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Innenminister

Seehofers Äußerungen zu Chemnitz zeigen, dass er rein gar nichts verstanden hat

Der Innenminister nennt die Migration die "Mutter aller Probleme". Über die rechtsextremen Aufmärsche verliert er kein Wort.
Collage: imago | Reiner Zensen, imago | Hannelore Förster

Man könnte meinen, die Ereignisse in Chemnitz seien ein Thema, zu dem sich ein Innenminister in Szene setzen müsste. Horst Seehofer hätte nach Sachsen reisen und Anteil nehmen können. Er hätte Fehler der Behörden einräumen können. Und er hätte klar machen können, dass er Neonazi-Aufmärsche unter keinen Umständen duldet. Hätte, hätte, Fahrradkette. All das hat Seehofer nicht gemacht. Der Innenminister äußerte sich am Mittwoch lieber intern – und zeigte, dass er in der Debatte um Chemnitz nichts verstanden hat.

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Vor der Tagung der CSU-Landesgruppe im brandenburgischen Neuhardenberg soll er Teilnehmerkreisen zufolge gesagt haben, dass er Verständnis habe, wenn sich Leute sich über ein "brutales Verbrechen" empörten, schreibt Bild. Das mache sie noch lange nicht zu Nazis. Für Seehofer ist dagegen die Migration die "Mutter aller Probleme". Dieses Zitat berichten Welt und Bild übereinstimmend. Gegenüber der Rheinischen Post wiederholte Seehofer am Donnerstag seine Wortwahl: "Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren."

Es ist verständlich, wenn Menschen in Chemnitz nach einem tragischen Tötungsdelikt wütend, fassungslos und empört sind. Es ist nicht verständlich, wenn sie an Aufmärschen rechtsextremer Gruppierungen teilnehmen, bei denen Ausländer gejagt und Hitlergrüße gezeigt werden. Und die Grenze verläuft auch nicht erst da, wo Straftatbestände wie versuchte Körperverletzung oder Volksverhetzung anfangen. Es reicht, dass Demonstranten "Ausländer raus", "Deutschland den Deutschen" oder "Frei, sozial, national" skandieren. Denn damit schüren sie Ängste, spalten eine Gesellschaft und schaden der Demokratie, die sie zu verteidigen meinen.

Von einem Innenminister könnte man erwarten, dass er in solchen Momenten mahnend an Ereignisse aus Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen erinnert. Anfang der 1990er-Jahre hatten Neonazis Ausländer schon einmal für vogelfrei erklärt. Stattdessen aber sieht Seehofer Migration pauschal als Übel und Quelle aller Missstände. Das ist ungefähr so, als würde man hinter jedem Bayern einen Serienmörder vermuten, weil Horst David, der berüchtigte "Würger von Regensburg", in den 1970er-Jahren zahlreiche Frauen tötete. Und es ist geschichtsvergessen: Ohne Migration wäre Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in diesem Maße zu Wohlstand gekommen, auf das es stolz sein kann.

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Seehofer Rhetorik nützt nur der AfD

Bereits in der vergangenen Woche hatte Angela Merkel die Hetzjagden in Chemnitz verurteilt. Am Mittwoch bekräftigte sie, es habe Bilder gegeben, die "sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen" gezeigt hätten. Dem widersprach der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in seiner Regierungserklärung vor dem sächsischen Landtag. Horst Seehofer ist nach Kretschmer nun der nächste führende Unionspolitiker, der die Worte der Bundeskanzlerin indirekt zurückweist.

Man mag über das Wort "Hetzjagd" streiten. Dass aber Ausländer bei den Demonstrationen nach dem Tod von Daniel H. um Leib und Leben fürchten mussten, steht außer Frage. Das ist auf einzelnen Twittervideos zu sehen. Das war bei den Demonstration merklich zu spüren. Das haben Watchblogs wie Der Rechte Rand rekonstruiert – und last, but not least: Das erzählten VICE gegenüber auch diejenigen, die davon betroffen waren, nämlich Migranten selbst.

Es ist ein Irrglaube, man könne Rechtspopulisten schwächen, indem man ihre Positionen kopiert. Genau das tut Horst Seehofer aber seit Monaten. Nach der Bundestagswahl sagte er, dass die Union ihre "rechte Flanke schließen" müsse. Später witzelte er über die Abschiebung von 69 Afghanen an seinem 69. Geburtstag. Schließlich ließ er an der Migrationsfrage fast die Große Koalition platzen. Und all das nur, um sich im bayerischen Landtagswahlkampf als rechter Scharfmacher zu profilieren. Die Belohnung: Seit April rutschte die CSU laut Meinungsforschungsinstitut INSA von 42 auf 36 Prozent.

In gut einem Monat, am 14. Oktober, wird der neue bayerische Landtag gewählt. Es gilt als ausgeschlossen, dass die CSU ihr selbst erklärtes Ziel, nämlich alleine zu regieren, erreichen wird. Um Seehofers Vokabular zu übernehmen: Spätestens, wenn sich die CSU Koalitionspartner suchen muss und die AfD mit einem starken Ergebnis in den Landtag eingezogen ist, wird er sich fragen müssen, ob in Wirklichkeit nicht er der "Vater aller Probleme" war.

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