Im Hintergrund heult ein Motor auf, aber das Mädchen mit den schulterlangen blondierten Haaren sitzt unbeirrt auf dem Fahrersitz eines blauen Sportwagen und zählt Hundert-Dollar-Scheine. Es ist so viel Geld, dass sie es gerade noch mit einer Hand halten kann. Dann springt sie plötzlich auf, schlägt mit ordentlich Wumms die Autotür zu und beginnt mit ebenso viel Wumms in die Kamera zu brüllen: “Bitch, I just bought a Lamborghini! Y’all bitches can’t afford this shit, OK? I’m only nine years old, but I’m the youngest flexer of the century!” Das ist Lil Tay.
Die nach eigener Aussage Neunjährige mit abgestimmter Hose-Jacke-Kombination führt ihren Aggro-Monolog weiter, während YouTuber Jake Paul, Bruder des umstrittenen YouTubers Logan Paul, im Hintergrund steht und ebenfalls Scheine zählt. Dann verteilen die beiden die Moneten auf dem Garagenboden. “Y’all be hating on me because y’all broke and jealous!”, brüllt Tay zum Abschied, bevor sie sich wegdreht und mit ihren neuen weißen Sneakern das Geld durch die Gegend tritt.
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Das Video hat bei Instagram fast 5,5 Millionen Views.
Lil Tays Online-Ruhm ist im vergangenen Monat erheblich gewachsen – und damit auch das Interesse an ihrer Person, beziehungsweise den Personen dahinter. Eine Recherche des Online-Magazins Babe.net ergab, dass der Internetstar trotz seiner Vorliebe für US-Dollar und der häufigen Verwendung des Location-Tags Hollywood Hills in Wahrheit wahrscheinlich aus Kanada stammt.
Und die Eltern? Über den Vater ist bislang nichts bekannt, aber Babe.net identifizierte Angela Tan als ihre Mutter. Sie arbeitet als Immobilienmaklerin in Vancouver – oder viel mehr tat sie das. Das Outing veranlasste nämlich ihren Arbeitgeber, die Pacific Place Group, Tays Mutter zu entlassen, wie das Unternehmen gegenüber VICE bestätigte.
“Als wir vergangene Woche von ihren Aktivitäten erfahren haben, mussten wir ihr kündigen”, sagte Jim Lew, Leiter für Geschäftsentwicklung der Pacific Place Group, gegenüber dem Daily Hive. Das in Lil Tays Videos gezeigte Verhalten habe “keinen Platz” in der Immobilienbranche. Es kursierten bereits Gerüchte, dass einige Lil-Tay-Clips in Gebäuden entstanden waren, die von Angela Tan betreut wurden. Lil Tays Mutter hatte sechs Monate für Pacific Place Group gearbeitet, wie das Unternehmen gegenüber Daily Hive sagte.
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Genau so oft, wie sie sich als “youngest flexer in the century” bezeichnet, behauptet Lil Tay, nur neun Jahre alt zu sein, Luxuskarossen zu haben und Designerklamotten zu tragen. Wenn man es genau nimmt, ist das der Inhalt all ihrer Videos. Auf Instagram war sie bereits neben den Rappern Chief Keef und Lil Pump zu sehen, ihre IG-Bio verspricht ein “GUCCI GANG FACE TATT @ 10 MILL”. Sie redet über “moving bricks”, also darüber, Koks zu verkaufen, benutzt oft und leidenschaftlich Erwachsenen-Schimpfwörter und hat auch schon mal das N-Wort rausgehauen. Auf entsprechende Kritik antwortete Lil Tay im Dezember 2017, sie habe selbst Schwarze Vorfahren.
Aber Tays Online-Existenz und ihre Follower – 1,7 Millionen bei Instagram, über 150.000 bei YouTube – sind vielleicht Vorboten einer neuen Form des Kinderstars. Auch wenn Kinderstars immer schon eine problematische Angelegenheit waren, wirft diese neue Erscheinungsform ein paar besonders unangenehme Fragen auf.
Es sind vor allem zwei Faktoren, die Lil Tay für ihr Publikum so interessant machen. Einmal ist da der krasse Kontrast: Ein unschuldig aussehendes Mädchen macht und sagt Dinge, die man niemals von einem Kind erwarten würde. Der andere Faktor ist Lil Tays Eignung als Hassobjekt.
Vor einem guten Jahr habe ich einen anderen Kinderstar, Danielle Bregoli, aka “Cash Me Ousside”-Girl, interviewt, wenn man das ein Interview nennen darf. Eine Erfahrung, die mir noch immer nachhängt. Nach einem Auftritt in der Talkshow Dr. Phil war die damals 13-Jährige zu zweifelhaftem Meme-Ruf gekommen. Bald darauf erfand sich Bregoli als “Bhad Bhabie” neu und begann eine Karriere als Rapperin. In einem Interview mit The Fader wurde sie gefragt, ob sie sich den Hass der Leute erklären könne. Ihre Antwort: “Es wird immer jemand den Dislike-Button drücken, aber die, die den Like-Button drücken, sind in der Überzahl und das ist alles, was für mich zählt.”
Lil Tay und Bregoli haben offensichtlich Beef miteinander. Auf Tays Instagram gibt es ein Video von einer Begegnung zwischen den beiden. Ebenfalls dabei: Woah Vicky – ein weiterer Insta-Teenie –, ein paar Bodyguards und eine Menge verwundert dreinschauender Passanten. Die Mädchen blaffen sich ein bisschen an, muskulöse Männer gehen dazwischen und es gibt ein paar halbherzige Durchbruchsversuche. Das war’s. Das Video hat über 10 Millionen Views.
Wenn man die Instagram-Kommentare als Indikator nimmt, weht auch dem “youngest flexer in the century” eine ordentliche Brise Online-Hass entgegen.
“Deswegen müssen Eltern heutzutage abtreiben”, heißt es unter dem Video von Tay und Bregoli. Unter einem Video, in dem Tay in Beverly Hills auf einem Balkon steht, türmen sich Kommentare, in denen Menschen vorschlagen, dass sie runterfallen oder runtergeschubst werden sollte. Andere schreiben einfach nur: “Spring.”
In einem ihrer neuesten Videos konfrontiert Tay ihre Hater. Sie beleidigt sie als erwachsene Männer, die sich über ein Mädchen aufregen. In der Caption heißt es: “Like das, wenn du Lil Tay hasst.”
“Hört auf, ihr so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Deswegen ist sie so erfolgreich. Wenn ihr sie so sehr hasst, dann ignoriert sie doch einfach”, schlägt ein User vor.
Und natürlich spielen Hass und Neid oft eine wichtige Rolle beim Ruhm. Bei Tay und Bregoli ist vor allem Hass aber vielmehr integraler Bestandteil als nur bloßes Beiwerk. Und wenn besagtes Hassobjekt obendrein auch noch – anscheinend – ein Mädchen im Grundschulalter ist, müssen wir uns fragen, ob wir das als Form der Unterhaltung wirklich akzeptieren können.
Im Gegensatz zu Bregoli, die durch ihren Meme-gerechten Auftritt bei Dr. Phil bekannt wurde, scheint Lil Tays Erfolg, zumindest oberflächlich betrachtet, vielmehr hausgemacht. Nichtsdestotrotz zeigt sich auch die Neunjährige mit anderen Influencern wie Jake Paul und Woah Vicky vor der Kamera. Ihre vermeintlichen Beefs mit Bregoli und dem YouTuber RiceGum dürften dabei geholfen haben, Tay bekannter zu machen.
In einer Message an ihre Hater gibt das sichtlich aufgebrachte Mädchen zu, dass der RiceGum-“Beef” nicht echt gewesen sei. Auslöser für die Erklärung war anscheinend, dass viele Menschen damit angefangen hatten, ihre Videos zu melden. “Ich versuche, meine Träume zu verwirklichen. Wenn dir das nicht gefällt, dann blockier mich einfach”, sagt sie in dem Video den Tränen nah.
Genau wie Bregoli verfolgt anscheinend auch Lil Tay Ambitionen in der Musikindustrie. In einem Interview mit Jezebel gibt ein Typ namens Alex Goller Gelbard, aka Loyalty G., bekannt, dass das Mädchen “Musikpläne” habe:
“Tay arbeitet gerade an Musikplänen … Wir können noch nicht öffentlich über Deals oder Angebote reden, die gemacht oder bestätigt wurden”, sagte der Mann, der in irgendeiner Weise mit Lil Tay zusammenarbeitet, aber nicht ihr Manager ist. “Es gibt ein paar unveröffentlichte Aufnahmen von Tay. Richtige Projekte befinden sich momentan im Planungs- und Entwicklungsstadium.”
Den Song “Money Way” von Lil Tay kannst du dir hier unten anhören.
Möglicherweise testen die kleinen Unruhestifterinnen einfach eine neue Formel aus, mit der sie in der Musikindustrie erfolgreich werden können. Aber wenn das ab jetzt die Methode sein sollte, mit der manche Kinder berühmt werden, drängt sich nicht nur aus ethischen Gesichtspunkten die Frage auf, ob man das, inklusive des Hasses, weiter unterstützen soll.
Die Auswirkungen des ganzen Online-Trubels auf die Entwicklung des Mädchens sind unabsehbar. Und vor allem in Lil Tays Fall erscheint die Rolle ihrer Mutter mehr als problematisch. Immerhin: Zumindest in dieser Hinsicht ist Lil Tay ein ganz normaler Kinderstar.
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