Ich glaube, ich bin jetzt schon gut über 15 Jahre Schlagzeuger und auch, wenn ich nicht annähernd das technische Können wie manche meiner Freunde erlernen konnte, wie zum Beispiel Tobias Wurscher oder Matthew Prokop, habe ich sicherlich über die Jahre hinweg einen gesunden Fanatismus für Drummer entwickelt.
“Oida, das ist der Wichtigste in jeder Band!” Das stimmt natürlich nur bedingt oder bei vielen Bands einfach auch gar nicht. Diese segmentierte Musikliebe und das akustische Isolieren von Schlagzeugern bei Bands kann schon dazu führen, dass wir wie prätentiöse Weinkenner über Wirbel, Soli und bestimmte Stellen in Nummern abnerden.
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Nehmen wir also mal Intros beziehungsweise – verschiedenartige Einstiege von Drummern in ihre Musik-Tracks: Sicherlich einige der bekanntesten und mitreißendsten Pop-, Rock- und Überhaupt-Songs verdanken den gewissen Kick, der dich besoffenen mit dem Dosenbier oder Cosmopolitan in der Hand “bei dieser einen Stelle” mit- oder auszucken lässt, dem irren Schlagzeugkünstler. Tobi, Matthew und ich haben mal genauer überlegt: Hier sind die ein paar der schönsten und grandiosesten Beispiele für Inszenierung von Rhythmusgeräten der Musikwelt.
“Smells Like Teen Spirit” – Nirvana
Ich fang direkt mit dem einem Track an, der recht naheliegend ist für diese Liste. “Gähn”, ja, beruhigt euch wieder. Tatsächlich ist dieser Schlagzeug-Einstieg von Dave Grohl in das funky Vier-Akorde-Riff von Kurt ein kleines Meisterwerk. Es passiert nicht bewusst, aber das minimalistische, urinstinktive Pumpen von “Bass Snare Bass – Bass Snare Bass – Bass Snare Bass” zwingt einen, um Mülltonnenfeuer zu tanzen, einen sexy No-Future-Jesus anbeten und sich 90er Jahre Anarchiepickel ausdrücken zu wollen. Amateur-Drummer der ganzen Welt können seit dem Intro dieser Nummer gar nicht anders, als ständig mit Variationen davon herumzuspielen.
“People Get Ready” – Curtis Mayfield
Abgesehen davon, dass das wohl eine der allerschönsten Soul-Nummern des bekannten Universums ist und mucho sexy, hat in dieser Version des Songs, von der Curtis/Live!-Platte, Drummer Tyrone McCullen einen Wirbeleinstieg hingelegt, der Tränen in die Augen treibt. Anfangs kaum hörbar, zieht er wie ein sanftes Donnergrollen auf, nur um in insgesamt vier, alle Menschen auf den Zug in die Apokalypse vorbereitenden Schläge, zu akkumulieren.
“Ticks and Leeches” – Tool
Dass etwas von Tool hier vorkommen würde, war doch wohl klar – wenigstens für die Schlagzeug-affinen Leute unter euch. Was Danny Carey in dieser Nummer abliefert, ist der Ayahuasca-Trip der rhythmusinstrumentalen Intros. Erst zieht das schnelle Getrommel auf den Toms mit Sechzehntel- oder sind es Zweiunddreißigstel-Schläge magisch auf, wird dann von einer hellen straighten Hi-Hat durchzogen und endet in einem kompletten Auszucker voll mit kaum nachvollziehbaren wummernden Taktvariationen und Doppelbass. Unmöglich, unvergleichlich und unverzichtbar.
“The Drummer” – Chaka Khan
Diese Funk- und Soul-Legende, die auch riesigen musikalischen Einfluss auf Prince hatte, beweist in dieser Live-Aufnahme, wie man mit dem richtigen wabbeligen Groove jeden Fuß und Finger zum Mitwippen bringt.
“Wonderwall” – Oasis
Wegen diesem Lied bin ich überhaupt erst darauf gekommen, eine Auflistung von Drummer-Intros zu machen. Gerade bei dieser untot gespielten Pop-Nummer ist der ungerade einsetzende, simple Einstieg des Schlagzeugs in der zweiten Strophe und der Marsch-artige Takt, der darauf folgt, essentiell. Er lässt bei einem Live-Konzert das Publikum trotz Liams fad dahingenäselten Lyrics meterhoch springen und geht bei deiner Version dieser Nummer, auf der letzten Hausparty oder beim Jungschar-Lagerfeuer, komplett ab.
“Treppe” – DŸSE
Diese deutsche Band habe ich erstmals im Rhiz spielen gehört und würde am liebsten jede Nummer von ihnen und Schlagzeuger Jarii van Gohl anführen. Aber diese Nummer ist sehr repräsentativ, die Drums steigen gefühlt verkehrt abgespielt ein und man glaubt rückwärts die besungene Treppe hinunterzufallen. Gute Jungs.
“Charlotte” – Kittie
Und hier gute Mädels! Wisst ihr noch, das erste Zeitalter der Choker und Emo-Frisuren? Diese Band schaffte es auf Viva 2 und Co, auf sich aufmerksam zu machen. Mercedes Lander spielt eine erbarmungslos harte Snare und die Bass Drum ist typisch für die Nu Metal-Zeit der Anfang 2000er ein dumpf klatschender Fleischton, der mir heute noch viel Freude bereitet. Hart, gerade und “drauf geschissen”, so wirkt dieses wundervolle Intro.
“Criminally Insane” – Slayer
Ist es der Teufel, der da in einer unglaublichen maschinellen Geschwindigkeit auf das Ride Becken eindrischt und in Halftime sein “Bumm Tschak” spielt? Die Taktwechsel sobald die Gitarre hinzukommt sind ebenso unheilig. OK, es war in Wirklichkeit Dave Lombardo. Hail Slayer.
“Rock and Roll” – Led Zeppelin
Schüttle deine verfilzte 70er-Jahre-Frisur zu diesen Hi-Hat-Shuffle von Großmeister Jon Bonham. Natürlich gäbe es bei dieser Thematik und dieser Band auch “D’yer Maker” oder “When the levee breaks” zu erwähnen, aber sie sind glaub ich gut vertreten.
“Be My Baby” – The Ronettes
Wenn ich nur zwei Sekunden dieser verzogenen Intro-Schläge abspiele, erkennt jede Sau mit Musikgeschmack oder einem Dirty Dancing-Soundtrack diese Nummer. Phil Spector und seine Studioband, The Wrecking Crew, waren hier in Höchstform.
“Are You Gonna Go My Way” – Lenny Kravitz
Cindy Blackman ist wohl die coolste Frau von hier bis Alaska. Die Frau ist eine begnadete Jazz-Drummerin und eine der 100 besten Schlagzeuger aller Zeiten, jedenfalls laut dem Rolling Stone Magazine. Sie hat mit Ritchie Kotzen (ja, der heißt so) zusammengearbeitet und einige Solo-Alben rausgebracht. Am bekanntesten ist sie wohl als Teil der Live-Band von Lenny Kravitz beziehungsweise der von Santana – Carlos hat ihr nach einem Drum-Solo dann auch direkt einen Antrag gemacht. Auch wenn bei der Studio-Aufnahme von “Are you Gonna Go My Way” gar nicht sie spielt, ist ihr erbarmungsloses Dreschen gepaart mit dem gloriosen Afro beim Letterman-Auftritt aus 1993 hier 1.000 Mal besser und mein Mund steht nach diesem Video-Fund wohl noch bis nächste Woche offen.
“Overkill” – Motörhead
Alle lieben Lemmy, zurecht, aber wenn ich als Drummer und Lieblingsmensch wiedergeboren werden könnte, dann als Phil Taylor*. Sein Doppelbass in dieser Nummer hat eine ganze Metal-Musikrichtung gegründet und sie groovt einfach unendlich schön. Danke!
*Edit: In einer vorherigen Version hatten wir Mikkey Dee geschrieben, was natürlich falsch ist. Wir schämen uns. (Aber Mikkey ist das Schlagzeug-Spirit-Animal unseres Autors und er findet auch, dass Mikkey fast noch geiler spielt.)
“Honky Tonk Woman” – The Rolling Stones
“Hot for Teacher” – Van Halen
Die größten Proleten des Rocks haben mit dieser idiotischen Nummer extrem schnelles und mitreißend geiles Blues Picking hingelegt. Alex Van Halen, Eddies Bruder, leitet das Ganze mit einem Drum-Intro ein, dass Live sicher sämtliche Sport-BHs aufplatzen ließ. Mein Schlagzeugverständnis reicht nicht mal annähernd irgendwo an diese Doppelbass- und Becken-Spielereien.
“Lust for Life” – Iggy Pop
Eine Nummer, die vom rotzfrechen Groove der Drums lebt, was gleich vorweg etabliert wird. Letztlich leitet das Intro auch das Gefühl des Films ein, an den man bei der Nummer natürlich sofort denken muss. Meine Theorie also: Trainspotting ist nur wegen der Drums am Anfang so beliebt.
“The Seed” – The Roots
Wieder ein kurz und bündiger Einstieg. Auch hier minimalistisch, urig und gleichzeitig gefühlvoll watschen mich die zwei hohen Snare-Hits von Questlove in die obskure Welt dieser Nummer, in der es um irgendetwas Anstößiges mit “Seed Pushing” geht. Ich hätte auch “You Got Me” von ihnen nehmen können, da ist das Intro auf einen einzigen Schlag reduziert, aber ebenso effektiv eingesetzt.
“Bugle Call Rag” – Buddy Rich
Jazz, Jazz, Jazz. So ein Urgestein darf man nicht außen vor lassen. Schenkt euch einen Bourbon ein, macht den Kragen locker und macht zu dieser Nummer euer Kokslöffelchen sauber, zum Beat mitnickend. Hammer-Drummer!
“Spirit of the Radio” – Rush
Die Nummer kennt man vielleicht aus Freaks and Geeks, wo Jason Segel am Schlagzeug coole Posen macht zu dem Song. Völlig ohne durchgehende Linie beweisen diese kanadische Band sowas wie musikalisches ADHS. Passend dazu liefert Neil Peart erstaunlichste Fills und hochtechnische Tempi-Wechsel ab, die in dieser kleinen Rock Opera ausschlaggebend sind. Ohne die, wäre es eher wie ein Spinal Tab-Song.
“Cherub Rock” – Smashing Pumpkins
Erst der sauberste Wirbel aller Zeiten und dann die ungeraden Schläge von Jimmy Chamberlin, elegant abgeglichen zu Billys Gitarrenriff, sind in Kombination wie eine Ode an die Generation X. Wie soll man denn da ordentlich headbangen?! Der Track explodiert in einen melancholischen Mega-Groove, der mich jedes Mal zum Weinen bringt.
“Rosanna” – Toto
Das komplette Gegenteil zu “traurig”. Der Rhythmus und genau diese BPM machen Jeff Porcaros Intro zu einem beschwingten Antidepressivum. Mit Doppel- und Dreifachschlägen, die ich physisch nach 1.000 Jahren Üben nicht zustande brächte, swingt mich der Track in eine bessere Welt.
Stevie Wonder (Live)
Das ist jetzt wohl ein bisschen geschummelt im Kontext dieser Liste, da es sich bei Stevies Live-Auftritt in einer Fernsehshow eher um Schlagzeugsolo handelt, aber scheiß drauf. Erst ein gestelzter, abgehackter Einstieg, der so funky ist, dass man dazu einen Break Dancing James Brown halluziniert, und dann der Einsatz der Begleitband, die Swing spielt. Und schon rollt dieser unvergleichliche Musiker am Schlagzeug smooth dahin. Tiefste Verneigung.
“Wooden Jesus” – Temple of the Dog
Proto-Grunge gefällig? Diese frühe Band von Chris Cornell hat ein paar sehr schöne Tracks abgeliefert. Matt Camerons Intro klingt erst wie eine Aufnahme aus einem Schlagzeug-Lehrvideo, besonders wenn der Schlag auf die Holz-Bell einsetzt, was wie ein Metronom wirkt. Tatsächlich ist das Ganze technisch sauschwer und ein stimmungsvoller Einstieg für eine Nummer, die einem den Geschmack der frühen 90er ins Gedächtnis ruft wie keine andere.
“Painkiller” – Judas Priest
Einfach. Nur. Fett! Abgesehen davon, dass der Gesang bei Judas Priest unpackbar ist, hat Scott Travis die Schlagzeug-Skills eines mehrarmigen und -beinigen indischen Gottes. Wer sich jetzt fragt, wenn in diesem Beitrag auch Intros wie vollautomatische Maschinengewehre zählen, wo bleibt der ganze restliche Schlagzeug-Kanon des Hard Rock, Heavy-, Death- und Black Metal, dem sei versichert: Dieser Track ist einer der essentiellsten Stand Ins.
“Tune Grief” – Stephen Malkmus And The Jicks
So wie Janet Weiss hier einsteigt und beschwingt dahin tuckert, könnte man glauben, sie sei von den Ramones großgezogen worden. Ich würde echt gerne wissen, wie sie die Snare Drum so geil gestimmt hat
“Sunday Bloody Sunday” – U2
Trotz des Hasses, der in den letzten Jahren wegen Bono und der uns auf unsere Handys aufgezwungenen Alben gegen die Band entstanden ist, muss man diese Nummer dick herausstreichen. Larry Mullen Junior, der aussieht wie Van Dammes noch prätentiöserer Großcousin, hat hier einen groovig stampfenden Klassiker der Schlagzeugintros kreiert.
“The Boat Room” – Mice Parade
Wie eine filigrane Panikattacke schlackern mir die Drums von Doug Scharin durch das Gehirn und reißen mit einigen hellen verschrobenen Triolen auf der Hi-Hat absolut alles nieder. Solchen Schlagzeugern zuzusehen und -hören ist wie einen Löffel mit ganz viel Nutella im Mund zu haben.
“Little Wing” – Felix Lehrmann
Die Nummer ist von Jimi Hendrix, der auch super Drummer hatte, ich weiß. Ich wollte aber unbedingt Felix Lehrmann erwähnen, den übrigens als den Schlagzeuger von
Dendemann & Die Freie Radikale kennen sollte, aus Jan Böhmermanns Show. Der Mann ist unheimlich talentiert und fit am “Zeigl”, dass er in dieser Live Session die Nummer mit einem Fill einleitet, dass für einen Moment sogar wabbelnd Zeit und Raum zusammenzubrechen scheinen.
“Digital Bath” – Deftones
Das war die Zeit der Jazz-Drummer, die in Rock Band ein zuhause fanden. Bei dieser hellen Snare und dem extrem verspielten Groove will ich einfach ewig zuhören. Der Papst, der Dalai Lama oder Phil Collins sollten Abe Cunningham definitiv heilig sprechen.
“School Days” – The Runaways
Das klassische dumpfe Bass-Drum-Floor-Tom-Fill, das ich jetzt einfach mal höchst professionell “Pflumpf” nenne, kommt öfter in Drum-Intros vor, aber die Version von Sandy West in dieser Nummer von einer der coolsten Girl Rock-Bands der Welt, ist makellos. Erst feinste Glam-Abschläge auf den Crash Becken, dann “Pflumpf” und dann fuhrwerkt die Gute rotzfrech durch die Pampa, dass sogar Joan Jett sich bemühen muss, mitzuhalten.
“Down By The River” – Buddy Miles
Super Wirbel auf dem Ride Becken als Einleitung, der Gänsehaut simuliert und stimuliert. Super sexy Groove. Super Nummer.
“Henry: Potrait of a Serial Killer” – Fantômas
Natürlich hilft es, wenn man gleich zwei Drummer hat, wie es bei dieser Band live oft der Fall ist. Das ganze Album, in dem Filmmusik interpretiert wird, ist grandios. Aber hier, ab den ersten “Klopfern” zu Beginn, über die monumentalen Abschlägen hin zum großartigen, verqueren, schlingernden, schnellen, donnernd alles zerreißenden Tom-Snare-Fills, lechzt man als rhythmischer Mensch befriedigt den ganzen Track hindurch. Dave Lombardo, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei Slayer, schummelt sich hier ein zweites Mal in unsere Liste.
“Hybrid Moments” – Misfits
Pumpend und rauschig eingängig. Der Drummer von den frühen Misfits, der sich einfach nur “Mr. Jim” nennt, beweist schönen und trotzdem noch punkigen Einsatz von schlecht bespannten Toms. Eine meiner absoluten Lieblingsnummern dieser Band. Alles richtig gemacht.
“Territory” – Sepultura
Igor Cavalera ist im früheren Leben sicher einmal ein Schamane gewesen, der mit einem Baum verwachsen war oder so. Anders kann ich mir diese erdige, “ursuppige” Handhabe von Drumsticks nicht erklären. Einfach nur Bumm!
“Commissioner Castration” – The Dust Brothers
Eigentlich auch geschummelt, weil der Track ausschließlich Drums und ein Sample beinhaltet. Aber was für Drums! Hier rollt man hypnotisiert auf einer sexy Snare dahin und wird erinnert, wie geil der Fight Club-Soundtrack eigentlich war.
“A Song for the Dead” – Queens of the Stone Age
So und zum Abschluss noch einmal Grohl, der für QOTSA-Album Hand anlegen durfte. Passend, der Typ scheint sowieso auch in jeder Musikdoku und -Berichterstattung dabei zu sein. Das hier ist eigentlich kein Einstieg oder Intro, das Schlagzeug erzählt mehr eine ganze Geschichte. Die verrückten Schläge und Pausen, ich hab sie auswendig im Kopf. Wer bei dieser Nummer noch nicht einmal ausgezuckt ist, zum Wodka Gurgeln oder wild Schmusen angefangen hat, dem fehlt die Stoner Rock Seele im Laib.
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