Malbouffe: So geht es amerikanischem Essen in Paris

Erst drei Monate nachdem ich nach Paris gezogen war, schaffte ich es endlich, einen echten Bagel zu finden. Als gebürtige New Yorkerin habe ich natürlich zuerst die jüdischen Bäckereien in der Rue des Rosiers ausfindig gemacht. Hier gab es zwar Challa und Käsekuchen, aber richtige Bagels, wie ich sie aus New York kenne, konnte ich nirgends finden. Erst in einem kleinen amerikanischen Supermarkt, versteckt zwischen Cupcake-Glasuren und Oreos fand ich sie endlich: ein Sechserpack gefrorene Bagels von H&H Bagels [aus Manhattan].

Neun Jahre später sprießen Bagel-Restaurants in Paris wie Pilze aus dem Boden, mit irgendwie amerikanisch klingenden Namen und etwas abwegiger Interpunktion: Bagel Day’S, So Good Bagel, Bagel’s Family. Diese Restaurants haben nichts mit den schwer beschreibbaren New Yorker Delis zu tun, sondern zeigen, wie sich die Pariser Amerika vorstellen: entweder mit einer 50-er-Jahre-Aufmachung wie in einem Diner oder mit einer nackten Backsteinwand, denn auch in Paris ist man vom Brooklyn-Style besessen.

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So ein Laden ist auch das Mo’Bagels, das der Besitzer ursprünglich „Bagelness” nennen wollte. Er liegt in der Hipstergegend um den Canal St. Martin, eine Mischung aus einem Skateshop in Venice Beach und einer finnischen Sauna. Der wohl bekannteste Bagelladen in Paris, der Montag bis Freitag mittags hungrige Gäste versorgt. Morgens ist geschlossen, einen Bagel zum Frühstück, das ist selbst für die kühnsten Pariser ein Schritt zu weit.

„Ich würde niemals einen Bagel zum Frühstück essen”, meint der tätowierte, bärtige Besitzer und selbst ernannte Hipster Olivier Ottavi. „Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Und ich glaube, es geht vielen Franzosen so.”

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Das Mittagessen der Franzosen brauchte jedoch schon lange ein Makeover, meint zumindest Olivier.

„Wir haben keinen Bock mehr auf Sushi oder belegte Baguettes. Das essen wir eh die ganze Zeit”, meint er. „Mittlerweile will zumindest auch ein Teil der Pariser Bevölkerung neues Essen entdecken.”

Eigentlich gibt es Bagel—wenn auch nicht in der New Yorker Art—schon seit Jahrzehnten in Frankreich.

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Bereits 1946 wurden erstmals die polnischen beigel in der Rue des Rosiers verkauft: Joseph Korcarz, ein polnischer Jude, der aus Auschwitz befreit wurde, eröffnete hier seine Bäckerei. In Manhattan ist das „Brötchen” der aschkenasischen Juden erstmals um die Jahrhundertwende aufgetaucht, woraus dann später der „amerikanische Bagel” mit etwas festerem Teig aus einheimischem Mehl mit mehr Gluten entstanden ist.

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Während der Bagel also Amerika im Sturm eroberte—gerade auch nach 1963, als Daniel Thompson die Bagelmaschine erfunden hatte—, fanden polnische Juden, die nach dem Krieg nach Frankreich flohen, eine etwas andere kulturelle Landschaft vor als ihre amerikanischen Glaubensbrüder:Es gab in der gefestigten jüdischen Gemeinde keinen richtigen Platz für diese neumodischen beigel.

„In Frankreich isst man seine speziellen Gerichte nicht außerhalb der eigenen vier Wände”, erklärt mir Yaëlle Ifrah, eine französisch-jüdische Gastronomin. „Man kann sie zu Hause essen und dort ist man auch ein Einwanderer. Doch in Frankreich muss man sich anpassen.”

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Erst 1992 hat der Enkel von Joseph Korcarz, Alain Korcarz, angefangen, amerikanische Bagels mit dieser „kaugummiartigen Textur” zu verkaufen. Er meint, er sei der Erste gewesen sein, der diese Bagels auf Drängen von Mike Leisner vom Disneyland in Paris machte. Aus einem beigel einen Bagel zu machen, war kein einfaches Unterfangen: Nach sechs Monaten erfolgloser Versuche wandte sich Alain an einen Experten—nicht aus Polen, sondern aus den USA—, der ihm beibringen sollte, wie man einen echten New York Bagel macht: gekocht, innen etwas klebrig und fest, außen schön knusprig.

Und der Rest ist Geschichte. Disneyland Paris kaufte Alain eine Bagelmaschine aus den USA und danach backte er vier, fünf Jahre lang Bagels für den Erlebnispark, dann endete sein Vertrag.

„Die Europäer wollten solche Bagels einfach nicht”, meint er schulterzuckend.

Im Gegensatz dazu haben die Hipster-Bagel von Olivier definitiv einen Pariser Touch, gefüllt mit Lachs und Grapefruit oder Hähnchen mit Ananas und Currysauce. Doch auch er konnte die Pariser noch nicht von den vorgekochten Bagels überzeugen: Seine Teiglinge werden zwar von einer Amerikanerin gemacht, sind aber ganz anders als die aus New York.

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„In Frankreich existiert eine eigene Brotkultur. Wenn man da sein Brot nicht anpasst, würde es keiner essen”, meint Olivier.

Die gebürtige Amerikanerin Rachel Moeller von Rachel’s Cakes beliefert jeden Tag Mo’Bagels und andere Restaurants in Paris. Sie ist einer Meinung mit Olivier: Es wäre unmöglich, den Parisern einen echten gekochten Bagel zu verkaufen—und es ist nicht so, dass sie es nicht versucht hätte.

„Als wir mit Bagels anfingen, wollten wir es natürlich richtig machen und uns an traditionelle Methoden halten”, erzählt sie. Sie hat eine Bagelmaschine und einen Bagelkocher von Excalibur aus den Staaten importiert und bedampfte ihre Bagels vor dem Backen.

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Die Redaktionen waren nicht gerade berauschend.

„Die Kunden wollten, dass es mehr wie Baguette ist!”, meint Rachel. Also musste sie ihre Technik anpassen, sodass die Bagels zwar immer noch etwas klebrig, aber nicht zu klebrig und festsind.

Bei Rachel’s Cakes werden nicht nur Bagels, sondern auch Burgerbrötchen gebacken—auf 30.000 Buns kommen 5.000 Bagels. Diese Kombination ist kein Zufall: Für viele Gastronomen gehören diese zwei amerikanischen Importe, die außer ihrer runden Form und ihren irgendwie europäischen Wurzeln nichts gemeinsam haben, einfachzusammen.

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Für Olivier ist der Bagel sogar eine Art feminine Version des Burgers: „Als Mann esse ich eher einen Burger. Der ist groß, herzhafter, Männer sind einfach Fleischesser. Ein Bagel ist leichter, er ist gesünder.”

Diese Theorie hat mit den Backwaren selbst nichts zu tun, sondern mehr mit ihrem Belag: Für die Pariser bedeutet Bagel sofort ein belegtes Brötchen—nur mit einem Bagel gemacht. Ein Restaurant kombiniert sogar beides: In ihrem Laden First Avenue Restaurant & Bar bieten Besitzer Antoine Roche und Managerin Aude Le Bouter Burger und Bagels zusammen an.

„Anstelle eines Restaurants im New-York-Style aufzumachen, tat ich einfach so, als seien wir schon in New York und macht daraus ein internationales Restaurant”, erklärt mir Antoine. Allerdings ist die Karte komplett anders als alles, was ich bis jetzt in New York gesehen habe

„Die Bagels und Burger hatten wir schon immer, die gehören einfach zu uns dazu”, erklärt Aude weiter. Es gibt richtige Gourmet-Bagels, den Bagel „Little Italy” zum Beispiel mit Frischkäse, Prosciutto, getrockneten Tomaten, Zucchini und Pesto. Oder den „Louisana” mit würzigem Hähnchenfleisch, eingelegten Gurken, Frühlingszwiebeln, Cheddar und einem Ranch-Dressing.

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„Damit unseren Gästen nicht langweilig wird, spielen wir auch mit vielenZutaten aus der Neuen Welt”, erzählt sie weiter.„Frittierte Garnelen mit einer Thai-Vinaigrette zum Beispiel, oder manchmal arbeiten wir mit italienischem Burrata.”

Ich weiß zwar nicht so richtig, aus welcher Neuen Welt genau diese Zutaten kommen sollen, aber es scheint zu funktionieren. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass die meisten Gäste, wie Antoine erklärt, noch nie in den USA waren.

„So stellen wir Franzosen uns die Karte in einem amerikanischen Restaurant vor”, meint er. „Es geht nicht unbedingt darum, was dort tatsächlich gegessen wird, sondern darum wie die Gäste sich das Essen dort vorstellen.”

Das bedeutet in den meisten „amerikanischen” Restaurants in Paris BBQ-Rippchen und T-Bone-Steaks. Im First Avenue sind es Bagels, die, so glaubt Antoine, die Franzosen als „eine raffiniertere Version des amerikanischen Sandwiches sehen. Manhattan vs. New York.”

Ich komme selbst aus Manhattan und bin mir nicht so ganz sicher, was er damit meint.

Dieselben Pariser, die noch vor zehn Jahren bei „amerikanischem Essen” an malbouffe, also schlechtes Essen oder Fast Food gedacht haben, wie es von McDonald’s importiert wurde, zahlen jetzt bereitwillig 15 Euro für einen unterdurchschnittlichen Burger oder eine für Amerikaner etwas abwegige Bagel-Kreation—solange die Bedienung Flanellhemden trägt und irgendwo im Restaurant eine Karte der New Yorker Subway hängt. Dass die Franzosen endlich amerikanisches Essen akzeptieren, mag auch daran liegen, dass sie denken, dass das amerikanische Essen erst in Frankreich richtig gut geworden ist.

Malbouffe aus Amerika sehen wir immer noch überall, im Fernsehen und so weiter”, meint Aude. „Ich glaube, dass wir es in Paris viel raffinierter auf den Teller bringen.”

Eines muss man dieser neuen Generation Gastronomen allerdings lassen: Sie haben diese jahrzehntelange Verachtung aller ausländischen Gerichte überwunden, auch wenn es für mich alsAmerikanerin manchmal etwas gewöhnungsbedürftig ist, was sie daraus gemacht haben.