“Das erste Mal, als ich Mephedron probiert habe, war mit einem Kunden”, sagte Gabriel*, ein 29-jähriger Prostituierter aus London. “Und als ich weiterarbeitete, wurde es einfach viel normaler. Heute nehmen selbst die sehr wohlhabenden Kunden Mephedron.”
Gabriel ist seit fünf Jahren ein Teil der Sexindustrie und hat mit eigenen Augen gesehen, wie Drogen—nämlich Crystal Meth, Mephedron und GHB (oder „G”, ein flüssiges Lösemittel)—die Schwulenszene von London überschwemmt haben. Es gibt inzwischen einen wachsenden Teil der schwulen Szene, die sich an „Chemsex”, so die umgangssprachliche Bezeichnung, beteiligt und zu „Chillouts”—Sexpartys auf Drogen—geht.
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Obwohl Chemsex keinesfalls ein neues Phänomen ist, hätten Prostituierte ihm vor weniger als einem Jahrzehnt noch aus dem Weg gehen können. Doch die starke Ausbreitung von Mephedron und G—die beide billig, leicht zu beschaffen und hochgradig abhängig machend sind—hat dazu geführt, dass Drogenkonsum zu einem unausweichlichen Teil männlicher Sexarbeit geworden ist. Wenn die Männer heute genug Geld verdienen wollen, um über die Runden zu kommen, dann haben sie kaum eine andere Wahl.
„Von zehn Kunden im Laufe eines Wochenendes würde ich schätzen, dass etwa 80 Prozent Sex mit Chems wollen”, sagt der 33-jährige Dan*. Obwohl er zum Vergnügen mit Mephedron anfing, wurde es zu einem solch alltäglichen Teil seiner Sexarbeit, dass sein Gelegenheitskonsum zur Sucht wurde—und außerdem zum Einstieg in härtere Substanzen.
„Es war die Sexindustrie, die mich zum Slammen (Injizieren) und auf die härteren Konsumformen brachte”, sagt er. „Es war etwas, an das man sich einfach gewöhnen musste. Ich musste mit dem Slammen anfangen, um mit dem Trend Schritt zu halten, denn das ist es, worauf die Männer stehen. Sie wollen sehen, wie jemand slammt und einen steinharten Ständer kriegt.”
Da solch ein großer Anteil der Kunden nun Handlungen mit Drogen verlangt, können es sich nur sehr wenige der Prostituierten leisten, die drogenbasierte Sexarbeit abzulehnen. Dan und andere verlangen für Chemsex mehr—sein normaler Preis liegt bei 300 Pfund (ca. 425 Euro) und für Chillouts verlangt er 100 Pfund extra—, doch es wird häufig von ihnen erwartet, die Drogen selbst zu besorgen. Selbst dann gibt es keine Garantie, dass sie wirklich Geld verdienen werden.
„Die meisten Kunden erwarten von dir, dass du die Chems mitbringst”, sagt er. „Du gibst das Geld dafür aus und dann musst du noch die Spritzen bereitstellen und all das. Und dann, wenn du mit dem ganzen Herumgerenne fertig bist, hast du am Ende Verlust gemacht. Manche Kunden erstatten am Ende gar nichts; sie haben den ganzen Spaß und dann werden sie dich einfach los, wenn sie fertig sind.”
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Manchmal verzichten die Kunden sogar komplett auf Sex. „Es gibt tatsächlich Typen, die mich fragen: ‚Kriegst du irgendwo Zeug her?’”, sagt Dan. „Ich bringe es ihnen und das war’s dann—sie drehen sich um und sagen: ‚Du kannst jetzt gehen.’ Sie haben mich also schon öfter als Drogendealer benutzt. Das ist sehr verbreitet.”
Nachdem er schließlich einsah, dass seine Sucht außer Kontrolle geraten war, machte Dan einen Entzug. Obwohl Chemsex einen sehr großen Teil der männlichen Prostitution ausmacht, ist er nun besser gewappnet, Kunden abzulehnen, bei denen seine Sucht neu entfacht würde.
„Ich gebe zu, ich bin süchtig nach Crystal Meth und Mephedron geworden, als ich es so viel geslammt habe”, sagt er. „Aber ich kenne mein persönliches Limit, weil ich lernen durfte, wie man nein sagt, und weil ich einen Entzug gemacht habe. Leider ist Geld ein riesiger Anreiz. Je mehr Geld die Männer dafür bezahlen, dich zu vögeln, während du völlig durch auf diesen Drogen bist, desto mehr Drogen werden die Leute auch nehmen.”
Mephedron und G haben sich in der Schwulenszene als besonders beliebt erwiesen und ihr Aufkommen markiert den Anfang der unerbittlichen Integration von Chemsex in die Sexindustrie. Verglichen mit dem in London erhältlichen Kokain sind diese beiden Drogen leichter zu beschaffen, potenter und billiger. In Kombination mit den zunehmend verbreiteten Hookup-Apps wie Grindr, die die Organisation von Chillouts erheblich vereinfachen, ist es leicht nachvollziehbar, wie Chemsex sich sowohl in der Schwulen- als auch Escortszene festgesetzt hat. Die Drogen sind so verbreitet, dass selbst die BBC sich dafür interessiert.
„Früher, so vor zehn Jahren, war Ecstasy noch die große Sache und die Leute hatten Spaß beim Feiern im Club”, sagt Patrick, der seit über einem Jahrzehnt in der Prostitution ist. „Ich habe es auch genommen, aber ganz bestimmt nicht unter der Woche. Und dann änderte es sich langsam. Sobald G auftauchte, änderte sich die gesamte Clubbing-Szene von Grund auf.”
Mehr und mehr von Patricks Kunden bezahlten ihn für Chemsex und schließlich war er abhängig von G. Wie auch bei Gabriels Beziehung zu Mephedron fing er an, die Droge nicht nur mit Kunden, sondern auch in seiner Freizeit zu nehmen. Nachdem er sich professionelle Hilfe für seine Abhängigkeit suchte, verbrachte er sechs Monate in einer Entzugsklinik.
„Ich verließ den Entzug und wurde sofort wieder rückfällig, was Alkohol anging, und ich hab irgendwie verdrängt, wie das G war”, sagt er. „Ich nahm es alle anderthalb Stunden, und ich glaube nicht, dass es eine Therapie gibt, die einen über so etwas hinwegkriegt. Anfangs nahm ich es für die Arbeit … und dann wird man natürlich extrem schnell abhängig. Also ersetzte ich es mit Alkohol und inzwischen geht es so langsam.”
Das SWISH Project ist eine Londoner Beratungsstelle für Menschen in der Sexindustrie und eine der wenigen Adressen, an die sich Prostituierte wenden können, um Hilfe mit ihrer Sucht zu bekommen. Im Laufe der letzten 18 Monate hat SWISH einen riesigen Zuwachs unter männlichen Hilfesuchenden mit Suchtproblemen verzeichnet.
„Früher gab es eine kleine Anzahl männlicher Prostituierter, die wegen ‚Club-Drogen’ Hilfe gesucht haben. Heute gibt es mehr und mehr von ihnen, die mit Injektionsverletzungen und körperlichen Gesundheitsproblemen zu uns kommen, weil sie GBL, Crystal Meth oder Mephedron genommen haben”, sagt Paul Doyle, Drogenberater bei SWISH.
„Eines der zunehmenden Probleme, denen wir uns gegenübersehen, ist die wachsende Anzahl Prostituierter, die keinen Anspruch auf behördliche Unterstützung wie Entgiftung, Entzug und Unterkünfte haben”, fährt er fort. „Um die Chemsex-Praktizierenden vernünftig unterstützen zu können, brauchen wir besseren Zugang zu Geldern und Behandlungen, verbesserten Zugang zu psychologischer Hilfe und verbesserte Empfehlung an spezialisierte Projekte für Menschen in der Sexindustrie. Wir müssen auch sichergehen, dass die Kunden sich über die Gesetze sowie die emotionalen und psychologischen Folgen dieser Drogen im Klaren sind.”
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Wie bei so vielen in London fing die Chemsex involvierende Arbeit an, bei Gabriel ihre Spuren zu hinterlassen. „Ich muss zugeben, mein Mephedron-Konsum war zu einem gewissen Zeitpunkt … ich würde nicht sagen ‚außer Kontrolle’, doch es wurde zum Problem. Ich nahm es bestimmt zweimal wöchentlich. Oft fing ich an, indem ich es ein paar Stunden lang mit einem Kunden nahm, und dann ging ich mit Freunden feiern, oder zu einem Chillout oder so. Ich kenne auch viele Typen, die mindestens eine Dosis G vor jedem Kunden nehmen, weil sie psychisch mit der Escort-Sache nicht so besonders gut klarkommen.”
In vielen Fällen ist die Sucht bereits so stark, dass die Männer um der Drogen willen zu den Chillouts gehen, anstatt wegen des Geldes. Andere brauchen die Drogen, um den Sex über die Bühne zu bringen. Es gibt auch Probleme mit der sexuellen Gesundheit, da Drogen wie Mephedron Hemmungen verringern und so schnell zum Kondomverzicht führen können, was in einer Stadt, in der geschätzt einer von acht Männern, die mit Männern Sex haben, HIV-positiv sein soll, ein massives Risiko darstellt.
Die Sucht äußert sich auch körperlich. „Ich habe es bei extrem vielen Jungs gesehen, wenn ich ein Duo mit einem anderen mache. Sie sehen total fertig aus und ähneln ihren Fotos gar nicht mehr”, sagt Gabriel. „In den Bildern, mit denen sie werben, sehen sie super und muskulös aus, aber wenn du sie dann im echten Leben triffst, sind sie sehr oft untergewichtig oder außer Form, weil ihr Drogenkonsum einfach außer Kontrolle ist. Und sie nehmen ständig was, entweder miteinander oder mit Kunden.”
Abgesehen von den Langzeitschäden birgt Chemsex aber auch akutere Gefahren. G ist berüchtigt dafür, dass es schnell zu einer Überdosis kommen kann: Nur ein paar Milliliter zu viel könnten einen stundenlangen komatösen Zustand auslösen, und Gabriel war bereits Zeuge in Fällen, in denen Kunden absichtlich versucht haben, den Prostituierten eine Überdosis zu verabreichen, um sie auszunutzen, entweder sexuell oder indem sie gehen können, ohne zu bezahlen.
„Eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich mit einem Kunden hatte, war, als ich zu dem Kunden nach Hause fuhr, der ein wenig Mephedron genommen hatte”, sagt er. „Ich wollte an diesem Abend nichts nehmen, weil ich noch etwas vorhatte, und meine einzige Erklärung ist, dass er Crystal Meth im Gleitgel aufgelöst und mir in den Arsch gesteckt hat, denn ich war total von der Rolle, und das hielt sehr, sehr lange Zeit an.”
Gabriel sagt, er habe inzwischen die gelegentlichen Täuschungen und Tricks der Freier durchschaut. Wenn er Chemsex macht, verabreicht er sich seine eigene Dosis, nimmt entweder Kokain oder Mephedron und macht es nur mit Kunden, die er bereits kennt. Da er bereits recht viel Erfahrung hat, hat er einen Punkt erreicht, an dem er kaum noch wirbt und Stammkunden hat, von deren Geld er leben kann.
„Viele der Jungs sprechen nicht besonders gut Englisch, also kriegen sie solche Kunden nicht wirklich so oft und machen stattdessen viel mehr drogenbasiertes Zeug”, sagt Gabriel. „Das ist einer der anderen Gründe, warum ich es ganz gut hinbekomme: Ich bin Engländer und habe nicht so extrem viel Konkurrenz. Es gibt Kunden, vor allem Amerikaner und Engländer, die englische, australische oder amerikanische [Jungs] vorziehen, weil sie Englisch als Muttersprache haben.”
Gabriels Situation ist ungewöhnlich. Nicht jeder Prostituierte kann entscheiden, wie viel Arbeit, bei der es um Drogen geht, er annimmt. Für die meisten, vor allem für diejenigen, die gerade erst anfangen oder erst vor Kurzem nach Großbritannien gekommen sind, ist es die einzige Arbeit, die es gibt. Selbst Briten wie Patrick tun sich schwer, und auch wenn er es nun geschafft hat, keine Drogen mehr zu nehmen, ist er immer noch alkoholabhängig. Er ist der Meinung, die Sexindustrie komplett hinter sich lassen zu müssen, um einen kompletten Rückfall zu vermeiden.
„Ich bemühe mich, so gut ich kann, einen Weg hier raus zu finden”, sagt Patrick. „Ich hab mir langsam alles abgewöhnt: das Mephedron, das G und alles. Aber es ist ein riesiger Teil der Szene. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das ändern soll. Es gibt einen großen Teil von mir, der sich wünscht, dass ich nie etwas damit zu tun gehabt hätte. Ich versuche, so gut ich kann, aus all dem rauszukommen.”
„Und ich bete im Grunde zu Gott um mein Leben, dass ich irgendwie zurück zum Leben finde. Aber es führt dich einfach jedes Mal wieder an denselben Ort. Es ist eine brutale Welt.”
*Namen geändert.