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Roma und Sinti

Dieser rassistische Film läuft bald im Kinderkanal

"Nellys Abenteuer" ist ein Kinderfilm über klauende, unterentwickelte Roma.
Screenshot aus "Nellys Abenteuer"

Als Nelly den beiden Roma-Teenagern das erste Mal begegnet, betteln sie sie zuerst an und klauen ihr dann das Portemonnaie. Kurz darauf wird das deutsche Teenie-Mädchen von zwei Roma-Männern entführt. Sie bezahlen eine Familie in einem ärmlichen Roma-Dorf mit nur einem Wasserhahn für alle Dorfbewohner dafür, sie versteckt zu halten. Im Dorf freundet sich Nelly dann aber mit den beiden diebischen Teenagern an, die ihr schließlich bei der Flucht helfen. Und ganz am Ende helfen ihr sogar ihre ursprünglichen Entführer dabei, dem deutschen Oberbösewicht zu entkommen – indem sie ihm seine Autoreifen klauen.

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Das ist so ungefähr die Grundhandlung des deutschen Spielfilms Nellys Abenteuer, der schon letztes Jahr in die Kinos kam, und bald im KiKa und im SWR ausgestrahlt werden soll. Dagegen läuft jetzt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Sturm. Der Film enthalte "massive antiziganistische Klischees und Stereotype" und sei "völlig ungeeignet für die Zielgruppe von Kindern". Was den Roma-Verband besonders ärgert: Der Film wurde mit fast 900.000 Euro von einer Reihe staatlicher Filmförderungen gefördert.

Der SWR hat auf die Vorwürfe reagiert und sich letzte Woche mit dem Zentralrat zusammengesetzt. Das Ergebnis: Der Sender findet nicht, dass der Film rassistisch sei, und wird ihn senden. Man habe den Roma-Vertretern "ausführlich dargelegt", dass die Geschichte "auf der Basis gegenseitiger kultureller Wertschätzung erzählt" werde, erklärt Christoph Hauser, der Programmdirektor des SWR, in einer Stellungnahme gegenüber VICE. "Den Vorwurf des Zentralrats, der Film beinhalte rassistische und antiziganistische Züge, weise ich entschieden zurück", schreibt er weiter.

Das heißt, der Fernsehsender findet, er habe den Roma mit dem Film sogar einen Gefallen getan. Dass die Roma-Vertreter das nicht so sehen, obwohl man ihnen das "ausführlich dargelegt" habe, ist offenbar kein Grund, darüber nochmal nachzudenken. Immerhin ist der Film vom Kinopublikum "begeistert aufgenommen" worden, so Hauser. Deshalb plant die Produktionsfirma offenbar auch, den Film an Schulen zu zeigen, wo er zusammen mit pädagogischem Begleitmaterial zur Aufklärung über Roma beitragen soll.

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Tatsächlich geht es in dem Film ja um ein deutsches Mädchen, das nach anfänglichen Berührungsängsten (die damit zusammenhängen könnten, dass es mehrmals von zwei schmierigen Roma mit Goldzähnen entführt wurde) schließlich doch Freundschaft mit den netten Roma aus dem ärmlichen Dorf schließt. Die beiden Teenager, die sie anfangs beklaut haben, führen sie dann in das sorglose, lustige Zigeuner- Roma-Leben ein, in dem man zwar nie arbeitet (Geld verdient man ja mit Klauen), aber immer spontan zu einer Party bereit ist. Am Ende entscheiden sogar Nellys spießige deutschen Eltern, dass sie lieber "Abenteuer statt Reihenhaus" wollen, und beschließen, ganz nach Rumänien zu ziehen.

Die Geschichte kam zum Kinostart bei manchen Deutschen auch wirklich gut an. "Die Dorfszenen sind frei von mystifizierender 'Zigeuner-Romantik' und lassen die frühere Dokumentarfilmtätigkeit des Regisseurs durchscheinen" schrieb die Süddeutsche damals begeistert. Besonders beeindruckt war der Autor, weil der Film in einem echten Roma-Dorf in Siebenbürgen gedreht wurde und auch die beiden Hauptdarsteller Roma sind.

Ankunft im Roma-Dorf | Screenshot aus Nellys Abenteuer

Es gab aber auch damals schon Stimmen, die dem Film einen seltsamen Beigeschmack attestierten. Die Plattform kino-zeit.de schrieb, die Perspektive des Films sei "herablassend, fast kolonialistisch":

"Alle Protagonisten mit Macht und Einfluss sind Deutsche, der rumänischen Polizei kann man aber anscheinend nicht trauen. (…) Die Rumäninnen und Rumänen sind zwar fast alle herzensgut, aber im Zweifel schwach oder arme Handlanger der Deutschen. Im Dorf der Roma (…) sind die Menschen fröhlich und wird gerne Musik gemacht. (…) Nichts davon ist überraschend, weil es so genau den Klischees entspricht."

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Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wirft dem Regisseur Dominik Wessely nicht vor, absichtlich einen Film gedreht zu haben, der plumpe Ressentiments bedient (die in Deutschland übrigens zunehmen – über 50 Prozent der Deutschen glauben, die Gruppe der Roma und Sinti "neige zur Kriminalität"). Aber sie werfen ihm vor, einen Film gedreht zu haben, der es vielleicht gut gemeint hat – aber am Ende trotzdem Stereotype verbreitet.

Screenshot: "Nellys Abenteuer"

Um ihre Argumente zu untermauern, hat der Zentralrat von gleich zwei Wissenschaftlern Gutachten in Auftrag gegeben. Beide Urteile sind eindeutig: Roma erscheinen in dem Film "als Kleinkriminelle, Trickbetrüger, Bettler, beim Aufführen 'traditioneller' Tänze, als Kindesentführer usw. Roma in anderen Lebenssituationen, wie etwa in 'regulären' Berufen oder als Studierende, werden im Film nicht gezeigt", schreibt Pavel Brunßen vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. "Hängen bleibt das Bild von den kriminellen, unzivilisierten, disziplinlosen und triebgesteuerten Roma, die keine Moral kennen."

Der Heidelberger Slavistik-Professor Urs Heftrich pflichtet ihm bei. Er urteilt, "dass 'Nellys Abenteuer' zwar vermutlich in der guten Absicht gedreht worden sein dürfte, Vorurteile gegenüber den Roma abzubauen, im Ergebnis dieses Ziel aber leider auf fatale Weise verfehlt". Der Film sei geeignet, "antiziganistische Klischees" zu zementieren. Beide Wissenschaftler sind sich einig, dass der Film nicht ausgestrahlt werden sollte – und dass man ihn erst recht nicht in Schulen zeigen sollte.

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Das Klischee der Kinder entführenden Roma gehört vor allem in Deutschland zu den ältesten und gefährlichsten Vorurteilen gegen "Zigeuner". Die Angst vor den kinderklauenden, umherziehenden Banden hat es in Form von viralen Facebook-Fake-Posts über rumänische Frauen, die Kinder im Supermarkt entführen, sogar bis in unsere Zeit geschafft. Dass es im Film ein Deutscher war, der die Entführung in Auftrag gegeben hat, ändert nichts daran, dass zwei Roma die Tat ausgeführt haben.

Richtig ist: Die Armut, die der Film zeigt, existiert auch in der Realität. Es stimmt auch, dass die im Dorf gedrehten Szenen ein paar interessante Bilder aus dem Leben der ländlichen Roma einfangen. Allerdings wird im Film kaum erklärt, woher die Armut unter rumänischen Roma kommt. "Die lange Geschichte von Ausgrenzung und Marginalisierung rumänischer Roma bis hin zur Versklavung, wird im Film ausgeblendet", schreibt Pavel Brunßen.

Natürlich ist "Nellys Abenteuer" ein Kinderfilm, keine Dokumentation. Aber ein Film, dessen erklärtes Ziel es ist, "mit negativen Stereotypen" über Roma zu brechen, sollte sie zumindest nicht noch weiter verbreiten.

Laut einem Bericht von Belltower-News stand bei einer Protest-Veranstaltung des Roma-Zentralrats gegen den Film in Berlin irgendwann ein Mädchen im Grundschulalter auf. "Hallo, ich bin auch ein Roma-Kind", stellte sie sich vor. "Aber ist stehle nicht, ich frage immer vorher, bevor ich was nehme." Dass sie das dazu sagen muss, hat sie offenbar durch den Film gelernt.

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