Am 26. Oktober 2009 um genau 4:44 Uhr nachmittags schoss der Fotograf Niccolò Berretta sein erstes Bild von den verschiedensten Menschen, die sich im Roma Termini, dem größten Bahnhof Italiens, tummeln. Wenn du in den letzten Jahren irgendwann am Hauptbahnhof Roms warst, dann stehen die Chancen gut, dass du Berretta gesehen hast. Oder er dich. In seinem riesigen Fotoarchiv finden sich Aufnahmen von Pendlern, Bahnhofsmitarbeiterinnen, Obdachlosen, Touristen und Anwohnern – alle fotografiert in dem für Berretta typischen, ungeschönten Stil.
Jetzt wurden die Fotos gesammelt im Buch Stazione Termini, Lookbook 2009-2021 veröffentlicht. Laut Berretta fasst ein Bild das Projekt perfekt zusammen: ein Porträt von einem älteren Mann im weißen Unterhemd. Deswegen wählte er das Foto auch für das Buchcover aus. "Der Mann sieht aus, als wäre er durch die Zeit gereist", sagt der Fotograf. "Der Kontrast zwischen ihm und den Leuten im Hintergrund ist genau das, was ich mit dem Projekt erreichen will."
Dieser Mann ziert das Cover des Buchs
Obwohl Berretta sagt, dass er es anfangs sehr komisch fand, habe er sich inzwischen daran gewöhnt, fremde Menschen zu fragen, ob er sie fotografieren darf. "Manchmal wollen sie wissen, ob ich Geld für das Foto will", sagt er. "Natürlich lache ich in diesem Moment darüber, aber wer weiß, vielleicht ist das ein Geschäftsmodell für die Zukunft." Berretta führt sein Projekt auch während der Corona-Pandemie fort. Da die Bilder im Buch aber nicht chronologisch sortiert sind, tauchen Menschen mit Mund-Nasen-Schutz zwischendurch immer mal wieder auf. Außerdem sind einige "Dauergäste" des Bahnhofs mehrmals im Buch zu sehen, sie sind inzwischen Freunde von Berretta.
Unter diesen Dauergästen ist zum Beispiel ein Taxifahrer, der eigentlich keine Arbeitserlaubnis hat und "sich jeden Morgen vor dem Roma Termini seine Fahrgäste sucht", so Berretta. "Er hat mir erst nach mehreren Jahren seine Geschichte erzählt. Aber mit der Zeit hat er mir sogar dabei geholfen, Fotos von anfangs zögernden Leuten zu machen – indem er anbot, ihnen als Gegenleistung einen Kaffee auszugeben."
Inzwischen hat Berretta sein Projekt auf den Garibaldi-Bahnhof in Neapel ausgeweitet. Dort habe er laut eigener Aussage mehr Erfolg: Von den 14 Leuten, die er beim ersten Mal um ein Foto bat, machten 13 direkt mit. Aber auch wenn der Fotograf im Hauptbahnhof von Rom öfter eine Absage hinnehmen muss, will er dort auch künftig Bilder machen. Wenn du Berrettas faszinierendes Projekt weiter verfolgen möchtest, kannst du das bei Instagram tun.