Bergwanderungen, Kuhkämpfe, betrunken skifahrende Hexen – es gibt viele Gründe, der Schweiz einen Besuch abzustatten. Suchen Touristen auf der Webseite des Reiseführers Lonely Planet nach weiteren Argumenten, stossen sie in der Kategorie “Praktische Informationen” auf einen Dämpfer. Dort warnt der weltweit grösste Verlag für Reiseführer nicht-europäische Gäste – und somit rund zwei Drittel aller Touristen – nämlich vor Racial Profiling in der Schweiz:
“Swiss police aren’t very visible but have a reputation for performing random street searches of questionable necessity on people of non-European background or appearance.”
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“Lonely Planet ist eine gut etablierte und weit verbreitete Plattform, deren Informationen zur Schweiz wir begrüssen”, schreibt Markus Berger von der staatlichen Marketingorganisation Schweiz Tourismus auf Anfrage von VICE und führt aus: “Allerdings nur, solange die Informationen auch zutreffen.” Berger kritisiert, dass die Behauptung, die Lonely Planet entweder ohne Recherche oder wider besseres Wissen publiziert habe, unzutreffend, unbewiesen und fast schon rufschädigend sei. “Das Problem von Racial Profiling existiert in der Schweiz nicht”, schreibt Berger.
Daniel Fahey, der bei Lonely Planet für die Schweiz zuständig ist, schreibt auf Anfrage von VICE: “Unsere Autoren haben den Auftrag, den Ort zu beschreiben, wie er ist. Ohne Angst oder Wohlwollen.” Selbstverständlich seien diese Einschätzungen nicht in Stein gemeisselt. “Wir sind uns bewusst, dass sich Orte verändern und aktualisieren unsere Beschreibungen regelmässig”, schreibt Fahey. Die letzte Einschätzung zur Schweiz stamme aus dem Jahr 2017 und werde in den kommenden Monaten überprüft.
Auch auf VICE: Ist die Schweiz rassistisch?
Auch die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS), ein Zusammenschluss aller grossen Schweizer Polizeien, widerspricht der Darstellung von Lonely Planet. “Ein solch pauschaler Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage”, schreibt die KKPKS-Medienstelle auf Anfrage von VICE. Themen wie Menschenrechte und Polizeiethik seien Teil der Grund- wie Weiterbildung verschiedener Polizeien. Die Sicherheitsstudie der Eidgenössischen Technischen Hochschule weise die Polizei ausserdem als die öffentliche Institution mit dem höchsten Vertrauen aus – mit einem neuen Höchststand im Jahr 2017.
Tatsächlich haben vereinzelte Polizeien in der Schweiz Massnahmen eingeführt, um Racial Profiling zu vermeiden. Die Stadtpolizei in Zürich etwa testet unter anderem Bodycams, um das “Fehlverhalten Einzelner” zu minimieren. Zudem müssen Zürcher Polizisten einer kontrollierten Person gegenüber jeweils begründen, wieso sie sie anhalten. Trotzdem gibt es kein Gesetz, das Racial Profiling verbietet.
2018 wurden bereits zwei Fälle angeblich rassistisch motivierter Polizeikontrollen vor Gericht ausgetragen. Die Klage eines schweizerisch-kenianischen Bibliothekars wurde laut Tages-Anzeiger vor dem höchsten Schweizer Gericht abgewiesen, weil der Mann dem Blick des Polizisten ausgewichen sei und dadurch den Verdacht geweckt habe, gegen das Ausländergesetz zu verstossen. Das rechtfertige eine Kontrolle.
Im zweiten Fall wurde die Kontrolle eines Nigerianers verhandelt, der laut Anklageschrift von Polizisten verprügelt wurde, die ihn dabei als “Scheissafrikaner” bezeichnet haben sollen. Das Zürcher Bezirksgericht entschied: alles nach Vorschrift. Es habe eine polizeiliche Ausschreibung für eine “gut angezogene Person dunkler Hautfarbe” vorgelegen und der Mann habe die Situation eskalieren lassen. Der Anwalt des Manns kündigte an, den Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen.
Gerichtliche Urteile zu Racial Profiling sind jedoch umstritten. Die NGO “Allianz gegen Racial Profiling” kritisiert etwa, dass Richter oft voreingenommen seien, da sie die Polizistinnen und Polizisten kennen würden.
Ob Lonely Planet in den kommenden Monaten Anlass sieht, die Einschätzung zu ändern, wird sich zeigen. Klar ist, dass Touristen bis dahin auf der Webseite von Lonely Planet nach dem Minarettverbot und der Masseneinwanderungsinitiative einen weiteren Grund finden, die Schweiz für rassistisch zu halten.