Illustration, auf der eine Person aus Versehen eine andere anniest
Menschen

So ist es, Familie und Freunde mit Corona anzustecken

"Mein Vater und meine Stiefmutter haben seitdem nicht mehr richtig mit mir gesprochen." – Tess, 27

Jung zu sein, ist schwer genug. Wir haben Studienkredite, hohe Mieten und die fast unmögliche Aufgabe, einen Job zu finden, ohne fünf Jahre Arbeitserfahrung vorweisen zu können. Dann kam 2020 und gab uns den Rest: Jetzt leben wir auch noch in der ständigen Angst, die eigene Familie mit Corona zu töten. 

Niemand will dafür verantwortlich sein, seine Eltern ins Krankenhaus zu befördern, also habe ich meine dieses Jahr kaum besucht. Aber vor zwei Monaten – nachdem ich ein paar Tage bei ihnen gewesen war – musste ich mich in eine dreiwöchige Quarantäne begeben. Ironischerweise hatte meine Mutter den Virus durch ihren Job im Gesundheitswesen bekommen und uns angesteckt. Zum Glück wurde niemand von uns ernsthaft krank. 

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Aber nicht jeder hat so viel Glück. Das Jahr über haben Menschen unwissend ihre Geliebten, Familien und Freunde angesteckt – manchmal mit schwerwiegenden Konsequenzen. Wir haben mit drei Betroffenen gesprochen. 


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"Mein Vater und meine Stiefmutter haben seitdem nicht mehr richtig mit mir gesprochen" – Tess*, 27

Wir waren übers Wochenende zusammen weggefahren und meine Freundin bekam plötzlich eine verstopfte Nase. Sie ist ein bisschen hypochondrisch und wollte von diesem Moment an nur noch mit Maske in meiner Nähe sein. Ich erinnere mich, dass ich das damals ziemlich übertrieben fand. Rückblickend lag ihr Instinkt aber richtig. Wir wurden getestet und waren beide positiv.

Ich ging sofort davon aus, dass mein Freund auch positiv ist. Bei meinen Vater und meiner Stiefmutter war ich mir aber nicht so sicher. Ich hatte meinen Vater einen Tag, bevor bei mir die Symptome einsetzten, gesehen, weil er kurz vor einer großen Operation stand. Als ich ein paar Tage später meine Testergebnisse bekam, kam er gerade aus dem Operationssaal. Meine Stiefmutter informierte umgehend das Krankenhaus. Mein Vater wurde isoliert und direkt getestet. Da bekam ich richtig Panik. Mein Vater ist 60, übergewichtig und erholte sich gerade von einer schweren OP. Ich dachte ernsthaft, dass ich ihn umgebracht hätte. Irgendwie war sein Test dann aber negativ. Dafür wurde meine Stiefmutter das Wochenende darauf krank und verbrachte zwei Monate im Krankenhaus. 

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Mein Vater und meine Stiefmutter haben seitdem nicht mehr richtig mit mir gesprochen. Sie waren so wütend auf mich. Sie dachten, dass ich unvorsichtig gewesen war. Dabei hatte ich nur in einer Hütte auf dem Land Karten gespielt. Es ist hart, wenn andere denken, dass du dich selbst und andere in Gefahr begeben hast. Die Medien helfen auch nicht. Sie lassen es so aussehen, als könnte man das Virus nur bekommen, wenn man die Regeln bricht. Mein Vater und ich haben mittlerweile darüber gesprochen, aber wir verbringen die Feiertage dieses Jahr nicht zusammen. 

"Rückblickend hatte ich deutliche Symptome, aber ich dachte damals, dass ich mir das alles nur einrede." – Steffie*, 22

Monatelang habe ich mich streng an die Regeln gehalten. Als es aber Sommer wurde, wurden manche Restriktionen gelockert und ich hatte Lust auf Feiern. Also bin ich mit ein paar Freundinnen und Freunden zu einer illegalen Party auf einem Boot gegangen. Ein paar Tage danach rief mich einer von ihnen an und sagte, dass er Halsschmerzen habe, er würde sich testen lassen. Von meinem Kater abgesehen fühlte ich mich ganz normal. 

Ein paar Tage später begannen meine Muskeln wehzutun. Ich schob es auf mein Fitnessprogramm, mit dem ich gerade erst wieder angefangen hatte. Je näher das Wochenende kam, desto schlechter ging es mir. Aber ich hatte Urlaub und trank jeden Tag Alkohol, also schob ich es auf meine Kater. Rückblickend hatte ich deutliche Symptome, aber ich dachte damals, dass ich mir das alles nur einrede. Als mehrere Leute aus meinem Freundeskreis Symptome entwickelten, ließ ich mich testen. 

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Ich informierte meinen Freund, der zu der Zeit in einem Restaurant arbeitete. Er wurde direkt nach Hause geschickt und am nächsten Tag getestet. Als ich am gleichen Abend meine Suppe nicht schmecken konnte, war mir klar, dass ich Corona hatte. Unsere Testergebnisse waren positiv. Mein Freund war sehr verständnisvoll, aber ich fühlte mich schlecht. Das Restaurant, in dem er arbeitete, musste für zwei Wochen schließen. Die Pandemie hatte die Betreiber ohnehin schon hart getroffen. Obendrein landete mein Vater im Krankenhaus – nicht wegen Corona, sondern aus anderen Gründen – und ich konnte nicht für ihn da sein. 

Ich bekam die Konsequenzen meines Handels direkt zu spüren. Zu der Party zu gehen, war eine schlechte Entscheidung, aber ich hätte nie gedacht, dass es so eskalieren würde. Einen Monat später wurde sie wieder veranstaltet und ein Freund fragte mich, ob ich noch mal mitkommen würde. Ähm … nein.

"Ich war die erste Person in meinem Büro mit Symptomen, also musste er den Virus von mir bekommen haben." – Lars, 26

Meine Freundin wollte beim Einkaufen mit ihrer Mutter ein neues Parfüm ausprobieren, aber sie konnte nichts mehr riechen. Zuerst dachte sie, sie würde sich das Ganze nur einbilden, aber als ich Halsschmerzen und einige Tage darauf Fieber bekam, wussten wir, was los war. 

Ein paar Tage später fand ich heraus, dass einer meiner Kollegen ebenfalls Symptome hatte. Ich war die erste Person in meinem Büro mit Symptomen, also musste er den Virus von mir bekommen haben. Seine Frau und dreijährige Tochter steckten sich auch an. Ich musste mich mental darauf vorbereiten, dass seine Eltern es auch bekommen könnten. Glücklicherweise breitete es sich nicht weiter aus und seiner Familie geht es inzwischen gut. 

Mein Chef will nicht, dass ich zur Arbeit zurückkomme, weil ich noch immer ständig huste. Natürlich ist die Sicherheit der anderen am wichtigsten, aber es nervt mich trotzdem. Vergangene Woche musste ich meinen Geburtstag mit meiner Freundin und sonst niemandem feiern. Wir hingen ein paar Luftschlangen auf, aber Kuchen und Sushi sparten wir uns – ich kann eh nichts schmecken. 

*Name geändert

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