Sex nach einer Penisamputation
Illustration: Cathryn Virginia
Sex

Ellis hat seinen halben Penis an den Krebs verloren: So hat er Sex

"Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Penis. Danach tauchte ein kleiner Punkt auf meiner Eichel auf."

Nicht für alle, aber für einige Menschen mit einem Penis bedeutet das Organ fast alles. Der Penis ist Dreh- und Angelpunkt ihrer Sexualität, er beeinflusst ihre Selbstwahrnehmung, mit ihm steht und fällt oft das Selbstbewusstsein. Umso traumatischer ist es für sie, wenn sie durch eine Krankheit oder einen Unfall einen Teil ihres Penis verlieren oder er ganz amputiert werden muss.

Peniskrebs ist der häufigste Grund für eine Penisamputation, eine sogenannte Penektomie. Etwa 800 Menschen erkranken jedes Jahr in Deutschland an dieser speziellen Form des Hautkrebs. Vor allem Männer ab 60 sind betroffen. Nach dem Eingriff leiden viele unter Angststörungen und Depressionen, fühlen sich entmannt. Nur etwas über die Hälfte kann weiterhin eine Erektion bekommen. Weil dem Penisstumpf nach der Operation oft mit der Vorhaut, Bändchen und Eichel die sensiblen Stellen fehlen, spüren viele Amputierte bei Penetration und Oralsex kaum noch etwas. Nicht wenige entschließen sich deswegen, es ganz mit dem Sex zu lassen.

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Für Paare bedeutet so ein Eingriff einen radikalen Einschnitt. Nach der Operation müssen beide Seiten den Umgang mit Sexualität und Intimität neu erlernen. Ellis und Anne aus den USA haben das durchgemacht. 2017 musste sich Ellis nach einer Krebsdiagnose einer partiellen Penektomie unterziehen. Da war er Anfang 40. Hier sprechen sie darüber, wie die Amputation ihr Sexualleben aus der Bahn geworfen hat – und wie sie es trotzdem schaffen, körperlich und emotional intim zu sein.


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Ellis: Anne und ich haben uns 1992 kennengelernt. Ich war 16 und sie 21. Keiner von uns hatte davor Sexualpartner gehabt. Aber wir hatten von Anfang an ein sehr aktives und abenteuerlustiges Sexleben. Früher habe ich auf dem Schulweg für einen Quickie immer heimlich einen Abstecher zu ihr gemacht. Nach meiner Schulzeit sind wir auf Partys gegangen und hatten draußen Sex. Wir waren da ziemlich locker.

Anne: Wir hatten Sex in einer Waschanlage.

Ellis: Ja. Als ich 20 war, hatten wir dann Kinder.

Anne: Ich würde sagen, wir sind auch danach noch abenteuerlustig geblieben.

Ellis: Es wurde schon ein bisschen ruhiger, aber so ist das halt.

Im Dezember 2016 waren wir in Schottland im Urlaub. Als wir Sex hatten, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Penis. Danach tauchte ein kleiner Punkt auf meiner Eichel auf.

Anne: Eine rote Stelle.

Ellis: Er hatte nur etwa drei Millimeter Durchmesser. Im Januar waren es schon zwölf. Im Februar war er dann noch einmal doppelt so groß. Mein Arzt meinte, dass es wohl eine Pilzinfektion sei, und verschrieb mir etwas dagegen. Aber es wurde nicht besser, sondern schlimmer und das immer schneller. Ich bin schließlich wieder zu meinem Arzt und der hat mich dann sofort zum Urologen geschickt, der eine Biopsie machen ließ. Ich glaube, er wusste sofort, was es war. Drei Tage später kam das Ergebnis: "Sie haben ein Plattenepithelkarzinom." Die Ärzte befürchteten, dass sich Metastasen in den Lymphknoten bilden würde.

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Wir wurden vor die Wahl gestellt: entweder eine Penektomie, bei der ein Teil oder der ganze Penis entfernt wird, oder ein experimenteller Eingriff mit unsicherem Ausgang. Bei der zweiten Methode wäre zwar mehr Penisgewebe erhalten geblieben, aber sie kam für mich nicht infrage, weil nicht garantiert war, dass sie den Krebs heilen würde. Ich bin der einzige in der Familie, der einen Job hat. Meine Frau hat aufgrund einer Lungenkrankheit seit 15 Jahren nicht gearbeitet. Der Gedanke, sie mit nichts zurückzulassen, war mein Grund, die lebensrettende und nicht die lebensqualitätsrettende Variante zu wählen. Ich hoffte auch einfach, dass nur ganz wenig entfernt werden muss.

Anne: Die andere Option klang auch extrem schmerzvoll und ungewöhnlich.

Ellis: Der Urologe war eine Woche weg, aber sobald er zurück war, hatte ich die OP. Um 19 Uhr ging es los, um 21 Uhr war alles fertig.

Anne: Wir hatten nicht besonders viel Zeit, das alles zu verarbeiten. Ich wusste, dass sich unser Leben nach der Operation verändern würde, aber nicht wie. Wir hatten nur das Wort Krebs gehört und wollten vor allem, dass er überlebt. Der Arzt wusste auch nicht, wie viel er wegnehmen muss.

Als er in den Operationssaal kam, fragte ich den Arzt, ob Ellis über Nacht bleiben muss. Er sagte: "Nein, Patienten bleiben in der Regel nicht für so einen Eingriff über Nacht. Wenn Sie sich den Finger abschneiden würden, würden Sie auch nicht über Nacht bleiben." Ich dachte mir nur: "Wow, das ist ein bisschen mehr als nur ein Finger." Ich konnte nicht glauben, was er da für einen Vergleich angestellt hatte. Ellis blieb am Ende doch über Nacht, weil sie nicht wussten, wie er auf die Anästhesie reagieren würde.

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Ellis: Ich verlor meinen halben Penis.

Weil ich nicht beschnitten war, hatte der Arzt ein bisschen mehr Haut, um damit einen Teil zu rekonstruieren. Mir hatte es vor der Vorstellung gegraut, wieder nackt mit einer Gruppe Männer in einer Umkleide zu stehen. Der Urologe meinte aber von selbst: "Ich mache Sie bereit für die Umkleide." Das hat mich beruhigt.

Nach der OP war ich vor allem mit der Heilung beschäftigt.

Anne: Was ziemlich schmerzhaft war.

"Ich glaube nicht, dass er noch irgendwas spürt, das in die Nähe eines Orgasmus kommt." – Anne

Ellis: Der Katheter war das Schlimmste. Nachdem der entfernt war, musste ich zu einer Onkologin und die entschied, eine doppelte Lymphknotendissektion durchzuführen. Diese OP war genauso schlimm. Sie haben Nadeln in meine Eichel und die Harnröhre gesteckt und bis zu den Lymphknoten durchgeschoben, um mich auf Krebs zu testen. Der Test kam sauber zurück. Nachdem ich mich davon erholt hatte, durfte ich wieder sexuell aktiv werden.

Als Erstes merkte ich, dass ich nichts mehr spürte. Das war schwer für mich zu verkraften. Sex und Masturbation hatten sich bei mir immer stark um meinen Penis gedreht. Selbstbefriedigung war außerdem ein wichtiges Ventil für mich, wenn ich Stress bei der Arbeit hatte. Das fehlt mir jetzt, seit drei Jahren schon.

Anne: Ich glaube nicht, dass er noch irgendwas spürt, das in die Nähe eines Orgasmus kommt.

Ellis: Eine Erektion zu kriegen und zu halten, ist extrem schwer geworden. Früher hatten wir auch gerne mal eine halbe Stunde ununterbrochen Sex. Jetzt sind wir froh, wenn es drei oder vier Minuten sind.

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Anne: Der Arzt hat ihm Viagra verschrieben und es hilft, aber es hat auch Nebenwirkungen. Er bekommt Rückenschmerzen und Kopfschmerzen. Am nächsten Tag hat er immer Probleme. Ein Quickie ist vielleicht ein Quickie, aber er ist immer noch besser als die Nebenwirkungen. Ellis steht auf Brüste. Er liebt meine Brüste. Also sage ich ihm, er soll meine Brüste anfassen. An manchen Tagen funktioniert das besser, an manchen gar nicht. Wir haben im Sexshop etwas gefunden, damit er seine Erektion länger halten kann. Es ist nicht super für ihn, aber es hilft.

Ellis: Der Urologe hatte angeboten, eine Pumpe in den Penis einzubauen, die bei Erektionen hilft. Sie würde das Gefühl aber auch nicht zurückbringen. Über das eine Gespräch ist es nie hinausgegangen.

Anne: Ich fände es auch unfair, wenn er eine weitere OP über sich ergehen lassen muss, ohne selbst etwas davon zu haben.

An manchen Tagen sind wir beide voll bei der Sache, an anderen funktioniert Sex überhaupt nicht. Wir mussten lernen, mit dem glücklich zu sein, was wir haben – wenn wir es haben. Das ist sehr hart. Ich glaube, noch mehr für ihn.

"Er hat nichts mehr davon, er fühlt nichts mehr." – Anne

Ellis: Ich versuche, beim Sex für sie da zu sein. Aber dann bewegt man sich falsch und weiß noch nicht mal, ob man noch drin bist. Wenn es richtig schlecht läuft, spielt man einfach irgendwelche Bewegungen durch, ohne zu wissen, ob sie funktionieren.

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Anne: Er hat sich deswegen schon sehr schlecht gefühlt. Aber ich sage immer: "Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben. Wenn wir jetzt die Quickie-Meister werden, dann ist das halt so."

Für mich war eine der großen Veränderungen Oralsex. Das hatte mir mit ihm sehr gefallen. Aber jetzt ist das … sinnlos? Er hat nichts mehr davon, er fühlt nichts mehr.

Sechs Monate nach der Penektomie meinte der Arzt bei einem Nachsorgetermin, dass das Gefühl vielleicht wieder zurückkommt – oder auch nicht. Ein bisschen Hoffnung ist also da.

Ellis: Es würde zwar nicht wie früher werden, meinte er, aber etwas Gefühl sollte zurückkommen. Das einzige Gefühl, das bislang zurückgekommen ist, ist ein stechender Schmerz. Anne hat beim Sex vor allem Angst, mir weh zu tun.

Anne: Ich weiß nicht, ob der Arzt einfach versucht hat, uns etwas Hoffnung zu machen.

Ellis: Der Nerv wird nicht wie durch ein Wunder eines Tages zurückwachsen. Die Gewissheit, dass das Gefühl nie wieder zurückkommt … das macht einen schon fertig.

Anne: Als ihm klar wurde, dass das Gefühl nicht zurückkommen würde, hat er eine ziemlich wütende Phase durchgemacht. Das ist OK, das steht ihm zu. Er kann zwar mit mir über alles sprechen, aber ich bin kein Typ. Ich will es verstehen, aber ich kann es nicht. Ich erinnere mich, wie er diese ganzen Gefühle und die depressive Phase durchgemacht hat. Das Zusammenleben mit ihm in dieser Zeit war schwer, aber ich musste natürlich Verständnis zeigen. Er machte etwas durch, das er nicht kontrollieren konnte.

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"Allein, dass Anne jetzt offener mit Sex umgeht, macht mich an. " – Ellis

Ellis: Das Gesundheitssystem hat uns mit dem psychischen Aspekt alleingelassen. Wir haben kein Beratungsgespräch angeboten bekommen. Im Internet habe ich ein Forum für Männer mit Peniskrebs gefunden. Aber ich habe das nicht länger ertragen. Die ganzen Geschichten klangen genau wie meine. Und dann wurde mir klar, dass die Posts drei oder vier Jahre alt sind – und jetzt sind die Verfasser nicht mehr aktiv. Ich befinde mich gerade im dritten Jahr.

In ein paar Monaten muss ich wieder operiert werden und ich werde noch mehr von meinem Penis verlieren. Ich befürchte, dass das jetzt ein laufender Prozess wird und die immer weiter an mir rumschnippeln.

Anne: Ein paar Typen haben berichtet, dass ihre Frauen sie verlassen haben und solche Sachen. Ellis macht sich an manchen Tagen auch deswegen ein bisschen Sorgen. Ich sage ihm dann immer: "Ich gehe nicht. Ich bin für dich da." Wir haben darüber gesprochen, eine Therapie zu machen, aber am Ende haben wir uns dagegen entschieden. Rückblickend war das vielleicht ein Fehler. Aber ich hätte auch gar nicht gewusst, wo man dafür nach jemandem sucht.

Ellis: Online konnte ich auch nicht viele Sexratschläge finden. Viele Geschichten stammten von älteren Menschen, die kaum noch Sex haben. Ein paar meinten, dass es ihnen reiche, ihre Frauen mit den Händen zu befriedigen. Ich habe versucht, das in unsere Beziehung zu integrieren. Leider ist Anne extrem kitzelig. Es passiert manchmal, dass ich etwas mit ihr mache und erregt bin und sie dann sagt: "Warte. Stopp, Stopp." Sobald sie das sagt, ist alles bei mir sofort verschwunden. Game Over. Wieder an den Punkt zu kommen, ist dann fast unmöglich.

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Anne: Wir mussten lernen, anders zu kommunizieren. In deinen 20ern passiert der Sex einfach natürlich. Jetzt ist das eher so: "OK, wir haben diese Situation und müssen damit arbeiten."

Ellis: Ich habe noch keine Stelle an meinem Körper gefunden, die mir die gleiche Lust bereitet wie mein Penis früher. Aber wir befinden uns noch immer in der Probierphase. Allein, dass Anne jetzt offener mit Sex umgeht, macht mich an. Sie hat vorher nie viel gesagt.

Anne: Ich bin eigentlich keine Person, die die Initiative ergreift.

Ellis: Ja, das hat sich jetzt geändert. Sie hat schon ein paar Mal, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, spontan ihre Brüste gezeigt. Das hilft. Sie hat in der Hinsicht einige Dinge gemacht, die sich außerhalb ihrer Komfortzone befinden.

Mich treibt das Bedürfnis an, sexuellen körperlichen Kontakt zu haben. Für Anne ist das nicht ganz so wichtig. Kuscheln würde ihr vielleicht reichen. Aber auch das ist bei uns nicht ganz so einfach wegen Annes Krankheit. Sie schläft auf einem speziellen Krankenbett und ich in einem Einzelbett. Wir nennen Kuscheln den Grand Canyon überbrücken.

"Es ist vielleicht nicht mehr das Gleiche, aber wir schaffen es trotzdem noch." – Anne

Anne: Wir versuchen es weiter, Menschen brauchen diese Verbindung. Es geschieht vielleicht nicht mehr so regelmäßig wie früher und es ist vielleicht auch nicht mehr das Gleiche, aber wir schaffen es trotzdem noch.

Wenn Ellis sagen würde "Ich will keinen Sex mehr haben", wäre ich ein bisschen enttäuscht. Definitiv. Aber ich würde es auch verstehen, weil es ein medizinisches Problem ist. Ich würde ihn nicht drängen wollen. Aber weil er es weiter probieren möchte, probiere ich gerne mit. Es macht mich traurig, dass er nicht so viel davon hat wie ich. Ich fühle mich ein bisschen schuldig deswegen.

Ellis: Ich würde gerne sagen können, dass es besser wird. Aber momentan sehe ich das nicht. Wir versuchen es also weiter und kommen hoffentlich in ein Alter, in dem Sex nicht mehr so wichtig ist.

Ich habe andere Dinge gefunden, in die ich meine Energie investiere und die mich trösten. Ich bin ein Geschwindigkeits-Junkie. Wir haben uns einen Sportwagen gekauft, den wir zusammen benutzen. Das ist ein verbindendes Element geworden. Wir machen Touren über Landstraßen und haben einfach ein bisschen Spaß mit dem Wagen. Das hat für mich etwas das Stressventil ersetzt, das mir davor Sex und Selbstbefriedigung geboten haben. Ich kann einfach ins Auto springen, das Verdeck runter machen und das Adrenalin genießen. Sie fährt gerne mit und setzt sich zwischendurch hinters Steuer. Man muss sich halt andere Dinge suchen, die einen verbinden.

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