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"Bild-Girl"

Die 'Bild' will keine eigenen Nacktfotos mehr bringen – und behält trotzdem ihr Sexismus-Problem

Sexy Minderjährige, Frauen heißen "Mieze": Zahlreiche Beispiele zeigen, wie tief der Sexismus bei dem Springer-Blatt sitzt.
Foto: Eva L. Hoppe

Ein winziger Schritt für Feministinnen, ein gigantischer Weitsprung für die Bild-Zeitung: Die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung will das "Bild-Girl" abschaffen – zumindest in der Form, in der es die Leser und Leserinnen jahrzehntelang kannten. Erst 2012 hatte der männliche Teil der Redaktion am Weltfrauentag beschlossen, das "Seite-1-Girl" auf die Seite 3 und somit ins Blattinnere zu verfrachten. Sechs Jahre später beweist Bild nun erneut wie "woke" ihre Redaktion ist. Das Blatt stoppt seine eigene Nacktfoto-Produktion, um Frauen nicht weiter herabzuwürdigen. Bevor der erste Holzkopf die "Feminazi"-Keule (lol) schwingt: Natürlich wird es bei Bild trotzdem weiter nackte Brüste geben.

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Kaum hat sich die männliche Bevölkerung vom diesjährigen Weltfrauentag erholt, muss sie also schon wieder "ganz stark sein" (O-Ton Bild): Die Bild-Zeitung will ihr "Girl" in Zukunft anziehen und nur mehr leicht bekleidet statt nackt fotografieren. Einen "zeitgemäßeren" und "nachdenklicheren" Fotografie-Stil nennt die Bild das in einem Artikel zur Zäsur und zeigt gleich, wie der aussieht: Die Brüste verdeckt das Modell nun durch ein Top, das aber transparent genug ist, um die Nippel zu zeigen. "Unser Gefühl in den letzten Monaten war zunehmend, dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden", so die Bild-Redaktion. Inwiefern Nippel, die man durch ein Shirt sieht, nun weniger "herabwürdigend" und "nachdenklicher" sind, als blanke Nippel, erschließt sich dem unbedarften Betrachter nicht ohne Weiteres.


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Und genau dort liegt das Problem, denn der Sexismus der Schlagzeilen-Schleuder Bild reicht weiter als bis zur dritten Seite.

"Bild" hat ein Problem mit ihrem Frauenbild

Bei Bild ist der Sexismus nicht nur ein kleiner Kasten auf Seite 3, sondern strukturell – und wird von den Lesern und Leserinnen des Blatts zumeist schon morgens mit der ersten Tasse Kaffee konsumiert. Frauen werden bei Bild nämlich längst nicht nur mit ihrem Dekolleté in Szene gesetzt, wenn sie sich um den Titel des "Bild-Girls" beworben haben – sondern auch, wenn sie eine Filmpremiere besuchen oder sich auf die Fußball-Europameisterschaft vorbereiten.

Überhaupt werden Mädchen und Frauen oft nur in der Bild erwähnt, wenn sie (der Redaktion zufolge) besonders gut aussehen oder Tochter, Ex-Freundin oder Frau eines (der Redaktion zufolge) wichtigen Typen sind. Dabei spielte es in der Vergangenheit auch keine Rolle, dass viele der Mädchen noch minderjährig waren: Boris Beckers damals 16-jährige Tochter Anna Ermakova machte die Zeitung 2016 zum "superhübschen Bum-Bum-Baby", im selben Jahr kommentierte das Blatt Bikinibilder der zu dem Zeitpunkt 17-jährigen Sofia Richie mit "Sahen gefährliche Kurven jemals so verlockend aus?".

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Screenshot: Bild.de

Screenshot: Bild.de

Es geht nicht immer nur um Brüste – es ist das Gesamtbild von Frauen, das zeigt, wie heuchlerisch die Abschaffung des "Bild-Girls" ist. Diana Pieper schreibt in der taz: "Zu Sexismus-Debatten äußert die Bild-Zeitung sich gespielt empört – um dann den Artikel mit Nacktfotos von Geschädigten zu ergänzen." Damit stärke sie klassische Geschlechterrollen und trage sogar zur Gewalt gegen Frauen bei.

Forscher haben herausgefunden, dass Männer, die Frauen als Objekte sehen, häufiger sexualisierte Gewalt anwenden. Damit sind die Stereotype, die Bild verbreitet, nicht nur altmodisch und längst überholt – sondern auch gesamtgesellschaftlich unverantwortlich.

Die "Bild"-Welt ist eine Männer-Welt

Eigentlich weiß die Bild-Zeitung selbst, was sie da tut. In der Meldung zum Ende der Oben-ohne-Fotos schreibt sie: "Natürlich dienen diese Fotos einem Hauptzweck. Sie sollen unterhalten, und zwar meistens Männer." Wenn die "Bild-Girls" im Interview sagen, dass sie schon immer davon geträumt haben, sich für Bild auszuziehen, ist das vollkommen OK – und genau so ein legitimer Traum wie Astronautin, Dinoforscherin oder Nonne zu werden. Allerdings muss man sich auch fragen, wer am meisten von dieser augenscheinlichen Selbstbestimmung profitiert. Das sind in diesem Fall eindeutig die Bild-Zeitung und ihre männlichen Leser. Der Soundtrack dazu könnte James Browns "It’s a Man’s Man’s Man’s World" sein, das belegen sogar Studien. So analysierte das Team um StopBildSexism die Bild- und Textsprache der Bild-Zeitung. Für die Analysen wurden Ausgaben der Monate Mai, Juni und Juli 2015 daraufhin untersucht, wie sie Männer und Frauen repräsentierten. Die Ergebnisse: Frauen waren deutlich unterrepräsentiert und fanden nur auf 34 Prozent der Fotos und in 27,4 Prozent der Texte die Beachtung der Redaktion.

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In den meisten Fällen ging es dabei um die familiäre Situation der Frauen oder darum, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt aussahen – und das, obwohl die analysierten Artikel auch aus dem Wirtschafts-, Politik- oder Sportressort kamen. Wenn Frauen im Bild-Sportteil nur als sexy Moderatorinnen oder sexy Spielfeldrand-Dekor vorkommen, ist das nicht nur ein ziemlich trauriger Beweis dafür, wie es in in den Köpfen eines Bild-Redakteurs aussieht – sondern auch einfach eine falsche Darstellung der Realität. In der sind Frauen nämlich selbst Sportlerinnen, leisten als Moderatorinnen ernstzunehmende Arbeit oder haben auch noch andere Qualifikationen als "Ehefrau von".

Am Ende ist es nur Heuchelei

OK, Bild will damit aufhören, Frauen zu degradieren, damit irgendwelche Kerle ihren Spaß haben. Bei Debatten, die wirklich zu einer Änderung beitragen könnten, ist die Zeitung allerdings alles andere als frauenfreundlich.

Als Anfang des Jahres im Zuge der #metoo-Debatte deutsche Schauspielerinnen im Zeit Magazin erzählten, wie sie Gewalt und Übergriffe durch den Regisseur Dieter Wedel erfahren haben, reagierte auch Bildund fragte dessen männliche Kollegen, wie sie Wedel erlebt hätten. Dass Frauen auch als Betroffene bei Bild weder eine Stimme, noch ein Mindestmaß an Privatsphäre erhalten, zeigte sich auch Anfang des Monats, als Bild.de ein Video veröffentlichte, auf dem ein 20-Jähriger auf seine jüngere Schwester einstach. Die Redaktion löschte das Video – weil die Staatsanwaltschaft darum gebeten hatte.

In ihrem Abschiedstext an die Seite-3-Nippel schreibt die Bild, dass die "Girls" früher Miezen hießen, was "heute undenkbar" wäre. Quasi gleichzeitig veröffentlichte Bild.de an diesem Montag einen Artikel über eine Sängerin und nennt sie "Klinik-Mieze". Ein Schritt vor, zwei zurück – so geht feministischer Fortschritt offenbar bei der Bild.

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