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Lebendigen Tintenfisch zu essen ist recht einfach

Als mir in Seoul im Restaurant Seon Soo Chon sannakji vorgesetzt wurde, musste ich erst einmal dieses graue, sich immer noch windende Etwas vor meinen Augen anstarren, um zu begreifen, was hier gerade passiert. Dieser kleine Tintenfisch wurde gerade aus einem Wasserbecken gefischt, bei lebendigem Leibe zerhackt, mit ein bisschen Sesam bestreut und uns dann serviert.

Wenn man darüber nachdenkt, eigentlich ein ziemlich krankes Szenario, aber so werden eben auch die meisten Tiere aus Massentierhaltung geschlachtet—nur dass wir die erst später essen.

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Ein Mittwochabend in der Nähe der Konkuk Universität. Alle Fotos von der Autorin

Ich bin aber nicht nach Seoul gefahren, um darüber zu diskutieren, ob es moralisch richtig ist, lebendigen Tintenfisch zu essen, sondern ich wollte die koreanische Alltagskultur erleben.

Im Fernseher lief gerade ein Baseballspiel. Sannakji sah aus wie ein umherwaberndes Seeungeheuer in kleine Würfel gehackt. Der rohe, tote Tintenfisch hat sich posthum umhergewunden, ähnlich wie ein Huhn, das noch weiterläuft, nachdem ihm der Kopf abgetrennt wurde.

liveoctopus_Sannakji - Goopy, grey, and difficult to photograph.

Sannakji: klebrig, grau und schwierig zu fotografieren

Ich versuchte es meinen Freunden gleich zu machen und die Tintenfischstückchen in Sesamöl zu tunken, aber es war schon schwer für mich, mit den dünnen Stäbchen aus Metall überhaupt den schleimigen Tintenfisch zu greifen zu bekommen. Weil ich es einfach nicht auf die Reihe bekam, hat mir mein Freund am Ende eine Zange geholt.

liveoctopus_The sannakji crew

Die Sannakji-Crew: JinSung Kim, TanHyu Kim und Thai Hyun Chung.

Und dann endlich konnte ich den ersten Bissen nehmen. Das hat genauso geschmeckt, wie man es sich vorstellt: extrem frischer Tintenfisch mit ziemlich leckerem Sesamöl. Einer der Tentakel saugte sich leicht an meiner Wange fest. Manchmal hängen sich die Zombie-Tentakel auch an die Essstäbchen.

liveoctopus_Holding on for life, after death.

Das Gericht machte nicht den Eindruck, als sei es etwas Luxuriöses oder als würde es nur zu besonderen Anlässen gegessen. Wir haben umgerechnet nicht einmal zehn Euro bezahlt, dazu gab es Getränke. Mein Freund Thai Hyun Chung erklärte mir, wann man in Korea üblicherweise lebendigen Tintenfisch isst:

„Immer, wenn man Soju trinken will”, meinte er.

liveoctopus_Sannakji is nothing without soju. Don't forget to shake it first.

Ohne Soju kein Sannakji. Vorher immer gut schütteln!

Abwechselnd fischten wir uns also ein Stückchen Tintenfisch und tranken Soju-Shots. Der Besitzer des Restaurants, Won Dong Kim, zeigt uns ein paar Tintenfisch-Exemplare, die noch auf ihr unangenehmes Schicksal warten.

Ich kann nicht genug bekommen vom Sannakji: Die Konsistenz und der salzige Geschmack passen perfekt zum Soju. Dazu gibt es Karotten, Gurken, Ingwer und eingelegte Rüben.

liveoctopus_Seon Soo Chon owner, Kim Won Dong, holds up a live one.

liveoctopus_How to accept your share of soju, Korean style. So trinkt man Soju in Korea

Nach viel Soju und Tintenfisch serviert uns Won eine riesige Schüssel tteokbokki—das komplette Gegenteil zum frisch gehackten Tintenfisch: Brühe mit Gochujang, lngliche Reiskuchen und dünne koreanische Fischfrikadellen. Am Rand der Schüssel sind allerlei frittierte Köstlichkeiten wie zum Beispiel Zwiebelringe, die man dann in die Brühe tunken kann. Wir werfen noch ein paar Nudeln zum Kochen rein.

Über die Trinkspiele mit Soju und das köstliche Mahl vergesse ich fast den wabbeligen Tintenfisch. Als wir gingen, bewegten sich die wenigen übriggebliebenen Stücke nicht einmal mehr.