Discounter mögen etwas unaufgeräumte Orte sein, an denen man Pökelfleisch, Billig-Wodka und Heidi-Klum-Klamotten mit Leomuster findet. Aber für viele sind sie auch eine gut ausgeleuchtete Delikatessen-Kammer, eine Fundgrube für Schnäppchen-Gasgrills – oder einfach nur ein gutes Work-Out, wenn sie auf der Suche nach dem preisgünstigen Sport-BH einer Influencerin alle Filialen im Umkreis von 30 Kilometern abklappern. Doch für manche Deutsche sind Discounter auch ein Quell unendlicher Rage – und ihre Facebook-Seiten der Ort, an dem sie sie in aktiv-aggressive Kommentare gepresst hinauslassen.
Die Deutschen haben Discounter eigentlich erfunden, um für ein kleineres Warenangebot weniger Geld zu zahlen. Selbst in den Vereinigten Staaten veranstaltet Aldi mittlerweile Aktions-Wochen, bei denen Deutschland präsentiert wird, als sei es ein hauptsächlich von Sauerkraut und Sahnepudding durchzogenes Schlaraffenland. Doch Deutschland gilt nicht nur als Land der unverständlichen Umlaute, sondern auch als Heimat der chronisch Unzufriedenen. Dort kann ein ausverkaufter Prospekt-Staubsauger schon mal eine mittelschwere Krise auslösen.
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Wir haben einen Tag lang die öffentlichen Beiträge auf den Facebook-Seiten von Lidl, Aldi und Co. gelesen und dabei viel über die deutsche Wutkultur gelernt.
Problem #1: Es kann nur einer den viel beworbenen Handstaubsauger haben
In Germany, we say: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Es gehört zum Konzept eines Discounters, dass etwas nischigere Produkte wie Low-Carb-Müsli oder Lockangebote wie die Sportkollektion einer Fitness-Bloggerin nicht zu jeder Jahreszeit in jeder Dorffiliale des brandenburgischen Hinterlands vorhanden sind. Trotzdem scheint es, als überfordere die Philosophie der Märkte viele Leute genauso wie das Lesen des Kleingedruckten – “solange der Vorrat reicht”: Auf den Facebook-Seiten von Aldi Süd, Lidl oder Netto sammeln sich mehr Beschwerden über ausverkaufte Produkte, als Sport-Influencer und -Influencerinnen in einem Set Liegestütze machen.
Aber auch deutsche Disziplin zeigt sich im Discounter: Wenn sie sich um sechs Uhr den Wecker stellen, um pünktlich um acht vor den Schiebetüren der nächstgelegenen Filiale zu stehen. Auf der Facebook-Seite von Penny schrieb eine Frau, der Handstaubsauger, den sie habe kaufen wollen, sei bereits am frühen Morgen ausverkauft gewesen. Erst im April überlud die Aldi-Community die Beitrags-Seite des Discounters mit flammenden Wut-Kommentaren, weil diverse Filialen (ja, viele Kundinnen und Kunden haben mehrere besucht) nicht genügend Exemplare eines Gasgrills erhalten hatten.
Die Konsumforschenden Eva Büchel und Jonah Berger haben 2012 herausgefunden, dass die Facebook-Posts von Menschen sinnloser werden, wenn sie sich körperlich angestrengt haben oder emotional labil sind. Für sie seien zeternde Facebook-Posts eine Art Therapie, mit der sie sich fremde Bestätigung für ihre negativen Erlebnisse einholten, schreiben Büchel und Berger. Suchen Aldi-Kunden und Penny-Kundinnen also nicht den ultimativen Wut-Kick, sondern einfach nur den virtuellen Schulterschluss mit anderen Betroffenen?
Problem #2: Der 1-Euro-Käse schimmelt
Die Social-Media-Teams der Läden sind Ausfälle der guten Manieren jedenfalls gewohnt: Die Community-Manager und -Managerinnen reagieren so stoisch verständnisvoll, als wäre ihr Job eine Meditationsübung aus einem Lebensratgeber für gestresste Millennials. Sie verweisen immer wieder freundlich auf den nächsten Katalog mit Angeboten (Zwinkersmiley) oder auf den Kunden-Support, der sich dem Problem annehmen werde (betroffener Smiley).
Gut, es ist uncool, wenn du dich beim Einkaufen an die Zutatenliste für deine Chefkoch-Mettschildkröte gehalten hast und zu Hause entdeckt, dass ausgerechnet der Deko-Salat mit grauem Schimmel besprenkelt ist. Aber besonders in den – teilweise durchaus gerechtfertigten – Reklamationen ungenießbarer Lebensmittel zeigt sich, dass die (weitgehende) Anonymität des Internets viele Menschen auch nach 20 Jahren restlos überfordert: CAPS LOCK, Aufrufezeichen!!!, Sarkasmus und ein mieser Befehlston ziehen sich durch. Eine Frau beschwerte sich bei Lidl darüber, dass ihre roten Paprika “VON INNEN MIT SCHIMMEL VERSEHEN” seien, und erwartete vom Discounter eine Stellungnahme und “einen regen Austausch”.
Glenn Sparks, Professor an der Brian Lamb School of Communication, sagt, Facebook und andere Soziale Netzwerke ließen Menschen kommunikativ verrohen: “Facebook ist kein Ort, um tiefe Dialoge zu führen oder anderen Leuten zuzuhören”, erklärte er im Independent. Während Menschen in der analogen Kommunikation Gespräche führten, schmetterten sie sich online nur zugespitzte Statements entgegen.
Der Autorin dieses Artikels wurde etwa mal ein Jute-Beutel angeboten, als sie einen verschimmelten Pink-Lady-Apfel in einer (privaten!) Facebook-Nachricht an das Unternehmen reklamierte. Hinterher war ihr die Beschwerde unangenehm. Es ist zweifellos einfacher, ein etwas kleinliches Anliegen schriftlich in der Kommentar-Spalte eines Ladens zu droppen, als sich damit direkt vor der Filialleitung des Dorf-Discounters zu beschweren. Eine gute Richtlinie vor dem Wut-Post wäre daher: Wenn du nicht dazu bereit bist, in deinem Stamm-Lidl vor Fremden zu erklären, warum du abends beim Bachelorette-Gucken die Oliven nachzählst – dann mach es auch nicht im Internet.
Problem #3: No problem, just ranting
Die Kommentare auf den Facebook-Seiten deutscher Discounter legen allerdings nahe, dass es einem nicht unbeachtlichen Teil der Poster und Posterinnen nicht darum geht, schimmelige Schoten oder abhanden gekomme Aktionsware zu reklamieren. Manche sehen die öffentlichen Kommentarspalten auch einfach als virtuelle Open Mic Night für ihre eigene innere Wutbürgerin.
Ein Kunde bei Penny schreibt etwa ein ausschweifendes Manifest über seine Aversion gegen Papiertüten: “Die Lebensmittel werden unter Aufwand und Ressourcen hergestellt und liegen dann bei Penny auf der Straße, weil diese beschissene Papiertüte nicht gehalten hat. Was für ein Vollidiot kommt auf so eine saudumme Idee!” Er möge die Natur, aber der Supermarkt wolle seinen Kunden und Kundinnen nur die Plastiktüte “wegnehmen”, um “auf einer Welle mitzuschwimmen”, schreibt der Mann. Eine andere Person schrie auch im virtuellen Supermarkt noch rum, man solle eine zweite Kasse aufmachen. Und eine dritte gab Netto noch kurz vor Feierabend kommentarlos mit auf den Weg, dass die Werbung des Discounters sie anekele.
Verhaltensforscher und -forscherinnen veröffentlichen seit Jahren Studien, mit denen sie erklären wollen, warum Menschen bei Facebook Dinge posten, die sie im echten Leben weder vor ihren Freunden und Freundinnen noch einer fremden Person an der Supermarkt-Kasse sagen würden. Die Ergebnisse zeigen, dass User und Userinnen mit ein paar Likes ihre Egos streicheln wollen. Es heißt, öffentlich bereitgestellte Infos wirkten wie Dopamin, Facebook auf das Gehirn wie Sex.
Ob die virtuellen Beschwerdestelle den Schimpfenden wirklich Befriedigung verschafft, sollten dringend mal wissenschaftlich untersucht werden. Am Ende sind die Wutkommentare neben Kreuzen in Behördeneingängen und der Leidenschaft für limitierte Nutella-Gläser aber wahrscheinlich vor allem eins: ein schwer nachvollziehbares Stück deutscher Kultur.
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