Käseblock wird in Truthahn geschoben, im Hintergrund ist Konfetti
Hintergrund: ADoseofShipBoyFlickr

 | CC BY 2.0

Popkultur

So verdienen drei Brüder mit ekligen Essensvideos Millionen

Das hier ist wie Worst of Chefkoch – auf Speed.

Lasagne mag wirklich jeder. Es gibt sie vegan und vegetarisch, man muss nur eine Handvoll Zutaten kaufen und kann quasi nichts falsch machen. Will man es noch einfacher haben – und gleichzeitig die Kalorien verzehnfachen, nimmt man statt Pasta Hackfleisch, statt Tomatensoße Schmelzkäse und statt der Béchamelsoße ebenfalls Hackfleisch.

Dann sieht dann so aus:

Food-Videos wie dieses werden seit zwei Jahren immer wieder in meinen Facebook-Feed gespült. Am Anfang war ich angeekelt – heute kann ich bei einem Käse-Hackfleisch-Schinken-Masaker nicht mehr wegklicken.

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Ekliger Foodporn auf Facebook ist meine Sucht. Nicht nur meine: Unter den Videos schwanken die Kommentare zwischen “Super Rezepte für Reste!” und “OH MEIN GOTT IGITT”. Die einzige meiner 667 Facebook-Freundinnnen, die ebenfalls Chefclub abonniert hat, ist meine Großtante Bärbel. Bin ich in eine Boomer-Falle getappt?


Auch bei VICE: Geständnisse eines Chefkochs


Eigentlich bin ich Küchensnob: Meine Mikrowelle ist quasi ungenutzt, aber vollgestellt mit stoffgebundenen Rezeptbücher britischer Sterneköche. In Mexiko habe ich ein paar Schuhe aussortiert, um im Koffer Platz für acht verschiedenen Chilisorten zu machen. Statt nach Las Vegas zu fahren, verbrachte ich meinen Kalifornien-Urlaub damit, winzige thailändische Imbisse ausfindig zu machen, die der verstorbene Food-Guru Jonathan Gold mal empfohlen hatte. Doch jetzt gucke ich mir an, wie man Würstchenhäuser mit Waffeldach baut, und wenn ich denke, es geht nicht mehr absurder, wird immer noch irgendwas frittiert oder mit zwei Kilo flüssigem Cheddar übergossen.

Mein Butter Chicken muss über Nacht in einer Marinade aus Limette und Joghurt und Garam Masala ziehen. Chefclubs Butterhähnchen besteht aus einem kompletten Hähnchen, in das eine Kartoffel und eine Karotte gesteckt werden, dann wird es mit etwa zwei oder drei Kilo (ja, Kilo) Butter zweifingerdick eingeschmiert und für eine unbestimmte Zeit gegart.

Die ersten großen Food-Video-Start-ups wurden schon vor fast zehn Jahren gegründet. Auch wenn der erste Boom vorbei ist, räumen sie bei Investitionsrunden noch immer zweistellige Millionenbeträge ab, berichtet Techcrunch. Die Giganten der Branche sind die US-Unternehmen Tasty und Tastemade, die neben halbwegs gesunden Food-Videos auch Koch-Shows produzieren. Auch die US-Konkurrenten sind mit vielen Videos deutlich über den Grenzen des okayen Geschmacks.

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Doch mit perversen Videos ist Chefclub nach eigenen Angaben mittlerweile Marktführer in Deutschland, Frankreich und China. Laut techcrunch.com erreicht Chefclub eine Milliarde organische Video-Views pro Monat. Alle Plattformen zusammengerechnet hat die Plattform, nach eigenen Angaben, so viele Fans wie Frankreich Einwohner.

Was ist die Strategie dahinter, mich und Großtante Bärbel in die Sucht zu treiben, wie sind die Gründer auf die Idee gekommen – und wie viel Geld verdient man an uns?

Wer quält monatlich so viele Menschen mit Amateur-Food-Porn?

Erste Überraschung: Chefclubs Firmenzentrale sitzt ausgerechnet in Paris. Der Hauptstadt der Gourmets, wo sonntags drei Gänge auf den Tisch kommen, die man bei uns nicht einmal aussprechen kann: Bouillabaisse, Pissaladière, Gougères.

Nicht so überraschend: Das Start-up mit dem ekligsten Essen des Internets wurde von drei Brüdern erfunden, die nicht kochen konnten: Thomas (36), Jonathan (34) und Axel Lang (32). VICE hat mit Thomas gesprochen.

Alles begann 2016, sagt er. Thomas und Jonathan hatten gerade mehrere Start-ups in den Sand gefahren und dabei Schulden gemacht. "Ich war richtig pleite, ich bin bei meinen Eltern in Paris eingezogen und meine Freundin hat mir alles bezahlt. Beim Weihnachtsessen versuchte mein Vater, uns zu überzeugen, dass es langsam reicht und Zeit sei für einen normalen Job." Der Jüngste, Axel, war zu dieser Zeit schon erfolgreicher Banker in New York.

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Bruder Jonathan hatte sich fürs neue Jahr vorgenommen, jeden Monat das Gericht eines berühmten Sternekochs nachzukochen. Im Januar war das Zitronen-Hühnchen. "Was rauskam, nannten wir PAIC Citron, nach der Spülmittelmarke. Genau so hat es geschmeckt."

Vor lauter Frust habe er die Küchenschränke geöffnet und stattdessen mit dem gekocht, was er darin fand. So entstand Chefclubs erstes Video: Eine furchtbare Variation des Schinken-Käse-Toasts ("Croque Monsieur"), bei dem der Schinken um das Toast herum gewickelt und dann in viel Fett gebraten wird. In wenigen Tagen klickten 300.000 Menschen auf das wackelige Handyvideo.

"Kurz darauf wussten wir: Da kann was draus werden." Eine Mischung aus Unterhaltung und Essen. Axel zahlte seinen Brüdern die Schulden und legte noch was drauf: für ein neues Start-up. Ein Businessmodell hatten die Brüder nicht, aber weil die amerikanischen Vorbilder erfolgreich waren und astronomisch schnell wuchsen, kamen in der Investitionsrunde 3,5 Millionen Euro zusammen.

Genießbares Essen versus Facebook-Klicks

Heute arbeiten 50 Menschen für die Brüder. Sechs davon sind Köche – keiner von ihnen darf an den Rezepten mitschreiben. Die werden stattdessen von der Marketingabteilung entwickelt. Die meisten Klicks erreicht Chefclub auf Facebook. In Deutschland und Frankreich hat Chefclub eine Medienpartnerschaft mit Snapchat Discover und bespielt TikTok und Instagram. Die meisten Chefclub-Opfer sind wie ich weiblich und zwischen 24 und 35 Jahre alt.

Geld macht man mit uns auf drei Arten, erklärt Thomas. Chefclub verkauft Kochbücher (eine halbe Million bisher), schaltet Anzeigen vor den Videos und will ab dem kommenden Monat Produkte lizenzieren: Kochgeschirr, Bücher, Games.

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Aber eine weitere Einnahmequelle liegt nahe: Daten. Die US-Konkurrenten haben bereits damit angefangen, ihre Reichweite und Community dafür zu nutzen. Food-Video-Gigant Tastemade stellt seit 2018 dem Sandwichunternehmen Subways Informationen über seine Nutzerinnen zur Verfügung – das damit neue Sandwiches entwickelt, berichtet das Wall Street Journal.

Berührungsängste mit der dunklen Seite des Internets hat Chefclub jedenfalls nicht. Im vergangenen Jahr flogen die Brüder für ein paar Monate ins Zensur-Land China, um zu expandieren. Zu Halloween sei das meistgeklickte Video eines von Chefclub mit 50 Millionen Klicks, sagt Thomas. Darin lernt man, wie man einen täuschend echten Teigdarm in Blutsoße zubereitet. Meistgeklickt in Deutschland ist übrigens eine Babybel-Variante von "Falscher Hase" mit 16 Millionen Aufrufen.

Thomas nennt die Rezept-Clips "Superieur Quality Content" und meint das ernst. Statt "besonders ekliger Videos" sagt er "unique positioning" und die Käse-Schinken-Massaker nennt er "Apéro" – also kleine Vorspeise. Waren die Brüder genervt vom Trend zu gesundem Essen? Auf keinen Fall, sagt Thomas. Mittlerweile gibt es sogar den Ableger "Light and fun" für kalorienarme Rezepte. Der Klickt allerdings nicht so gut.

Aber mal ehrlich der Cheddarblock im Truthahnbauch, der ist doch keine Geschmackssache – sondern objektiv eklig. Das muss er doch zugeben? "Wir bieten eine Show, um auf sehr umkämpften Plattformen zu bestehen", sagt Thomas diplomatisch. Als der Cheddar-Truthahn, wie alle Gerichte, in der Chefclub-Teamküche verkostet wurde, hat er sich allerdings zurückgehalten: Thomas und Axel sind Vegetarier.

Die Chefclub-Zuschauer und -Zuschauerinnen würden schon wissen, dass sie manchmal übertreiben und der Käseklumpen auch kleiner sein darf. "Niemand ist so weit darin gegangen, Essen unterhaltsam zu machen."

Ein Missverständnis will er noch ausräumen: "Obwohl alle das immer denken: Wenige Franzosen können richtig gut kochen." Eine davon ist allerdings die Mutter der drei Brüder: Eine Rohveganerin, die aus Gesundheitsgründen auch auf Kristallzucker verzichtet. Er und seine Brüder sind mit viel Sport und gesunder Ernährung aufgewachsen.

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