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Sex

Ein Callcenter-Mitarbeiter zeigt, wofür er sein Geld ausgibt

Thomas, 36, bekommt im Callcenter 25 Franken pro Stunde und isst fast jeden Abend bei seinem Vater.
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In unserer Serie "Monatsbudget" zeigen Menschen aus den verschiedensten Schichten und Lebensrealitäten der Schweiz, wofür sie ihr monatliches Einkommen ausgeben.

"Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe", meine ich kurz angebunden, nachdem mir am Telefon die Vorteile eines neuen Handy-Abonnements heruntergebetet wurden. Ob mein unfreiwilliger Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung das auch ist?

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Ich drehe das Frage-Antwort-Spiel um und verabrede mich mit dem Callcenter-Mitarbeiter in einem Starbucks. Thomas, 36, hat eine kaufmännische Lehre gemacht. In den folgenden zwei Jahren verbrachte er immer wieder Zeit auf den Philippinen bei seiner damaligen Freundin. Nach der Trennung musste er von jetzt auf gleich einen Job finden und war deshalb froh um den leichten Einstieg beim Callcenter. Das war vor acht Jahren. Seitdem verkauft er als Vollzeit-Mitarbeiter aus unterschiedlichen Callcentern heraus so ziemlich alles vom Abonnement der Schweizer Familie bis hin zu Krankenkassen.

Ohne mich bezahlen zu lassen, begleicht Thomas den stolzen Preis von 15 Franken für zwei abartig süsse Caramelized Pecan Lattes mit seiner UBS-Karte und holt uns zwei Löffel, um die Getränke mit kaum aussprechbarem Namen vom 5 Zentimeter dicken Schaum zu befreien.

VICE: Wie viel Geld steht dir pro Monat zur Verfügung?
Thomas: Im Callcenter verdiene ich pro Stunde 25 Franken brutto. Mit so wenig Gehalt lohnt es sich nicht, mich vom RAV abzumelden. Ich verdiene ungefähr 3.000 Franken netto im Callcenter und bekomme zusätzlich 500 bis 700 Franken von der Arbeitslosenkasse. Ausserdem werde ich von meinen Eltern je nach Situation finanziell unterstützt.

Das ist keine besonders gute Bezahlung. Warum tust du dir den Job dennoch an?
Es stimmt, der eine oder andere würde mit einem Vollzeitjob im Callcenter vermutlich durchdrehen. Mir gefällt aber der Umgang mit Menschen.

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Arbeitest du auch auf Provision?
Ja, aber reich wirst du nicht dabei. Bis zu 50 Abschlüsse im Monat ergibt zum Beispiel 10% plus. Seit Juni arbeite ich in einem Callcenter in Dübendorf. Da habe ich am Anfang höchstens einen Abschluss pro Monat gemacht. Heute bin ich bei zwei bis drei Abschlüssen pro Tag. Es gibt auch Leute, die täglich ungefähr sieben Neukunden akquirieren.

"Die Uhr habe ich zur Konfirmation bekommen. Sie ist 200 Meter wasserdicht – so tief musst du auch erstmal tauchen können. Oder heisst es bei Katholiken Firmung? Jedenfalls war ich da wahrscheinlich das letzte Mal in der Kirche."

Wofür gibst du gerne Geld aus?
Für meinen Nissan Micra. Oder ich gönne mir in der Mittagspause zum Dessert eine 7-Franken-Tüte Marroni. Bei Kleidung gebe ich auch mal gezielt mehr aus. Zum Beispiel kaufe ich mir für besondere Anlässe schon mal eine 300 Franken teure Hose von Diesel.

Gehst du gerne shoppen?
Obwohl das atypisch sein mag für einen Mann, gehe ich tatsächlich gerne einkaufen. Vor drei Jahren habe ich einer Freundin eine Handtasche von GUESS geschenkt, weil sie so ein grosser Fan der Marke ist. Weil die mittlerweile schon etwas ausgefranst ist, waren wir kürzlich zusammen auf Handtaschensuche.

Wofür gibst du nicht gerne Geld aus?
Fürs Parkieren. Deshalb nehme ich auch nur das Auto zur Arbeit, wenn ich mit dem öffentlichen Verkehr zu spät kommen würde. Fast täglich fahre ich fürs Abendessen zu meinem Vater – das spart auch Geld.

Wie wohnst du?
Ich wohne alleine in Adliswil und bezahle 1.395 Franken Miete für meine Wohnung. Eineinhalb Jahre lang hatte ich unter der Hand einen WG-Partner. Vor einem halben Jahr ist er dann plötzlich nicht mehr aufgetaucht. Nicht einmal seine Freundin weiss, was passiert ist. Ich mache mir schon Sorgen um ihn, aber wenn er irgendwie kann, wird er sich schon melden.

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Hast du Schulden? Oder schuldet dir jemand Geld?
Einerseits habe ich Betreibungen, andererseits Schulden unter Kollegen. Ich halte mich daran, diese regelmässig in Raten zurückzuzahlen. Wenn ich umgekehrt die Möglichkeit habe, jemandem Geld zu leihen, gebe ich das gerne und erwarte es auch nicht zurück. Wenn es dir jemand zurückgeben will, gibt er es von sich aus.

Was ist dein täglicher Luxus?
Meine Anti-Müdigkeits-Feuchtigkeitscreme von L'Oréal Men Expert.

Was ist das Teuerste, das du im letzten Monat gekauft hast?
Meine neue Brille für ungefähr 500 Franken. Bis vor Kurzem hatte ich eine Hornbrille, die aber in die Brüche gegangen ist, als ich am Greifensee auf das Kind einer Freundin aufgepasst habe. Es wollte nicht gehorchen, ich bin laut geworden und dann hat es geweint. Darauf ist ein 20-jähriger Mann in forschem Schritt auf mich zugekommen. Er wollte wissen, ob ich der Vater sei. Als ich verneinte, schlug er mich zu Boden und meine Brille war dahin. Mein Spitalaufenthalt wegen dem blutenden Auge hat zum Glück die Unfallversicherung meiner Firma bezahlt.

Wofür gibst du zu viel Geld aus?
Für Frauen, die ich über verschiedene Plattformen wie Badoo oder Lovescout kennenlerne. Manchmal sind diese noch in Ausbildung und können sich die Kosten für die Anfahrt zum Date nicht leisten. Da kommt es vor, dass ich meinem Date die Kosten für die Anfahrt über Western Union überweise. Je nachdem, ob sie dann wirklich zur Verabredung kommt, merke ich relativ schnell, ob sie mehr an mir oder an Geld interessiert ist. Ich merke aber schon auch, dass ich mehr auf mich selbst schauen muss. Wenn die Frau selber einen Job hat, kann sie ihre Sachen selber bezahlen.

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Wann bist du das letzte Mal verreist?
2014 habe ich in Tansania eine Frau kennengelernt. Seither bin ich viermal jährlich für eine Woche nach Daressalam geflogen. Weil Skype nicht immer funktioniert, habe ich damals auch manchmal für ein halbstündiges Telefongespräch 60 Franken bezahlt. Ich habe mir erhofft, nach der Fernbeziehung eines Tages mit ihr zusammenzuleben. Im Sommer ist sie dann zum ersten Mal in die Schweiz gekommen. Den Umweg über Paris zu einem anderen Mann verschwieg sie mir.

Wen beneidest du?
Leute mit viel Geld, die aber dennoch nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, sind meines Erachtens nicht beneidenswert. Ich beneide jemanden mit Frau, Kindern und Eigenheim mit Garten, der einen für sich richtigen Weg gefunden hat.

Was ist das Wertvollste, das du je verloren hast?
Materielle Sachen kannst du ersetzen. Vielleicht also eine Freundschaft, die abgebrochen ist.

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