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Leichensex und Hasen-Häutung: Eine Hommage an Nekromantik

Eine Szene aus dem Film Nekromantik

Tod und Sex sind wahrscheinlich die größten Themen der Menschheit. Kein Wunder, dass die beiden so oft kombiniert werden – wenn auch meistens nicht in direktem Zusammenhang und schon gar nicht in der Reihenfolge. Filme über Nekrophilie sind selbst im Horrorgenre, vorsichtig gesagt, eher die Ausnahme. Da gibt es den formschönen Kissed (1996), den verstörenden Don’t Let Me Die on a Sunday (1998) und den trashigen Headless (2015). Aber sie alle haben einen gemeinsamen Meister: NEKROMANTIK, das zeitlose Meisterwerk des deutsche Regisseurs und “Todeskings” Jörg Buttgereit.

Und weil dieses Opus erstens eine längst überfällige Würdigung verdient, die mir zweitens seit Jahren unter den mit Lotion eingecremten Nägeln brennt, ist hier meine ganz persönliche Liebesbekundung, untermauert mit historischen Fakten und Trivia zu jenem Werk, dessen Filmstills heute noch jeden zweiten Artikel über nekrophile Massenmörder bebildern.

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Warnung: Einige Passagen dieses Textes könnten das Sittenempfinden stören und sollten daher von Minderjährigen ferngehalten werden. (Ich wollte so einen Satz immer schon mal schreiben.)

Jörg Buttgereit (von manchen Reviewern liebevoll Buttergeiz genannt) wurde 1963 in Berlin geboren, ein Jahr, nach dem das “Oberhausener Manifest” verfasst wurde – eine Erklärung von 26 deutschen Filmemachern mit dem Anspruch, einen neuen deutschen Spielfilm fernab von kommerziellen Einflüssen und Kontroll-Regimenten zu schaffen, was retrospektiv betrachtet nicht unwesentlich für sein Werk ist.

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Das damalige Klima in (West-)Berlin führte dazu, dass jeder, der eine Gitarre in die Hand nehmen konnte, Musiker wurde – es war eine intensive Zeit voller ungezügelter kreativer Energie, aus der einige großartige Acts hervorgingen: zum Beispiel Mutter (deren Gründungsmitglied und Schlagzeuger Florian Koerner von Gustorf später die Hauptrolle in Schramm, einem weiteren Opus Buttgereits, spielen sollte), Die Haut oder auch Einstürzende Neubauten (denen Jörg für ihre Bühnenshow seinen Kurzfilm Mein Papi zur Verfügung stellte und dafür mit Wodka bezahlt wurde).

Jörg aber nahm lieber seine Kamera in die Hand und übertrug den Punkgeist in die Welt des Bewegtbilds. Zu seiner Konfirmation wünschte er sich eine Super-8-Kamera und machte sich von da an auf, die verschiedenen Spielarten der Alltäglichkeit und ihrer unter der Oberfläche verborgenen Reiz auf Kodachrome zu bannen.

Wenige Zeit später entstanden seine Erstwerke Interview mit Frankenstein, Blutige Exzesse im Führerbunker und Manne – the Mowie (übrigens mit Bela B. von den Ärzten in der Hauptrolle, den bis zum heutigen Tag sowohl eine Freundschaft, als auch die ausgeprägte Faszination für kuriose Nischenfilme mit Jörg verbindet). Währenddessen erfuhr politische Aufruhr einen weiteren Höhepunkt in Form von Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe/ RAF.

Als Buttgereit Anfang der 1980er von der Berliner Filmhochschule abgelehnt wurde, stand ironischerweise gerade die Premiere seines ersten Langspielfilms kurz bevor: 1987 war dann das glorreiche Jahr, in dem NEKROMANTIK erstmals auf die knittrigen Leinwände deutscher Independent-Kinos projiziert wurde.

Dazu sei gesagt, dass das politische Gepräge zur Erscheinungszeit ein bekanntermaßen konservatives war, von dem vor allem das zeitgenössische Genrekino direkt betroffen war: Klassiker wie Sam Raimis Evil Dead oder Tobe Hoppers Texas Chainsaw Massacre waren indiziert und nicht frei erhältlich (der bereits erwähnte Bela B. rühmte sich schon damals damit, die “einzige Person in Deutschland zu sein, die TCM bereits 23 Mal gesehen hatte”). (Quelle: Die Ärzte. Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf).

Jörg weigerte sich allerdings, seinen Film von der FSK prüfen zu lassen und verlieh ihn stattdessen direkt an die heimischen Kinos mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren. “Wir machen die Filme ohnehin nur einem bestimmten Publikum zugänglich, denn Tante Erna wird sich nicht für Leichenficken interessieren”, sagte Buttgereit in einem frühen Interview zu seinem Vertriebsmodell. So schaffte es der Film, unbemerkt an den Behörden und anderen vermeintlichen Gegnern wie der katholischen Kirche, Staatsanwälten oder noch radikaleren Gruppierungen vorbeizuschrammen.


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Erst ganze 5 Jahre später, als die indirekte Fortsetzung Nekromantik 2 Kontroversen erzeugte (eine erschreckend authentisch wirkende Köpfungszene brachte Ermittlungen der Kriminalbehörde ins Rollen), wurde auch der erste Teil strenger unter die Lupe genommen. Der Vertrieb von NEKROMANTIK wurde für kurze Zeit untersagt, während Nekromantik 2 bundesweit beschlagnahmt wurde und rechtlich nicht mehr besessen, angesehen oder gezeigt werden durfte.

Die angeordnete Zerstörung aller Negative und Werbematerialien wurden zu einem auch international nachgeahmten Präzedenzfall, der zur Folge hatte, dass die beiden Filme heute noch in manchen Ländern verboten oder zumindest nicht erhältlich sind. Durch eine geschickte Berufung auf die Kunstfreiheit seitens des Regisseurs wurde zumindest der erste Teil nach kurzer Zeit wieder aus dem Fahrwasser der Sittenwidrigkeit gefischt.

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Dabei war die Rezeption von NEKROMANTIK auch noch auf andere Art schwierig: Den geneigten Horrorenthusiasten – seinem eigentlichen Publikum – war er offensichtlich anfangs noch zu “künstlerisch”. Erst nach seiner äußerst positiven Aufnahme in Amerika und anderen Ländern wie Japan versammelte der Film nach und nach eine regelrechte Kultgemeinschaft an nekromantischen Cineasten um sich.

Auch die Verbreitung in anderen Kunstdisziplinen half mit, den zelluloidenen Heldenstatus von NEKROMANTIK zu zementieren: So spielte die norwegische Black-Metal-Gruppe Carpathian Forest zum Beispiel lange Zeit den Titeltrack in einer adaptieren Version als Auftakt ihrer Konzerte und auch die Thüringer Horrormetaller Eisregen nennen den Film als großen Einfluss.

Für die mustergültigen Airbrush-Artworks von NEKROMANTIK und Nekromantik 2 zeichnet außerdem der deutsche Zeichner und Regisseur Andreas Marshall verantwortlich, der bereits namhaften Metal-Acts wie Blind Guardian, Dimmu Borgir und Sodom zu ihren ikonischen Covers verhalf.

Zuletzt war Marshall auch am aktuellsten Episoden-Film Buttgereits, German Angst, als einer von drei Co-Regisseuren beteiligt. Aber jetzt zum eigentlichen Kern des Themas, einem “Film über die Liebe zum Menschen und was von ihm übrigbleibt“ (so der offizielle Untertitel).

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Linkes Bild, von links nach rechts: Andreas Marshall, der Autor, Jörg Buttgereit und Michal Kosakowski beim /slash Filmfestival Screening zu GERMAN ANGST 2015. Rechtes Bild: das VICE Plakat zum Screening (später von allen drei signiert).

Protagonist Robert Schmadtke (der übrigens zusammen mit Hermann Kopp und John Boy Walton auch den formidablen Soundtrack geschaffen hat) ist “Leichenräumer” bei Joe’s Säuberungs Aktion, dem örtlichen Bestattungsunternehmen mit dem schicken Totenkopf-Logo. Robert wirkt unscheinbar, sympathisch und etwas verloren – erst ein Elizabeth-T.-Spira’scher Blick hinter die Tür seiner Einheitswohnung im grauen Plattenbau schleudert dem Betrachter die wahre Natur seines Wesens entgegen.

Robert ist nekrophil und teilt diese Leidenschaft mit seiner Freundin Betty, mit der er regelmäßig auf einem Maschendrahtbett unter den Bildnissen von Charles Manson und toten Körpern ebendieser Vorliebe frönt.

Auf den Regalen ihrer bescheidenen Unterkunft stapeln sich abgetrennte Gliedmaßen und Innereien, liebevoll mit Formaldehyd in Einmachgläsern konserviert. Unser Geist kämpft gegen den Versuch an, den beißenden Gestank dieser Behausung zu manifestieren oder gar ein gewisses Verständnis für das – gelinde gesagt – normabweichende Pärchen zu entwickeln.

Wie es bei derlei Neigungen leider oftmals der Fall ist, werden auch hier die Grenzen zum nächsten (olfaktorischen) Kick immer weiter ausgereizt und so finden wir uns beim Voranschreiten der Handlung in einem Exzess der Verzweiflung und der kompromisslosen Huldigung des Todes wieder, der bezeichnenderweise noch lange nicht das Ende ist.

Die japanische Version von NEKROMANTIK liefert das perfekte Sinnbild: Hier sind zwar die Geschlechtsteile verpixelt, die Kaninchen-Häutungsszene hingegen nicht.

Neben einigen bewusst hier nicht nacherzählten Szenen und eindrucksvoll bukolischer Abstraktheit bleibt vor allem die unzusammenhängend eingebaute Episode der Tötung und anschließenden Häutung eines Hasen durch einen Bauern in Erinnerung.

Die Szene steht ganz in der Tradition von John Waters’ Pink Flamingos (der den Film damals als “ersten Erotikfilm für Nekrophile” beschrieb) oder des zugleich verdammten und vergötterten Kultwerks Cannibal Holocaust von Ruggero Deodato (den Buttgereit übrigens 2012 bei der Viennale präsentierte).

Der Kaninchen-Kill kann als direkte Kritik an unserer gesellschaftlichen Doppelmoral gelesen werden, wo wir unseren Blick am Schlachthof vorbei aufs Leberkäsesemmerl richten und unsere Leichen lieber im Verborgenen der familienfreundlichen Keller lassen als sich mit ihnen zu beschäftigen. Dazu eine kleine Anekdote aus der japanischen Version von NEKROMANTIK, die wie so oft das perfekte Sinnbild dazu liefert: Hier sind die Geschlechtsteile verpixelt, die Häutungsszene hingegen nicht.

Genau diese unprätentiösen und zutiefst moralischen Fragen sind es, die NEKROMANTIK für unbedarfte Splatterfreunde vielleicht zu tiefsinnig oder enttäuschend machen – immerhin verspricht der Titel oder auch das Thema ein gewisses Maß an Grenzüberschreitung. Aber genau dieselben Aspekte sind für ein aufgeschlossenes Publikum der Quell nachhaltiger Befriedigung, die – wie in meinem Fall – bis heute andauert. Das und die wunderschönen Aufnahmen von aus dem Kopf gesaugten Augäpfeln. Alles Heil dem Todesking, Baby!

Mehr Infos zu Jörg Buttgereits Gesamtwerk findet ihr auf seiner Website.

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