Der Labelbetreiber, der früher NS-Schriftsteller zitierte und heute nigerianischen Afrofunk veröffentlicht

Frank Gossner ist bekannt als jemand, der Sachen findet. In der überschaubaren aber aktiven Szene, die sich dem westafrikanischen Afro-Funk der 70er Jahre verschrieben hat, wurde er zur einer prominenten Figur, indem er vor allem in Ghana, Benin und Nigeria herumreiste, verloren geglaubte, obskure Alben ausgrub, seine Abenteuer auf dem erfolgreichen Blog Voodoofunk dokumentierte und Raritäten unter dem gleichnamigen Label neu auflegen ließ. Jetzt hat er wieder mal einen Fund gemacht, wenn es auch “nicht die Art diggen war, die ich genieße.”

Es geht um das österreichische Label Presch Media GmbH, kurz PMG, das vor ein paar Monaten in das Geschäft mit nachgepressten, internationalen Raritäten einstieg. Sogenannte Re-issues von Schallplatten, die im Original Hunderte oder Tausende Euros kosten, sind gerade zu Zeiten des Vinyl-Booms kein schlechtes Geschäft—allerdings auch kein unendlich profitables: Die Zeiten der hohen Stückzahlen ist vorbei und neben hohen Herstellungskosten zahlt ein ehrliches Label natürlich auch Lizenzgebühren an die originalen Rechteinhaber. PMG erschien dieses Jahr “aus dem Nichts” in der eigentlich gut vernetzten Re-issue-Szene und schoss fast schon auf wöchentlicher Basis verschiedenste Rare-Groove Neupressungen zu verhältnismäßig niedrigen Preisen in die Stratosphäre—von libyscher Disco Marke Ahmed Fakroun über jugoslawischen Jazz-Funk bis hin zu deutschem Fusion. Sogar ein Livealbum von Nico war dabei.

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Der Schwerpunkt des Labels liegt aber vor allem auf schwer gefragtem, kaum zu findenden nigerianischem Funk—genau der Bereich also, in dem auch der mittlerweile in den „Mittel-Altersruhestand” getretene Gossner mit seinem Label Voodoo Funk operiert. Gossner hatte das plötzliche Erscheinen von PMG natürlich mitbekommen und als sein Freund und Mitarbeiter, der nigerianische Autor, Historiker und Labelbesitzer Uchenna Ikonne, ihn um Hilfe bei Recherchen zu den teils dubiosen Geschäftspraktiken des Labels bat, willigte Gossner ein. Was er dabei ausgräbt, ist eine der absurdesten Geschichten, die die Re-issue-Szene in den letzten Jahren gesehen hat.

Diese Videodoku zeigt Gossners Labelarbeit in Westafrika und New York

Seine Nachforschungen bringen zu Tage, dass PMGs Gründer und Betreiber Markus Presch seit 1993 das Label Steinklang für experimentelle Elektronik, Neo-Folk und Noise betreibt, zunächst allerdings unter dem Namen Max Presch. Der Name des Labels wiederum lässt es bereits vermuten: Steinklang veröffentlicht Musik, die sich zumindest ästhetisch von Themen wie Heimat, Gewalt und dem Dritten Reich beeinflussen lässt. Sub-Labels mit Namen wie Sturmklang oder Heimatfolk, nach gesunkenen Nazi-Fregatten benannte Alben und ganz nebenbei auf Compilations gepresste Cover des Horst-Wessel-Lieds lassen die Frage zu, ob die Beziehung zu rechtem Gedankengut bei Steinklang rein ästhetischer Natur ist.

Gossner jedenfalls war schockiert und schrieb einen ausführlichen Facebook-Post zu der Angelegenheit, der gestern sofort auf reges Interesse stieß und auf Facebook weiterhin in voller Länge nachzulesen ist.

Markus Presch vs Frank Gossner: Was ist Faschismus und was noch Provokation?

Zu diesen Vorwürfen muss zunächst gesagt werden, dass die scheinbar apolitische, auf Provokation getrimmte Nutzung von Nazi-Ästhetik vor allem in den Genres Noise, Industrial und hartem Rock Tradition hat—man denke nur an Throbbing Gristle, an Joy Division oder Rammstein. Sogar die Tatsachen, dass Presch selbst unter dem Namen Rasthof Dachau ein Album mit Titel Blut & Boden veröffentlichtete, auf Werkcovern unmissverständlich Bezug zum Holocaust herstellte, in einem Track namens “Heilung” das Gedicht “Gestalteter Krieg” des NS-Schriftstellers und an der Ostfront gefallenen Waffen-SS Mitglieds Kurt Eggers rezitierte (was Gossner wiederum für ein Goebbels-Zitat hält) und mindestens einmal, nämlich 2003 im russischen St. Petersburg, in brauner Uniform auftrat muss noch nicht heißen, dass Markus “Max” Presch selbst ein strammer Neo-Nazi ist.

Das meint Presch, der für THUMP auf mehrmaligen Versuch hin telefonisch nicht zu erreichen war, auch in einem kurze Zeit später über PMG veröffentlichten Facebook-Post klargestellt zu haben:

An diesem Punkt scheint alles auf die alte Diskussion zurückzufallen, inwieweit es legitim ist, sich in der Musik provokativ Nazi-Ästhetik zu bedienen. Diese Debatte ist aber ermüdend und hat keine einfache Lösung—viel spannender ist doch die Frage, warum jemand mit einem über Jahre hinweg etablierten Label für die Art Musik, die sogar die sogar Rolling Stone als “uncoolste Musik des Planeten” bezeichnet, plötzlich die objektiv coolste und tanzbarste Musik des Planeten veröffentlicht: den Afrofunk der Siebziger.

Glaubt man Preschs Antwort auf Gossners Exposé, fand er vor fünf Jahren “seinen Frieden mit dem Herren” und widmet sich seitdem humanitären Projekten, zu denen er auch die Re-issue-Arbeit mit nigerianischen Künstlern zählt. Die faschistischen Themen im Katalog von Steinklang und Rasthof Dachau nennt er dadaistisch, bewusste Provokation mit dem Ziel, die Stille zu brechen, denn “Stille war der Grund für Auschwitz”. Dass Steinklang selbst noch nach Preschs Saulus-Paulus-artigen Konversion vom Spitznamen Max zurück zum bürgerlichen Markus die Platte Blut und Boden von Rasthof Dachau nachpressen ließ und bis heute unter diesem Namen agiert, erwähnt er nicht. Stattdessen wirft er Gossner vor, ein Konkurrent zu sein, der eine Schmierkampagne gegen ihn lanciert hätte.

Auf Anfrage von THUMP streitet Gossner dies entschieden ab, schließlich sei er vor einigen Wochen in den Ruhestand gegangen und lebe mittlerweile in Mexiko. Er leitet uns an Uchenna Ikonne vom Label Comb & Razor weiter, der zurzeit an einem Artikel über PMGs Lizenzverträge mit nigerianischen Künstlern arbeitet. Er vermittelt zwischen Labels und Musikern bei Lizenzfragen und ist—laut eigener Aussage—bei circa 99% der nigerianischen Reissues involviert.

Das Geschäft mit den Re-issues

Ikonne gesteht Presch und seiner PMG zu, dass sie die Künstler zwar bezahlen und (weitestgehend) offiziell lizensierte Platten verkaufen—allerdings seien die Verträge, um seinem Artikel nicht zu viel vorweg zu nehmen, oft fragwürdiger als bei anderen Labels. Deshalb rät er Musikern, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht mit PMG zusammenzuarbeiten. “Ich kann den Leuten nicht sagen, sie sollen das Geld nicht nehmen, wenn es ihre Familie für einen weiteren Monat oder eine weitere Woche ernährt, aber es ist ein schlechter Deal.”

Auf die Frage, wie Preschs mögliche politische Gesinnung dieses Geschäftmodell beeinflusst, antwortet Ikonne mir: “Die Art und Weise, wie er mit afrikanischen Künstlern zusammenarbeitet, hinterlässt bei mir den Eindruck, dass er sie nicht allzu sehr respektiert. Ich finde es sehr geschmacklos, die schwere wirtschaftliche Situation in Nigeria auszunutzen, um Menschen auf diese Art und Weise auszunutzen. Aber ob sich das jetzt auf eine rassistische Philosophie stützt, kann man nicht sagen.” Jedenfalls habe Ikonne bei einem Telefonat mit Presch den Eindruck gewonnen, es ginge dem Österreicher bei seinem Label nicht um die Musik, sondern um Profit.

Ohne Presch zu verteidigen, muss allerdings gesagt werden: ein Re-issue-Label—egal ob mit faschistoiden Gedankengut im Hintergrund oder nicht—verfolgt bis zu einem gewissen Grad immer kommerzielle Interessen. Die meisten Labels, die sich Neuauflagen afrikanischer Musik verschrieben haben, sind tendenziell klein, nordamerikanisch oder europäisch und werden von wohlhabenden, weißen Männern betrieben. Frank Gossner selbst stellt für viele Afrofunk-Fans ebendiesen Archetyp des Rare-Groove-Kolonialherren dar, der gemeinsam mit ein paar anderen wohlhabenden Philantropen die raren Platten Afrikas aufkauft, den Musikern für ihre Lizenzen einen Spottpreis zahlt und am Ende zu Geld macht. In einem mittlerweile gelöschten Kommentar zu seinem Post nannte ihn ein Kritiker auch den “Mann mit den Krokodilslederschuhen” und schon 2010 hatte ein Nutzer namens “Reynaldo” aus dem Soul-Strut Forum eine kleine Karte gephotoshoppt, in denen die Aufteilung Afrikas mit dem Lineal durch ein paar Reissue-Label-Betreiber wie Gossner, Kon & Amir, Duncan Brooker von Strut oder Miles Cleret von Soundway wiederholt wird:

Karte von “Reynaldo”

Im unterhaltsamsten Beitrag zu dieser deprimierenden Diskussion stellt sich jemand die Frage, ob ein ähnlich investigativer Post wie Gossners gerade auch durch die Foren für White Power Elektronik stattfindet: “Habt ihr schon gehört? Der Typ von Steinklang hat die ganze Zeit afrikanische Musik veröffentlicht. Jetzt ekelt mich meine Nazi-Drone-Sammlung plötzlich an, und zwar nicht auf die gute Art.”

Am Ende steht jedoch fest, dass bei allem Gekabbel und Zank, bei all den Leichen im Keller und bei all der Ausnutzung, der Endverbraucher mit seinem Lidl-Plattenspieler so oder so der Gewinner ist: Die Re-issue-Welle sorgt dafür, dass tausende Stunden extrem seltener, teurer und vor allem guter Musik vom gesamten Globus wieder für eine breite Masse zugänglich und erschwinglich werden. Wie bei Essen aus dem Supermarkt oder Klamotten liegt in diesem Bereich die Verantwortung beim Kunden, nachhaltig zu kaufen. Will heißen: Keine Bootlegs, von denen der Künstler/ Rechteinhaber nichts sieht, kaufen und keine undurchsichtigen Labels unterstützen! Denn auch wenn Markus Presch und sein PMG gerade im Fokus steht, ist es sicherlich nicht das einzige Label, bei dem es sich lohnen würde, zweimal hinzuschauen.

Aktualisierung vom 22. November 2016, 16:45: In einer ersten Version dieses Artikels hatten wir fälschlicherweise behauptet, die im Track “Heilung” von Rasthof Dachau zu hörende Passage sei eine Aufnahme Joseph Goebbels. Stattdessen handelt es sich um Markus Presch selbst, der Kurt Eggers zitiert. Das haben wir ebenso wie die sich auf diesen Umstand beziehenden Überschrift und Aufmachung korrigiert.

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