10 Fragen an einen Mönch, die du dich niemals trauen würdest zu stellen
Alle Fotos: Flora Rüegg

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10 Fragen

10 Fragen an einen Mönch, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Mastubieren Sie? Was nervt Sie an der katholischen Kirche? Glauben Sie ernsthaft, dass Maria Jungfrau war?

Eigentlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit, um Bruder Andreas zu fragen, was ein Mönch unter seiner Kutte trägt. Aber zum Treffen trägt er ein weißes T-Shirt, kurze Hosen und um seinen Hals ein Holzkreuz. Die Kutte, sagt er, ziehe er bloß für besondere Anlässe an und für Fotos. Er wolle eigentlich auch nicht als Mönch bezeichnet werden – und doch entspricht Bruder Andreas genau dem, was sich viele Menschen darunter vorstellen.

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Sein zu Hause ist das Franziskanerkloster im Berliner Stadtteil Pankow, er darf keinen Sex haben und keinen Besitz. Franziskaner sind streng genommen keine Mönche, sondern Ordensmänner. Denn sie erfüllen nicht alle Merkmale eines Mönch-Lebens. "Ein echter Mönch, zu denen zum Beispiel die Benediktiner zählen, muss immer im selben Kloster leben, in das er eingetreten ist", sagt Bruder Andreas. Er sei aber schon mehr als zehnmal umgezogen.

Eigentlich sei er ein freiheitsliebender Mensch und wäre gerne Vater geworden, sagt Bruder Andreas. Deshalb habe er auch wie vor einem Heiratsantrag lange überlegt, bevor er mit 20 ins Kloster eintrat. Heute ist er 51 und sagt: "Tja, man kann eben nicht alles im Leben haben."

Wir haben Fragen.

VICE: Waren Sie schon einmal verliebt?
Bruder Andreas: Ja. 1993 war das, da war ich gerade sechs Jahre im Kloster und habe Theologie studiert. Wenn ich daran zurückdenke, ist es immer noch ein wunderschönes und zugleich trauriges Gefühl. Im Kloster entsteht aus einer Liebe ja keine echte Beziehung. Ich weiß nicht, wie es ist, mit jemanden zusammen zu sein. Dafür hätte ich den Orden verlassen müssen und damals habe ich das tatsächlich überlegt. Zu 75 Prozent war ich mir sicher, dass ich austreten würde. Und dann habe ich mich doch gegen die Beziehung entschieden. Ich war vom Konzept des Klosterlebens einfach überzeugt. Aber manchmal würde es mich schon interessieren, wie es wäre, eine Freundin zu haben. Andererseits lebe ich jetzt seit 30 Jahren so. Ich gehe jeden Abend alleine schlafen und stehe morgens alleine wieder auf. Da gewöhnt man sich dran.

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Hatten Sie schon mal Sex?
Ja natürlich. Ich hatte ja auch ein Leben, bevor ich ins Kloster eingetreten bin. Und zur Pubertät gehört auch das Entdecken. Ich bin dankbar, dass ich Sex erleben durfte.

Diese Erfahrung ist etwas grundlegend Schönes. Aber als ich ins Kloster eingetreten bin, habe ich das Versprechen abgegeben, ehelos zu leben. Das heißt aus katholischer Sicht, ganz auf Sex zu verzichten. Da kann man sich schon fragen, ist das normal? Geht das überhaupt? Kein Mensch kann dieses Gefühl einfach ausschalten. Auf Sex zu verzichten, ist schwer für mich. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich daran denke. Es gibt Phasen, da habe ich gar keine Zeit dafür und mein Leben ist so erfüllt, dass ich kein Bedürfnis danach habe. Aber wenn ich unzufriedener bin, taucht der Wunsch viel stärker auf.

Bruder Andreas trägt einen Ehering als Zeichen dafür, dass er an Gott gebunden ist. Und übrigens: ein Smartphone dürfen im Kloster alle Mönche haben.

Mastubieren Sie?
Ja, das gehört mit dazu. Es ist ein Ausdruck des Lebendigseins. Auch wenn ich Sexualität mit einem anderen Menschen nicht teilen kann, gibt es trotzdem Momente, in denen ich sie erleben möchte. In der katholischen Morallehre ist ganz klar geregelt: Kein Mensch soll mastubieren. Weil Sexualtiät nicht dazu da ist, sich selbst zu befriedigen, sondern allein dazu dient, die nächste Generation zu erhalten. Und daraus leitet sich vieles ab: Selbstbefriedigung ist nicht erlaubt und Homosexualtität zu leben ist auch nicht vorgesehen. Das sind Themen, die dringend überdacht und neu bewertet werden müssen, weil wir ja über den Menschen viel gelernt haben, und da geht es nicht, nur hohe Ideale aufzubauen, sondern man braucht auch immer den Blick auf die Realität.

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Wollten Sie schon mal hinschmeißen und aus dem Kloster aussteigen?
Ja das wollte ich. Damals, als ich verliebt war, das war eine schwierige Zeit. Aber auch zwischendurch kam es ab und zu vor – besonders in Momenten, in denen ich frustriert war, mich nicht akzeptiert und wertgeschätzt gefühlt habe. Wenn ich mich gefragt habe, mögen mich die anderen Brüder überhaupt? Ich habe einmal in einer Gemeinschaft gelebt, wo es zwischen uns gar nicht geklappt hat. Das ging so weit, dass es richtige Intrigen gab. Wir sind von Streit nicht frei, nur weil wir im Kloster leben.

Schwierig wäre es nur aus emotionaler Sicht, aus dem Kloster auszusteigen. Es würde weh tun – wie bei einer Beziehung, wenn man sich nach Jahren trennt. Angst, keine Wohnung oder Arbeit zu finden, hätte ich nicht. Ich habe Theologie studiert und bin gelernter Erzieher. Da würde ich schon etwas finden. Vielleicht wäre auszutreten sogar ein ganz spannendes Abenteuer. Ich habe vieles ja noch nie in meinem Leben gemacht, nicht mal eine Steuererklärung.

Fühlen Sie sich im Kloster einsam?
Einsam fühle ich mich manchmal, wenn ich an das Alter denke. Ich habe ja keine eigenen Kinder und frage mich, wie ist das im Alter? Wenn andere Enkel und Kinder haben, die sie besuchen, wer kommt dann zu mir? Das macht mir manchmal Sorgen.

Grundsätzlich glaube ich aber, jeder Mensch kennt das Gefühl, einsam zu sein. In einer Familie ist es vielleicht einfacher, damit umzugehen, weil man als Ehemann und Ehefrau vertraut miteinander umgeht. Hier im Kloster ist das Zusammenleben oft distanziert. Wir sind eine geistliche Gemeinschaft, aber die anderen Brüder sind nicht unbedingt meine Freunde.

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Was nervt Sie an der katholischen Kirche?
Mich stört, dass die Kirche Sexualität immer verteufelt hat. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche Sexualität als etwas Positives wertschätzt. Wir können doch froh sein, dass wir sie haben. Warum wird sie dann unter moralischen Aspekten so negativ gesehen? Welche Angst hängt damit zusammen? Sexualität gehört zum Menschen. Wenn ich die Beichte abnehme, gibt es kaum eine, in der das Thema Sexualität nicht vorkommt. Da frage ich mich immer, warum müssen alle Menschen schuldbeladen durch das Leben gehen, weil sie angeblich irgendetwas im Bereich der Sexualität falsch gemacht haben? Ein Mitbruder hat mir gesagt, wenn jemand zu ihm kommt und meint, er hätte gesündigt, weil er sich selbst befriedigt hat oder weil er einen One-Night-Stand hatte, dann antwortet er jedem: Du gehst jetzt in die Kirche zurück und dankst deinem Herrgott, dass er dir diese Gabe geschenkt hat. Ich finde, diese Einstellung fehlt der Kirche.

Wie erklären Sie homosexuellen Menschen, dass sie in der Kirche nicht heiraten dürfen?
Ich habe homosexuelle Freunde, denn die Welt ist bunt und Berlin sowieso. Ich finde diese Unterschiedlichkeit total klasse. Aber wenn ich ein homosexuelles Paar in der Kirche segnen würde, könnte ich Ärger bekommen. Das finde ich schade, das predige ich auch so, und meine Freunde kennen meine Einstellung. Aber ich denke, lange kann sich die Kirche davor nicht mehr versperren. Vor allem weil wir uns doch fragen müssen: Warum werden Waffen gesegnet und Menschen nicht? Soll Gott Menschen, die homosexuell sind, nicht gewollt haben?

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Wer in dem Franziskanerkloster lebt, muss auch einen Job haben und Geld verdienen. Manche Brüder sind Ärzte oder Altenpfleger

Glauben Sie ernsthaft, dass Maria Jungfrau war?
Das glaube ich schon. Das gehört ja zu den ganz zentralen Grundlagen. Aber natürlich fragt man sich: Wie kann das sein? Man weiß ja, wenn sie ein Kind geboren hat, kann sie keine Jungfrau sein. Ich würde für mich sagen: Maria war einfach ein idealer, reiner Mensch, der eine ganz besondere Beziehung zu Gott hatte. Man darf nicht alles, was in der Bibel steht, wörtlich nehmen. Die Schöpfungsgeschichte ist für mich ein Bild und sagt nicht aus, dass wir tatsächlich am sechsten Tag erschaffen wurden. Vor ein paar Tagen habe ich eine E-Mail bekommen, in der stand, dass die Bibel der Beweis ist, dass es den Urknall nicht gegeben hat. Das ist doch Quatsch. Ich sehe Naturwissenschaft nicht als Konkurrenz zum Glauben.

Im Monat bekommt Bruder Andreas 60 Euro Taschengeld. Davon geht er manchmal ins Kino

Wann haben Sie zuletzt an Gott gezweifelt?
Spontan würde ich sagen, grundsätzlich habe ich noch nicht gezweifelt. Aber es sind Dinge in meinem Leben passiert, von denen ich mir wünschen würde, sie wären nie passiert. Ich habe zum Beispiel einen jungen Mann begleitet, als ich in einer Kinderklinik gearbeitet habe, und ich würde ihn wahnsinnig gerne nach Berlin einladen und sagen, komm vorbei, wir trinken heute abend ein Bier. Geht nicht, weil er mit 16 gestorben ist.

Und mit 18 ist mein bester Freund ganz plötzlich an Herzversagen gestorben. Bis heute frage ich mich, warum. Aber ich glaube nicht, dass Gott handelt, um Menschen Leid zuzufügen. Das Sterben gehört zu unserem menschlichen Dasein dazu. Wann es uns trifft und wie, haben wir nicht in der Hand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Leid Gottes Wille ist. Dann hätten wir ein Bild von einem Gott, der über jedes einzelne Leben entscheidet. Stellen Sie sich vor, Gott würde dauernd in Ihr Leben eingreifen. Da würden sie doch auch denken, Gott, du hast mir die Freiheit geschenkt, jetzt lasse mich mal in Ruhe. Bei Hitler hätten wir uns vielleicht gewünscht, dass Gott eingegriffen hätte. Aber dann müsste er es bei jedem tun können. Wir müssen Gottes Unbegreiflichkeit aushalten und akzeptieren, weil wir auf diese Fragen keine Antwort bekommen.

Sind sie schon mal im Gottesdienst eingeschlafen?
Nein. Unsere Zeiten sind sehr moderat. Wir sitzen nicht nachts um drei in der Kapelle und beten. Da würde jeder einschlafen. Wir beten um halb acht morgens und abends um sechs. Da ist es kein Problem, wach zu sein. Aber wenn es mal passieren würde, ja und? Das ist doch menschlich, mal müde zu sein. Und sowieso würde ich gerne festhalten: Das, was wir tun, machen wir freiwillig.

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