Wie #DepressionMemes mein Leben erleichtert haben – obwohl ich nicht depressiv bin
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Memes

Wie #DepressionMemes mein Leben erleichtert haben – obwohl ich nicht depressiv bin

Memes, die Überforderung und depressive Gedanken thematisieren, gibt es überall. Ist das gut?

Instagram ist nicht nur eine App, sondern eigentlich eine Kriegserklärung an uns. Ständig schöne Menschen sehen, die immer auf Reisen sind, immer auf Achse und "den Traum" leben – das tut weh. Man könnte meinen, dass es jedem besser geht als einem selbst. Nach einer Studie der britischen Gesundheitsorganisation Royal Society for Public Health hat Instagram einen negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit von jungen Nutzern. Es gibt allerdings sowas wie eine Gegenbewegung im World Wide Web. Wenn du zu arm bist für die Weltreise und zu hässlich für den Modeblog, muss du nicht auf Ruhm im Netz verzichten. Du kannst auch Memes darüber machen, wie arm und hässlich du bist – #DepressionMemes.

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Memes sind quasi der Insider-Witz des Internets. Ein Screenshot aus einem Film, einer Serie oder von einem gesellschaftlichen Ereignis genommen, einen kurzen Text dazu geschrieben und – voilà – wir haben ein witziges Meme. Viele Memes drehen sich um eigentlich traurige Themen: depressive Gedanken, soziale Phobien und Überforderung mit dem Leben.

Depression-Memes findet man überall. Ob Instagram, Tumblr, reddit, imgur oder auch Facebook: Ein bisschen existenzielle Krise schadet nie.

Egal ob du nun ein Foto schießt mit, sagen wir mal, einem Becher Müsli, einer Flasche Bleiche und dazu den netten Untertitel schreibst: "The best way to start a day". Oder du einen Screenshot von den Simpsons nimmst, wo Bart traurig im Bett liegt, und es betitelst mit: "When you said 2017 is gonna be your year and now it's September and you're still fat, broke and depressed" – es ist eigentlich immer der gleiche Joke: "Haha, ich kriege nichts hin!" Auch ganz normale Stockfotos oder Bilder von Promis werden gerne zu Depression-Memes umgestaltet. Der Clou liegt im Titel, der aus dem banalsten Foto einen Akt der Verzweiflung macht.

Aber diese Memes sind nicht zwingend Ausdruck einer Depression, sagt Professor Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig: "Man muss hier zwischen einer Depression und einer Befindlichkeitsstörung unterscheiden."


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Eine Befindlichkeitsstörung umfasst, wir zitieren hier mal das Wissenschaftsmagazin Spektrum, "unspezifische subjektive Beschwerdesyndrome (meist Kopfschmerzen, Tagesmüdigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen oder wandernde Schmerzen), die […] unter bestimmten sozialen Voraussetzungen auftreten, aber mit keinen (eindeutigen) körperlich-neurologischen Befunden einhergehen". Übersetzt bedeutet das: wenn jemand sich krank, schlapp und leistungsunfähig fühlt, ohne dass es eine körperliche Ursache hat. Grund dafür ist häufig ein stressiger Alltag. Sounds familiar? Das ist etwas, was so ziemlich jeder von uns mal hatte, genau deswegen haben diese Memes auch so einen Erfolg und einen gewissen Sog – sie werden längst nicht nur von Depressiven geteilt.

Ich habe solche Memes irgendwann auf imgur und reddit entdeckt und fand sie sofort geil. Kurze Zeit später hatte ich auch gar kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich Leuten nur aus dem Grund absagte, dass ich gerade im Bett bleiben wollte. Deadlines? Warum sich drum kümmern? Fettigen Scheiß reinschlingen und ständig Nickerchen halten wollen? Das ist ein Lifestyle. Eltern und Freunde nicht mehr anrufen? So what?

Ich habe mich durch die Fülle an Memes in meinem Verhalten so bestätigt gefühlt, dass ich dachte: "Hey, das kann ja gar nicht schlecht sein." Alles nur ein Joke. Und so verlumpt man fröhlich vor sich hin. Irgendwann machte ich mir dann doch Sorgen – können solche Memes am Ende sogar zu einer Depression führen? Das glaubt Hegerl nicht. Er sieht dagegen ein ganz anderes Problem: "Für Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, wirken manche dieser Memes wie Hohn."

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Depressionen sind eine ernste Erkrankung, die immer noch nicht ernst genommen wird. In diese Kerbe hauen diese Memes. Denn den Balanceakt, zwischen darüber lachen und sich lächerlich machen, bekommen sie nicht immer hin. Ich sehe das auch immer wieder und habe dann kurz ein schlechtes Gewissen.

Doch deswegen diese Memes verteufeln? Das bringe ich nicht übers Herz, weil sie gar nicht darauf abzielen, sich über Depressionen lustig zu machen, oder gar jene, die daran erkrankt sind. Und unter den Nutzern, die sich diese Memes ausdenken, und denen, die sie verbreiten, finden sich auch viele Depressive.

Für den Rest thematisieren die Memes viel mehr eine Belastungsstörung und was damit einhergeht. Sie sind eine Absage an den Perfektionismus der sozialen Medien. Wer bei Instagram den Bauch einzieht, lässt ihn bei diesen Memes extra weit raushängen. Man braucht zumindest nicht mehr von sich angewidert zu sein. Anderen geht's genauso. Niemand kriegt sein Leben auf die Reihe, alle sind vom Erwachsenenleben vollkommen überfordert, wir sind alle gleich scheiße. Wo Instagram ausschließt, inkludieren Depression-Memes. Sie zeigen: Eine Befindlichkeitsstörung zu haben, ist normal, oder vielleicht auch nur ein paar Probleme oder einen schlechten Tag. Eine Krise zu haben, ist OK. Niemand ist so perfekt, wie er es gerne hätte.

Endlich kann man darüber sprechen, wie wenig man an seinem Tag geschafft hat und sieht: Anderen geht's genauso. Wir sind alle hilflose Menschen, die erwachsen sein spielen. Das führt sogar ein Stück weit zu einer Entstigmatisierung von Belastungsstörungen. Wenn man endlich merkt, dass es anderen auch so geht und dass man darüber sogar lachen kann, dann nimmt das auch den Druck, zu funktionieren. Und ja, manchmal will man einfach über das ganze Elend nur lachen. Im nächsten Schritt kann man dann wieder ernst darüber sprechen.

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Auch Hegerl muss zugeben: "Menschen, die unter Belastungsstörungen leiden, können diese Memes ein gutes Gefühl geben. Weil sie merken, dass sie nicht alleine sind."

Klar, man könnte sich auch die inspirierenden Geschichten anhören von Drogensüchtigen, die früher hinterm Bahnhof für ein paar Euro Schwänze gelutscht haben und jetzt Inhaber von drei Franchise-Bäckereien sind. Oder auf Instagram gucken, was für ein freshes Leben man jetzt führen könnte – im Sonnenuntergang auf den Malediven. Das sorgt für einen kurzen Motivationsschub – aber gleichzeitig für ein schlechtes Gewissen, weil man dann wieder alleine in der Bude rumhängt und nicht weiß, wann man das letzte Mal geduscht hat.

Depression-Memes dagegen geben eine kleine Verschnaufpause vom "All is perfect"-Vibe von Instagram, Facebook und Co. Trotz ihrer offensichtlichen Schwächen und meiner Erfahrungen: Sie geben mir immer noch ein gutes Gefühl und bringen mich zum Lachen. Sie machen das Internet etwas ehrlicher. Und wer das nicht aushält, kann sich #WholesomeMemes angucken.

Falls du dir um deine eigene psychische Gesundheit oder um die eines geliebten Menschen Sorgen machst, dann findest du hier Hilfe und weiterführende Informationen.

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