Alle Fotos schoss Mina Monsef am Women’s March
“Ich bin für meine Nichte hier, die letzten Mai auf die Welt gekommen ist”, sagt Claire, eine kleine Regenbogenfahne in der Hand. “Damit sie in Zukunft nicht mit sexistischen Kommentaren umgehen muss. Dass sie mal den gleichen Lohn hat wie ihre männlichen Klassenkameraden, und dass das Frausein sie nicht zurückhält bei dem, was sie machen will in ihrem Leben.” Es ist Claires erste Demo. Die 21-Jährige wohnt in einem kleinen Dörfchen hinter Fribourg und für den Women’s March in Zürich ist sie extra angereist. Während des rund einstündigen Demozugs läuft sie mal zwischen den Jungsozialist*innen mit, an den Fahnen der Grünen und Amnesty International vorbei, tanzt ein bisschen im Block des Revolutionären Aufbaus, wo zwischen Lautsprecherforderungen auch mal Musik läuft. Meistens aber ist Claire im “Queer Block”, dem Teil der Demo mit den meisten Regenbogenfahnen, wo die Pussyhats nicht immer pink sind. Es sind die Queeren, die Falschsexuellen, die von der Geschlechternorm Abweichenden, die hier mitdemonstrieren. “Frauenrechte sind doch etwas, wofür sich alle einsetzen müssen”, findet Claire, “warum sollte die LGBT-Community nicht da sein?”
Und wie sie da ist. Unter den zwischen 10.000 und 17.000 Menschen demonstrierten unzählige auch für das Recht, ohne veraltete Vorschriften lieben, vögeln und existieren zu dürfen. LGBTI-Rechte, also die Rechte der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgenderpersonen, Intersexuellen sowie vielen Weiteren, sind an einem Anlass wie dem Women’s March ein enthusiastisch mitgefordertes Anliegen. Was nicht zuletzt erwähnenswert ist, weil die ursprünglichen Organisator*innen mit ihrer Forderung nach Frieden, Freude und Eierkuchen im Vorfeld der ungeplant riesigen Demo nahezu ins Apolitische abgedriftet sind.
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Dieses fehlende Empörtsein nahmen sich neben vielen anderen auch die demonstrierenden LGBTIs wieder heraus. Als ein christlicher Fundamentalist beim Stauffacher gegen “Propaganda für Homosexualität und Transsexualität [sic]” sowie “sexuelle Entgleisungen” anbrüllte, auf einer Mauer stehend, skandierten die Umstehenden Parolen wie “Liebe ist für alle da” und beschmissen ihn mit Glitzer.
Die Woche endete also schön für den queeren und queerfreundlichen Anteil der Schweizer Bevölkerung. Nur wenige Tage zuvor ging’s allerdings weniger angenehm zu und her: Nicht auf der Strasse, sondern im Parlament. Dort ging eine regelrechte LGBTI-Schicksalswoche über die Bühne: Am Mittwoch entschied der Nationalrat über einen Aktionsplan, der LGBTIs besser schützen soll. Am Freitag bestimmte er, ob das Anti-Diskriminierungsgesetz, das zukünftig die sexuelle Orientierung miteinschliessen soll, überdacht wird.
Um die falschsexuellen Herzen etwas zu schützen, erstmal die gute Nachricht: Die Fristverlängerung, die angenommen wurde, schliesst ein, dass man die kommenden zwei Jahre über die Bücher geht, was das Anti-Diskriminierungsgesetz anbelangt. Bisher bezieht sich diese auf die “Rasse”, Ethnie und Religion, nicht aber auf die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität . Das ist nötig, weil die momentane legale Situation in der Schweiz zum Heulen ist. Oder in den Worten der Schwulenorganisation Pink Cross: “Die aktuelle Rechtslage bietet keine Möglichkeit, gegen pauschalisierte, allgemeine herabwürdigende Äusserungen vorzugehen”. Wer also beispielsweise rassistischen Unsinn durch den Zürcher HB schreit, kann zum Glück mit rechtlichen Konsequenzen rechnen; wer homo- oder transfeindliche Aussagen skandiert, hingegen nicht.
Die Überarbeitung dieses Anti-Diskriminierungsgesetzes hat am Freitag vom Nationalrat eine Fristverlängerung erhalten. Die kommenden zwei Jahre geht man über die Bücher, erarbeitet einen neuen Entwurf der momentan unvollständigen Zeilen.
Niedergeschriebene Gesetze sind aber nicht genug. Eine vom Bundesrat selbst in Auftrag gegebene Studie zeigte auf, dass der Schweizer Diskriminierungsschutz speziell bei LGBTI-Rechten grosse Mängel aufweist: Zu wenig Sichtbarkeit, zu grosse Rechtsunsicherheit, kein Schutz vor Persönlichkeitsverletzung. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte erarbeitete deshalb einen konkreten Aktionsplan, um gegen diese Mängel vorzugehen. Nicht notwendig, befand daraufhin der Bundesrat, der ja notabene die dazugehörige Studie in Auftrag gegeben hatte. Das Anliegen kam deshalb vors Parlament: 91 Nationalrät*innen hielten den Aktionsplan für nötig. 92 Nationalrät*innen nicht. Jemand enthielt sich.
Dagegen waren: die ganze SVP, zwei Drittel der FDP und usserdem die halbe CVP. Klar, wir LGBTIs können mit den Augen rollen und sagen, dass uns das nicht verwundert. Aber gleichzeitig müssen wir alarmiert sein: Wogegen man sich hier entschied, ist Diskriminierungsbekämpfung an der Wurzel. Gegen den rechtlichen Schutz des Paars, das von Homophoben mit einer Cola-Dose beworfen wird, weil es sich auf dem Sonntagsspaziergang an der Hand hält. Gegen den Schutz der Transfrau, die nicht ins Public Viewing geht, weil die Beleidigungen das Fussballspiel übertönen würden.
Die Hälfte des Nationalrats hat entschieden, dass, die Homos und Queers zwar vielleicht knapp in einer Zeile im Gesetz erwähnt werden sollen. Aber bitte doch nicht aktiv etwas dagegen getan werden muss, dass sie im Alltag bedroht sind. Da hilft es nur begrenzt, wenn am Women’s March Trans-Flaggen und Pussyhats getragen werden: Staatliche Handlungen braucht es trotzdem.
So war die vergangene Woche für uns LGBTIs also eine Tragikomödie in drei Akten. Am Mittwoch wird unser Schutz verweigert, am Freitag wird unsere Diskriminierung anerkannt und am Samstag zelebrieren wir uns selbst, indem wir Fundis Glitzer anwerfen. Nur ist Glitzer nicht genug.
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