Leben ohne Schlaf: So wirst du zum Übermenschen
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Leben ohne Schlaf: So wirst du zum Übermenschen

Wie Menschen mit nur zwei Stunden Schlaf am Tag fitter und aktiver sind, als je zuvor

Stell dir vor, du hättest sechs Stunden mehr Zeit am Tag—was könntest du nicht alles machen: Tagsüber dir eine DIY Traummaschine oder ein Sofa aus Müll bauen und nachts die Bachelorarbeit schreiben oder endlich Elbisch lernen. Im Netz gibt es Blogs, die dir genau das versprechen: ein Leben, quasi ohne richtigen Schlaf. Powernaps von gerade mal 20 Minuten, die du alle vier Stunden machst. Und das so, dass du erholter und geistig aktiver bist, als hättest du acht Stunden unter deiner Daunendecke gelegen.

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Der Übermensch-Effekt:

Lino Coscia, 27, aus Deutschland, betreibt heute einen Onlineshop für Bogensportbedarf. Auf die Idee, einfach nicht mehr zu schlafen, kam er, als er mit Anfang 20 sein Geld mit Online-Poker verdiente. "Ich habe einen Powernap gemacht und danach gemerkt: Peng! Du bist ja total wach danach." Als er im Netz danach suchte, wie er mit weniger Schlaf auskommt, las Lino von der "Uberman"-Schlaftechnik. Dabei machen Leute im Vier-Stunden-Rhythmus kurze Powenaps von 20 Minuten Länge und schlafen insgesamt nur zwei Stunden am Tag.

"Ich habe mich langsam rangetastet mit dem 'Everyman'. Da musste ich dann nach drei Stunden Schlaf in der Nacht aufstehen und am Tag noch zwei Powernaps machen, aber es war einfach viel zu schwer, nachts aus dem Bett zu kommen." Deswegen ist er auf den "Uberman" umgestiegen und hat nur noch kurze Powernaps gemacht. "Ich war zwar die ersten Tage saumüde, aber dadurch bin ich bei jedem Powernap direkt eingeschlafen. Spätestens nach drei Wochen bist du viel fitter als bei normalen Schlafzeiten und du spürst keinerlei körperliche Mangelerscheinungen", sagt er.

Auch im Alltag ist Lino gut klargekommen: "Ich habe sogar LAN-Partys veranstaltet und bin dann halt mal für 20 Minuten verschwunden, wenn Schlafenszeit war. Nach einiger Zeit schläfst du überall in ein bis zwei Minuten ein, wenn du willst." Mit 22 Stunden Wachzeit am Tag blieb viel Zeit fürs Pokern. "Es gab eine Aktion, bei der derjenige, der die meisten Hände spielt, nach Las Vegas zur Poker-Weltmeisterschaft durfte und ich habe mir gesagt: Geil, ich habe ja Zeit."

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Lino gewann und fuhr nach sechs Monaten Uberman-Schlaf nach Las Vegas, danach wechselte er wieder in ein normales Schlafmuster. "Gerade bin ich aber wieder dabei, mich auf den 'Uberman' einzustellen." Er will Zeit haben für seinen Onlineshop. "Im Moment schlafe ich wieder drei Stunden in der Nacht und mache zwei Powernaps am Tag."

Lino an seinem Arbeitsplatz | Foto: Privat

Als Erwachsener brauchst du laut Schlafmedizinern im Schnitt rund sieben bis neun Stunden Schlaf, um gesund zu leben. Dieser Schlaf findet in der Regel am Stück und in der Nacht statt, wenn deine biologische Uhr dir das Signal gibt, müde zu werden. Das war aber nicht immer so: Als Kleinkind hast du in mehreren kurzen Phasen über den Tag hinweg geschlafen und auch im Seniorenalter wirst du wieder in einen ähnlichen Rhythmus verfallen. Dieses Phänomen nennen Wissenschaftler "polyphasischen Schlaf" und genau damit erreichen die "Ubermen" ihr Ziel: so wenig Schlaf wie möglich.

Wie funktioniert das?

"Schlaf ist ein rhythmischer Vorgang. Wir durchlaufen in einer Nacht mehrere Leicht- und Tiefschlafphasen, immer gefolgt von einer REM-Schlafphase [Rapid Eye Movement)", erklärt Oliver Janke, leitender Oberarzt der Neurologie im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. "Im REM-Schlaf träumen wir besonders stark und verarbeiten Informationen und Gedanken, die wir am Tag gesammelt haben. Diese Schlafphase ist daher besonders wichtig für die geistige Erholung, während Leicht- und Tiefschlafphase unseren Körper erholen."

In einer Nacht verbringst du ungefähr zwei Stunden in REM-Schlafphasen und den Rest der Zeit im Leicht- oder Tiefschlaf. Die Idee beim "Uberman"-Schlaf ist: Du reduzierst deine Leicht- und Tiefschlafphasen auf ein Minimum und gerätst bei deinen Nickerchen sehr schnell in die REM-Phase. So verarbeitest du alle vier Stunden direkt das Erlebte und kannst dir daher viel mehr merken und bist wacher.

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Paul Jerre hat den "Uberman" 2014 ausprobiert, als er gerade seine Masterarbeit geschrieben hat. "Du bist wacher, präsenter als sonst und fühlst dich ein bisschen wie Sherlock Holmes", sagt er. "Das Problem war einfach irgendwann die Langeweile, weil du in 22 Stunden echt viel Zeit hast, mit der du teilweise nichts anzufangen weißt. Die sozialverträglichste Schlafform ist es natürlich auch nicht, da du dich ja alle vier Stunden hinlegen musst und dann auf das Verständnis deiner Freunde oder deines Partnerin angewiesen bist. Ich hatte damals keine Freundin und dann ging das, aber heute wäre das nicht mehr möglich."

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Paul in der ersten Woche seines Experiments: "Am Anfang ist man dauermüde." | Foto: Privat

Ist das gesund?

Die eindeutige Antwort von Ingo Fietze, Oberarzt an der Charité: "Nein. Totaler Quatsch. Es gibt eine neue Definition der Amerikanischen Schlafakademie: Gesund leben können wir nur mit sieben bis acht Stunden Schlaf am Tag—ein Leben lang. Wie dieser polyphasische Uberman darauf kommen will, ist mir nicht ganz klar. Zudem ist der Tiefschlaf der eigentlich erholsame Schlaf für den Menschen, den kann man nicht einfach weglassen."

Oliver Janke vom Jüdischen Krankenhaus in Berlin sieht es ähnlich, hat aber zumindest eine Erklärung, wieso man bei dem 20-Minuten-Schlaf so schnell in die REM-Phase kommt: "Wir wissen, dass es einen REM-Rebound-Effekt gibt. Menschen, die längere Zeit vom normalen Schlaf abgehalten wurden, haben längere REM-Phasen, wenn sie wieder normal schlafen können. Sie holen sozusagen den REM-Schlaf nach." Für gesund hält er es allerdings auch nicht: "Dieser REM-Rebound-Effekt ist einfach eine Folge von Schlafentzug und der ist nie gesund."

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Oliver Janke in seinem Büro im Jüdischen Krankenhaus Berlin | Foto: Daniel Frevel

Paul und Lino konnten allerdings keine körperliche Beeinträchtigung feststellen. "Ich habe sogar Sport gemacht in der Zeit und hatte keine Probleme", sagt Lino, "nur ein bisschen kälteempfindlich war ich manchmal. Ich habe jetzt auch wieder mit polyphasischem Schlaf angefangen und bin nach wie vor begeistert."

Eine offizielle wissenschaftliche Erklärung gibt es für die Erfahrungen von Lino, Paul und vielen anderen Uberman-Schläfern also nicht. Sicherheit würde man auch nur durch eine medizinische Langzeitstudie erreichen. "Nur wer soll die bezahlen?", fragt Ingo Fietze von der Charité—schlechte Aussichten also für alle, die lieber auf Nummer sicher gehen.

Und jetzt Ausprobieren?

Wenn du so ein geiles Leben hast, dass du noch einige Stunden mehr am Tag brauchst, um es zu genießen, dann ist der Uberman sicherlich interessant für dich. Du musst nur alle vier Stunden einen Schlafplatz finden und einen sehr verständnisvollen Partner oder Chef haben. Außerdem solltest du dir bewusst sein, dass es keine gesicherten Erkenntnisse über die Langzeitfolgen gibt. Vielleicht reicht es dir auch schon mit einem Onlinetest, deinen biologischen Schlaftypus zu bestimmen und deinen Schlafrhythmus diesem Typus anzupassen. Das kann auch schon für einen wesentlich effektiveren Schlaf sorgen.