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Wohnungsmarkt

Zwei Obdachlose schalten die beste Wohnungsanzeige des Monats

"Wir sind zwei nette und vernünftige deutsche Obdachlose, die gewillt sind, ihr Leben in geordnete Bahnen zu bringen, beide Anfang 50, drogenfrei und keine Alkoholiker."
Foto: Rebecca Baden | Screenshot: eBay Kleinanzeigen | Smartphone: Pixabay | CC0

Wenn Menschen in Berlin nach einer Wohnung suchen, endet das oft in castingähnlichen Besichtigungen, Tränen und Verzweiflungsumzügen zurück nach Niedersachsen. Geht es dir so, hast du im Vergleich zu anderen Wohlstandsprobleme. Richtig schwierig ist es für jene, die keinen festen Job oder Wohnsitz vorweisen können und deren Schufa-Problem nicht mit der Beschaffung der Bescheinigung endet, sondern mit der Rechtfertigung der Einträge erst richtig losgeht. Dirk – Berliner, 53, ist seit anderthalb Jahren wohnungslos. Nun hat er sich etwas überlegt, um trotzdem an eine Wohnung zu kommen.

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Mit seinem Kumpel Stephan – 54 und ebenfalls ohne festen Wohnsitz – sucht Dirk nun bei eBay Kleinanzeigen nach einem "Vermieter mit Herz". In der Anzeige schreiben sie: "Wir erledigen viele Jobs, sind fleißig, drogenfrei und keine Alkoholiker." Dirk will, dass alle wissen, dass sie keine "Klischee-Obdachlosen" sind: "Wir sind relativ ruhige Zeitgenossen."

Als wir Dirk am Ku'damm treffen, ist Stephan gerade unterwegs, einmal in der Woche liefern sie Bierfässer für einen Großhändler. "Für eine Tour mit dem Lieferwagen bekommen wir 80 Euro", erzählt Dirk. Monatlich haben die beiden gemeinsam etwa 1800 bis 2000 Euro zur Verfügung, für ihre Wohnung wollen sie 600 Euro ausgeben.

Wir haben Dirk gefragt, wie die Suche läuft.

Screenshot: eBay Kleinanzeigen

VICE: Wie kam es dazu, dass du obdachlos wurdest?
Dirk: Ich lebe seit April 2016 auf der Straße, davor bin ich fast drei Jahre lang ohne festen Wohnsitz durch Deutschland gereist. Den Stein ins Rollen brachte meine letzte Beziehung, in der ich mit meiner damaligen Partnerin, einer schweren Alkoholikerin, und meinem schwerkranken Hund in Berlin-Spandau lebte. Wir hatten zwei Wohnungen: Oben haben wir gelebt, unten habe ich einen Online-Handel geführt, für den ich über eBay Mobiliar aus Gaststätten oder Bekleidungslagern verkauft habe. Mit einer alkoholkranken Person zusammenzuleben, war der reinste Psychoterror – wäre mein Hund nicht so krank gewesen, hätte ich mich früher getrennt.

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Als der Hund schließlich starb, habe ich einen Koffer gepackt. Dann habe ich erstmal ein halbes Jahr lang Urlaub an der Ostsee gemacht und Teile meiner Ersparnisse ausgegeben. Der Rest ging über die Zeit drauf: Urlaub, Reisen quer durch Deutschland. Weil ich als Selbstständiger keine Krankenkasse bezahlen wollte und chronisch krank bin – ich habe Asthma, chronische Bronchitis und einen Ohrspeicheltumor –, habe ich viel Geld für Medikamente ausgegeben. Kurzzeitig hatte ich ein Angebot, bei einer Bekannten zu wohnen, aber als sie zu mir ins Bett wollte, bin ich aus der Wohnung geflüchtet. Seitdem wohne ich auf der Straße.


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Warum suchst du erst anderthalb Jahre später eine Wohnung?
Ohne Arbeit bekommst du keine Wohnung, aber ohne Wohnung kriegst du auch keine Arbeit, weil du nicht polizeilich gemeldet bist und keine Sozialversicherungsnummer erhältst. Da nützt es auch nichts, bei der Bahnhofsmission eine Postadresse anlegen zu lassen. Letzten Winter haben wir zu sechst vor der Mensa der Technischen Universität geschlafen, bis der Sicherheitsdienst uns vertrieben hat. Dann mussten wir in Parks schlafen, weil es fast keine Hauseingänge mehr gibt, in denen man nachts liegen darf. Ich kann die Unileitung aber auch verstehen: Russische und polnische Obdachlose hatten gegen das Gebäude und die Autos der Mitarbeiter gepinkelt. Es hat nichts mit der Nationalität zu tun, aber in Berlin ist es ziemlich brutal geworden: Viele der Obdachlosen randalieren, sind gewalttätig oder beklauen sich gegenseitig.

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Foto: Rebecca Baden

Was erhoffst du dir von der Anzeige?
Stephan bekommt 400 Euro Rente, 450 Euro für den Mini-Job. Ich habe das Geld, das ich tagsüber am Ku'damm mache, oder manchmal welches von Tagesjobs, wo ich für andere Leute einkaufe oder schwere Sachen in ihre Wohnung trage. Das kann man zwar nie genau beziffern, aber insgesamt kommen wir auf 1800 bis 2000 Euro – genug Geld, um eine Wohnung zu finanzieren.

Auf dem Wohnungsmarkt hast du als Obdachloser allerdings keine Chance, deswegen versuche ich es seit etwa drei Monaten mit meinen Annoncen. Manchmal schreibe ich Sachen wie "Vermieter mit Herz gesucht" oder "obdachlos, deutsch, keine Chance". Dass ich deutsch bin, betone ich nur, weil auf der Straße so oft Menschen sagen, dass sie mir nichts geben würden, wenn ich kein Deutscher wäre. Wenn die Leute noch einigermaßen vernünftig wirken, erkläre ich ihnen, dass viele Ausländer mir Geld geben, obwohl manche von ihnen selber nicht viel haben. Oder dass Syrer sich sicher auch was anderes wünschen würden, als sich hier in Deutschland anpöbeln zu lassen, nachdem sie vor dem Krieg geflohen sind.

In der Anzeige schreibst du, dass ihr keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen wollt. Wieso nicht?
Du weißt nie, wer in sozialen Einrichtungen neben dir steht, sitzt oder liegt und was der für Viehzeug an sich hat. Ich beantrage grundsätzlich kein Hartz IV mehr, nachdem ich es vor meiner Selbstständigkeit mal versucht habe und fand, dass die einem zu viel Druck mit Bewerbungen machen. Wenn ich Pech habe, habe ich nachher einen Sachbearbeiter, der mich drei Mal die Woche vorlädt – obwohl er weiß, dass Obdachlose nicht so leicht einen Job kriegen.

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Screenshot: eBay Kleinanzeigen

Wie habt ihr eure jetzigen Jobs denn bekommen?
Meistens über Kleinanzeigen – ein Arbeitsgesuch habe ich nämlich auch veröffentlicht. Stephan und ich werden angeschrieben von Leuten, die ein Zimmer tapezieren wollen oder jemanden brauchen, der Einkäufe erledigt und schwere Sachen trägt. Manche pöbeln mich an, weil sie denken, dass ich illegal arbeite. Dabei sind es eher Minijobs, die wir ausführen.

Das heißt, die Anzeigen kommen gut an?
Die Leute reagieren unterschiedlich: Vor wenigen Tagen hat mich eine Frau angeschrieben, die zwar keine Wohnung anbieten konnte, aber für uns ein gutes Wort bei einer Wohnungsgesellschaft einlegen wollte. Im gleichen Moment hat mich einer angepöbelt, der zwar eine Wohnung hatte, aber auch eine Schufa-Auskunft und eine Verdienstbescheinigung von einem Arbeitgeber haben wollte. "Haben Sie die Anzeige eigentlich gelesen?", habe ich geschrieben. Dann hat er mir gesagt, dass wir uns die Wohnung eh nicht leisten könnten.

Die Wohnung, in der wir aktuell zur Untermiete sind, haben wir auch über die Anzeige bekommen. Eine der beiden Frauen, die uns das Zimmer vermieten, war früher selbst wohnungslos. Aus der Wohnung müssen und wollen wir aber bald raus: Das Paar lebt von Hartz IV und kann die Miete nicht mehr zahlen. Das Gas wurde schon vor fünf Jahren abgestellt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis nun auch der Strom weg ist. Das sind chaotische Zustände in der Zwei-Zimmer-Wohnung: Außer Stephan und mir laufen dort drei bis sechs Hunde rum, drei Katzen und zwei Ratten.

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Wenn viele Leute den Artikel lesen, meldet sich ja vielleicht wirklich jemand.
Ja, aber kein Link zur Anzeige! Das kannst du mir dann alles weiterleiten, ich will nicht, dass mein Handy dauernd klingelt. Ich versuche immer, nicht mit dem Handy rumzuspielen, während ich auf dem Ku'damm rumsitze, weil es einfach blöd aussieht: ein Obdachloser mit Smartphone. Mein Smartphone hat 80 Euro gekostet und die Angestellten der umliegenden Geschäfte haben mir bei der Finanzierung geholfen, weil sie Bescheid wissen wollen, wenn was mit mir ist. Bei meinem alten Handy war der Akku kaputt, das hätte ich dauernd aufladen müssen. Heute wäre das kein Problem mehr: Ich habe jetzt auch eine Powerbank.

Wenn ihr Dirk und Stephan bei der Wohnungssuche behilflich sein wollt, dann schickt eine Nachricht an dirkundstephan@vice.com.

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