir auf der anderen Seite auf mal eine „Sünde” gönne. Genau deswegen werde ich vorerst weiter rauchen und mich dieser ungesunden Sucht hingeben—egal wie teuer mich das in der Zukunft mal zu stehen kommen könnte.