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So viel gibt die Polizei für Gesichtserkennung am Berliner Überwachungsbahnhof aus

Am Bahnhof Südkreuz in Berlin testet die Bundespolizei neueste Überwachungstechnik. Jetzt zeigen Motherboard vorliegende Zahlen des Innenministeriums: Das Teuerste an dem Experiment war nicht die Software.
Bild: imago | photothek

Über 100.000 Menschen am Tag nutzen täglich den Berliner Bahnhof Südkreuz, es ist der drittgrößte Bahnhof in Berlin. In die Schlagzeilen kam der Verkehrsknoten aber nicht durch seine Bedeutung fürs Um- und Aussteigen in der Hauptstadt, sondern für Experimente mit sogenannter intelligenter Videoüberwachung. Seit August 2017 testete die Bundespolizei zusammen mit Innenministerium, BKA und Deutscher Bahn, wie gut ein automatisches System Gesichter erkennen und so Personen identifizieren kann. Nach einem Jahr ist dieser Test nun abgeschlossen.

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Wie teuer das Experiment insgesamt war, zeigt nun eine Motherboard vorliegende Auskunft des Innenministeriums. Bisher waren lediglich die groben Kosten für das erste halbe Jahr Miete der Gesichtserkennungssysteme bekannt: 60.000 Euro waren damals einkalkuliert, doch die Experimentierphase verlängerte sich um ein halbes Jahr. Am Ende kosteten die drei verschiedenen ausprobierten Systeme 104.000 Euro. Doch die Miete für die Systeme der Hersteller Anyvision, Herta Security und IDEMIA war dabei nicht der größte Kostenfaktor, zuvor unbekannte Ausgaben kamen dazu: insgesamt 158.000 Euro. Das Geld für alle Kosten kommt aus dem Budget der Bundespolizei.

Das teuerste daran, antwortet die Bundesregierung auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner, war das sogenannte "Referenzsystem" mit 72.800 Euro. Dabei handelt es sich um ein Vergleichssystem, das überprüfen soll, ob die installierten Gesichtserkennungssysteme auch wirklich richtig lagen. Dafür wurde Teilnehmenden, die sich freiwillig gemeldet hatten, ein Transponder mitgegeben, den sie immer mit sich führen sollten. Befinden sich die Versuchspersonen im Umkreis des Testbereichs, registriert ein Empfänger den Identifikationscode des Transponders und weiß, wer gerade durch den Bereich läuft. Kommt die Gesichtserkennung zum gleichen Ergebnis, wurde die Person offensichtlich richtig erkannt.

Die Bodenmarkierungen am Südkreuz kosteten fast 72.000 Euro

Bodenmarkierung mit Hinweis auf Gesichtserkennung am Südkreuz

Die Bodenmarkierungen am Südkreuz kosteten fast 72.000 Euro | Bild: imago | IPON

Fast genauso teuer waren die Bodenmarkierungen, die Passanten auf die Tests hinweisen sollten und Bereiche kennzeichneten, in denen die Gesichtserkennung stattfindet oder in denen man ihr ausweichen kann. In einem Jahr kamen für die Aufkleber ganze 71.700 Euro zusammen.

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Der Rest der Ausgaben verteilt sich auf Gutscheine und Preise für die circa 300 Teilnehmenden im ersten halben Jahr und die 200 Teilnehmenden im zweiten Halbjahr, in dem das Experiment in die Verlängerung ging: Wen das System innerhalb des halben Jahres mindestens an 25 Tagen erfasst hatte, bekam einen Amazon-Gutschein. Den drei meisterfasstesten Personen winkten zusätzliche Preise: eine Apple Watch, ein Fitnessarmband oder eine GoPro-Kamera.

Sowohl das Transpondersystem als auch die Bodenmarkierungen und die Gutscheine und Gewinnspielpreise würde man nicht benötigen, wenn das Überwachungssystem nicht mehr im Testbetrieb sondern tatsächlich eingesetzt würde. Außerdem würde man nur eines der Gesichtserkennungssysteme brauchen. Als Kosten für den Realbetrieb blieben also lediglich ein Teil der Jahresmiete von 104.000 Euro. Nach einer solchen Hochrechnung lägen die Kosten wohl bei einigen Zehntausend Euro, wobei unklar ist, wieviel es kostet, das Projekt auf den gesamten Bahnhof auszudehnen. Eine Gesichtserkennung an einem Bahnhof wie am Südkreuz erscheint angesichts dieser Beträge dennoch eher wie eine Ausgabe aus der Portokasse – vor allem wenn man sie in Verhältnis zum Gesamt-Etat der Bundespolizei setzt, der bei 3,3 Milliarden Euro liegt.

Wie gut das Experiment lief, ist noch unbekannt

Ob es nach dem Pilotprojekt zu einem realen Einsatz kommt, steht noch nicht fest. Der würde dann nicht mehr nur mit Freiwilligen durchgeführt, sondern die Software würde alle Passanten rastern und beispielsweise mit Bildern aus Fahndungsdatenbanken abgleichen. Wie gut die Tests wirklich gelaufen sind, ist noch nicht bekannt, die Ergebnisse sollen zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden.

Bereits vor der Verlängerung im Dezember 2017 bezeichnete der damalige Innenminister Thomas de Maizière das Projekt als Erfolg: 70 Prozent der Gesuchten seien korrekt erkannt worden, bei weniger als einem Prozent gab es einen Fehlalarm. Bei über 100.000 Menschen am Bahnhof wären das jedoch immer noch etwa 1.000 falsche Verdächtigungen, in denen das System jemanden irrtümlich identifiziert – beispielsweise als gesuchten Terroristen.

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In ihrer Antwort auf Renners Anfrage resümiert die Bundesregierung, es seien bereits "positive Rückschlüsse auf den polizeifachlichen Nutzen" der Gesichtserkennungssysteme gezogen worden. Dabei ist noch nicht geklärt, ob der Einsatz der Systeme überhaupt mit den derzeitigen gesetzlichen Regelungen vereinbar wäre. Datenschützer wie die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk bezweifeln das und kritisieren, bei einer flächendeckenden Gesichtserkennung sei es unmöglich, sich anonym zu bewegen.

Voraussichtlich ab Oktober soll im Südkreuz ein weiteres Experiment starten: eine Verhaltens- und Situationserkennung. Dabei geht es darum, beispielsweise herumliegende Gegenstände erkennen zu können oder den Weg einer Person durch den Bahnhof zu verfolgen. Die Kosten für diesen Abschnitt sind noch nicht bekannt, die Deutsche Bahn muss sich noch entscheiden, welche Hersteller die benötigte Technik liefern sollen.

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