FYI.

This story is over 5 years old.

Das System

"Lieber tot" als in den Unterricht: Ein Hochbegabter verzweifelt an der Schule

Die Eltern können nichts tun, auch das Jugendamt nicht. Jetzt muss das Gericht entscheiden.
Foro: Imago | Joker

Der Junge ist 15 und er schafft es nicht, in die Schule zu gehen. Seit Jahren nicht, schon in der ersten Klasse fehlte er oft. Eine Schulamtsärztin habe bereits vor Jahren festgestellt, dass der Junge hochbegabt sei, und die Eltern davor gewarnt, ihn zu sehr unter Druck zu setzen. Daher zwangen sie ihn nicht, sich in den Unterricht zu schleppen. Den Eltern aus Warendorf im Münsterland droht deswegen jetzt ein Zwangsgeld von Seiten des Schulamtes. Sie wehren sich und klagen gegen die Bezirksregierung. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster steht noch aus.

Anzeige

Die Mutter will ihren Sohn schützen, er sei "sensibel". "Was machen Sie mit einem Kind, das nachts weint und wimmert und sagt, es wäre lieber tot, als zur Schule zu müssen?", fragt sie in den Westfälischen Nachrichten. Obwohl er nicht in die Schule geht, scheint sich der Junge seinem Alter entsprechend zu entwickeln. Das zeigt ein Gutachten, das die Zeitung zitiert. Der 15-jährige habe einen "altersentsprechenden Wissensstand und soziale Kompetenz". Die Zeitung kennt den Namen des Jungen, sie nennt ihn aber Jan, damit er anonym bleibt.


Auch bei VICE: Wie man Kinder dazu bekommt, zur Schule zu gehen


Auch die Mitarbeiter des Jugendamtes schaffen es nicht, Jan dazu zu bewegen, in die Schule zu gehen. Jetzt wollen sie den Eltern ein Zwangsgeld aufbrummen. Dies kann verhängt werden, wenn ein Kind die Schulpflicht verletzt. Über die Höhe bestimmt das Gericht, in ähnlichen Fällen mussten die Eltern zwischen 500 und 1.500 Euro Strafe zahlen. Die Zwangsgelder können aber immer und immer wieder verhängt werden, sodass sie sich ordentlich summieren können. Werden die Strafen nicht gezahlt, kann es sogar Gefängnisstrafen geben.

Der Anwalt der Familie, Andreas Vogt, bezweifelt, dass Zwangsgelder überhaupt etwas bringen würden. Er habe "Bauchschmerzen" damit, Erziehung über diesen Weg durchzusetzen. Ihm wäre es lieber, wenn der Fall vor einem Familiengericht verhandelt werden würde. Die Aussage überrascht, denn das Familiengericht könnte nicht nur Strafen verhängen, sondern den Eltern sogar das Sorgerecht entziehen.

Der Anwalt weist darauf hin, dass auch der Vater psychische Probleme habe und Jan der Situation nicht gewachsen sei, er habe starken Ausschlag bekommen. Die Mutter hält ihren Sohn für "nicht therapierbar". Derzeit sei der 15-Jährige auch nicht in Behandlung. Der Schulbehörde reiche die Aussage der Amtsärztin nicht, die den Jungen hochbegabt nannte. Es fehle an einem aktuellen Gutachten, das Jan "Schulunfähigkeit" bescheinigt. Dabei tun sich Schulen insgesamt schwer mit Hochbegabten.

Spiegel Online beschreibt in einem Artikel die Leiden vieler Hochbegabter, die am Schulsystem verzweifeln. Sie haben Depressionen, chronische Schmerzen und nicht Wenige drohen, sich selbst etwas anzutun, wenn sie nicht aus der Schule genommen werden. "Hochbegabte Kinder hinterfragen viel", sagt Gabriele Hartl gegenüber Spiegel Online, sie leitet als Geschäftsführerin eine Schule für Hochbegabte in Hamburg. "Die werden kratzbürstig, wenn sie das Gefühl haben, von außen bestimmt zu werden." Ohne Druck und Fremdbestimmung scheint es bei Jan aber nicht zu gehen. In seinem Fall besteht die Behörde darauf, alles zu tun, damit der Junge seiner Schulpflicht nachkommt. Wie die Schulrätin versichert: "Natürlich mit gewaltfreien Maßnahmen".

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.