Ist Severus Snape eigentlich eine Transfrau?
Illustration: Julia Kuo

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Kultur

Ist Severus Snape eigentlich eine Transfrau?

Wer diese Fantheorie gelesen hat, wird den schlechtgelaunten Zaubertrankprofessor aus 'Harry Potter' für immer mit anderen Augen sehen.

Jahre ist es her, dass Harry Potter den Dunklen Lord endlich geschlagen und die Welt von der magischen Entsprechung zu Hitler befreit hat. Die Geschichte von ihm und seinen Mitstreitern war damit aber noch lange nicht auserzählt. Autorin J.K. Rowling eröffnete 2007, dass Albus Dumbledore, der Leiter der Hogwarts Schule für Zauberei, schwul sei. Im Jahr 2015 legte sie nahe, dass Hermine Granger – wenn wir ehrlich sind, die eigentliche Heldin der Geschichte – entgegen ihrer Darstellung in den Filmen möglicherweise schwarz sein könnte.

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Eine Gruppe eingefleischter Fans hat derweil eine Theorie entwickelt, die das Potter-Universum noch ein bisschen diverser machen könnte: Severus Snape, der lange falsch verstandene Zaubertranklehrer und Antiheld der Reihe, ist eine Transfrau. [Genau deswegen werden wir Snape im Rest des Textes auch als "Sie" behandeln.]

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Wie alle großen Fandoms existiert auch die Trans-Snape-Community vor allem auf Tumblr. Über die letzten Jahre hinweg haben die Anhänger an ihrer Theorie gearbeitet, indem sie die Bücher durchgearbeitet und anschließend über Snapes unterschwellige weibliche Identitt diskutiert haben. Jedes Jahr feiern sie in der ersten Augustwoche die Trans Snape Week, in der sie sieben Tage lang der Transfrau Severus Snape huldigen. Erstmalig fand das Ganze 2015 statt und wurde von Tumblr-Nutzer Ensnapingthesenses, einem 26-jährigen Transmann aus Spanien, ins Leben gerufen.

"Im Harry Potter-Fandom auf Tumblr gibt es eine stetig wachsende Gruppe, die überzeugt davon ist, dass Snape trans ist – oder es zumindest für möglich hält", erklärt er gegenüber Broadly. "Die Trans Snape Week ist eine Möglichkeit, zusammenzukommen und die Theorie zu feiern, tiefer zu ergründen und mit anderen zu teilen. Durch sie sind alle möglichen Fanfictions, Fanart und literarische Analysen entstanden. Dass wir uns in einer komplexen, interessanten und polarisierenden Figur so sehr wiederfinden können, passiert uns nur selten."

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"Snape liest sich wie eine Person, die ihr Coming-out noch vor sich hat und das ist ziemlich tragisch."

In diesem Jahr hilft auch Fatuma, eine agender Person aus Ostafrika, dabei, die Themenwoche über den Tumblr-Account Snape Love Posts mitzubetreuen. Fatuma ist überzeugt, dass J.K. Rowling Snape so sehr als weiblich geschrieben hat, "dass es keinen Unterschied für Snapes Geschichte machen würde, wenn sie aus der Perspektive einer Cis-Frau erzählt wäre." Fatuma und Ensnapingthesenses sind sich einig: Es gibt da draußen jede Menge Leute, die fest überzeugt davon sind, dass Snape trans ist – und sie können es beweisen.

"Vor Kurzem gab es eine Umfrage im Snape-Fandom auf Tumblr. Rund 20 Prozent der Teilnehmer waren nicht cisgender, was sehr viel höher als der gesellschaftliche Durchschnitt ist", erzählt mir Fatuma. "Ich glaube, dass manche Trans-Erfahrungen so universal sind, dass Trans-Personen es einfach merken, wenn eine Figur als trans geschrieben wurde."


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Ensnapingthesenses kann sich Snape mittlerweile gar nicht mehr nicht-trans vorstellen und ist überzeugt, dass alle Hinweise die These stützen. Auch wenn die Theorie von offizieller Seite nie bestätigt wurde, wurde sie zumindest auch nicht bestritten.

"Snape hat über den Großteil der Geschichte eine sehr wandelbare, unklare Position. Sie scheint immer zwischen zwei Welten zu stecken und befindet sich oft wortwörtlich in den schattigen Ecken des Raums, eine Außenseiterin, die die Handlung betrachtet", erklärt Ensnapingthesenses. "Snape liest sich wie eine Person, die ihr Coming-out noch vor sich hat und das ist ziemlich tragisch."

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Um die selbsternannten Snape-Gelehrten zu verstehen, muss man sich intensiv mit den Büchern auseinandersetzen. Dabei macht es Sinn, sich im ersten Schritt ihre Profession genauer anzugucken. Professorin Snape ist die Zaubertranklehrerin von Hogwarts, ein Teilbereich der Zauberei, den sie mehr schätzt als „albernes Zauberstabgefuchtel", wie sie es ihrer Klasse im ersten Buch beschreibt. Racheline Maltese schrieb 2011 ein beinahe ikonisches Essay über Snape als weibliche Heldin, in dem sie die Ablehnung von Zauberstäben als "Ablehnung von Männlichkeit" interpretiert – "insbesondere, wenn man sich anschaut, wie häufig Zauberstäbe als Mittel phalluszentrischen Humors herbeigezogen werden."

"Es gibt Tränke, die das Aussehen einer Person oder Teile ihres Körpers für immer verändern. Warum sollte das nicht die magische Entsprechung einer Hormonersatztherapie sein?"

Wenn Snape der Klasse erklärt, dass sie nicht erwartet, „dass ihr wirklich die Schönheit es leise brodelnden Kessels mit seinen schimmernden Dämpfen zu sehen lernt, die zarte Macht der Flüssigkeiten, die durch die menschlichen Venen kriechen", bedient sie sich klassischer Hexensymbolik. „Zaubertränke und Gifte werden klassischerweise mit Weiblichkeit verknüpft, da gibt es eine lange, faszinierende Geschichte" bestätigt auch Ensnapingthesenses. „Dass sich Snape so zu Tränken hingezogen fühlt und in diesem Bereich auch noch wahnsinnig talentiert ist, wurde allerdings auch schon dahingehend interpretiert, dass sie nach einem magischen Weg sucht, ihre Transition zu vollziehen."

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Fatuma gefällt die Vorstellung, dass Snape als Teenager nach Transitions-Tränken gesucht und dahingehend experimentiert hat. "Sie hat sich nicht damit beschäftigt, um berühmt oder reich zu werden – sie wollte einen Weg finden, sich ohne Nebenwirkungen zu verwandeln." Ensnapingthesenses bekräftigt, dass es durchaus "Tränke gibt, die das Aussehen einer Person oder Teile ihres Körpers für immer verändern. Warum sollte das nicht die magische Entsprechung einer Hormonersatztherapie sein?"

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Ein weiterer Indikator für die Trans-Snape-Theorie ist, welche Rolle Snape in Harry Potters Leben spielt. Wir wissen, dass Severus Snape eine starke, unerwiderte Liebe zu Harrys Mutter Lily pflegte, die dann den Macho-Idioten James Potter heiratete. Obwohl Voldemort beide umbringt, überdauert Snapes Liebe sogar den Tod. In Absprache mit Dumbledore und aus Loyalität zu Lily, wird Snape schließlich zu einer Art geheimen Ersatzmutter für Harry.

"Snape ist quasi die Vertretung für Lily, während Sirius James vertritt", sagt Fatuma. Auf Tumblr erklärt Ensnapingthesenses, dass "Jungen symbolisch gesehen dazu aufwachsen, ihre Väter zu ersetzen; ihre Väter bereiten sie darauf vor, während ihre Mütter eine andere Rolle in und einen anderen Einfluss auf ihr Leben haben. Sie helfen eher dabei, mit Gefühlen umzugehen und Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen." Für Ensnapingthesenses, Fatuma, und Maltese übernimmt Snape diese Rolle im Leben von Harry.

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Alan Rickman (links) in seiner Rolle als Severus Snape in den "Harry Potter"-Verfilmungen | Foto: imago | EntertainmentPictures

"Wie Harry und Snape miteinander umgehen, erinnert mich an das Verhältnis zwischen einem Teenager-Mädchen und ihrer Mutter. Beide haben Probleme damit, ihre negativen Gefühle in den Griff zu kriegen, weil sie sich so spiegeln", schreibt Ensnapingthesenses.

Es gibt ziemlich eindeutige Textbeispiele, die diese Trans-Snape-Theorie stützen. Oft sind es kleine Dinge, wie ein Rückblick in Die Heiligtümer des Todes, wenn Snape als Kind die Bluse ihrer Mutter Eileen trägt. Interessanterweise gibt es in Der Halbblutprinz eine Szene, in der sich Harry und Hermine Snapes Handschrift in einem alten Zaubertrank-Schulbuch genauer ansehen. Zum damaligen Zeitpunkt wissen sie noch nicht, um wen es sich bei dem selbsternannten "Halbblutprinzen" handelt, der Rezepte mit seinen eigenen Notizen aufwertet. (Es stellt sich heraus, dass es Snape ist, wobei das "Prinz" eine Referenz an den Mädchennamen ihrer Mutter ist.)

Harry fragte sich insgeheim, wer der Halbblutprinz gewesen war. Sie hatten zwar so viele Hausaufgaben bekommen, dass er keine Zeit hatte, sein Exemplar der Zaubertränke für Fortgeschrittene ganz durchzulesen, doch er hatte es gründlich genug durchgeblättert, um festzustellen, dass es kaum eine Seite enthielt, wo der Prinz keine zusätzlichen Anmerkungen hinterlassen hatte, die aber nicht alle mit dem Zaubertrankbrauen zu tun hatten. Gelegentlich fanden sich auch Anleitungen für Zauber, die offenbar der Prinz selbst entwickelt hatte.

"Oder sie selbst", sagte Hermine gereizt, als sie mitbekam, wie Harry am Samstagabend im Gemeinschaftsraum Ron einige davon zeigte. "Es könnte auch ein Mädchen gewesen sein. Die Handschrift kommt mir eher wie die eines Mädchens vor als die eines Jungen."

"Er hieß der Halbblutprinz", sagte Harry. "Wie viele Mädchen waren Prinzen?"

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Für Ensnapingthesenses weisen der eher weiblich konnotierte Akt des Tränkebrauens und die feminine Schrift der heranwachsenden Snape auf "eine junge Frau [hin], die versucht, ihre geschlechtliche Identität zu leben, selbst wenn sie es im Geheimen tun muss."

Wie die spätere Professorin in ihrer Schulzeit auf Hogwarts gemobbt wird, spricht ebenfalls Bände. Während sich ihre männlichen Mitschüler – Remus Lupin, Peter Pettigrew, Sirius Black und James Potter – zu einer untrennbaren Jungsgruppe verschwören, den "Herumtreibern", bleibt Snape Außenseiterin. In Kapitel 28 von Der Orden des Phoenix wird eine Situation beschrieben, in der die Herumtreiber sie öffentlich demütigen, indem sie sie mit einem Zauberspruch in die Luft heben und so ihre Unterwäsche entblößen.


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Lupin greift diese Demütigung wieder auf, als er in Der Gefangene von Askaban Verteidigung gegen die Dunklen Künste unterrichtet. In einer Stunde bringt er seinen Schülern bei, wie man sich gegen einen Irrwicht zu Wehr setzt, eine magische Kreatur, die die Form deiner größten Angst annimmt. Als er den Irrwicht für Neville Longbottom aus dem Schrank lässt, in dem er ihn eingesperrt hat, verwandelt der sich in Severus Snape. Wenn Longbottom den Riddikulus-Spruch aufsagt, um das Wesen in etwas zu verwandeln, wovor er keine Angst mehr haben muss, trägt die falsche Snape plötzlich Frauenkleidung. Die Klasse bricht in lautes Gelächter aus.

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"Wie Lupin sich über die Irrwicht-Version von Snape lustig macht (die aus einem Schrank kommt!)", ist für Ensnapingthesenses ein eindeutiges Beispiel dafür, wie Snape für ihre feminine Seite fertiggemacht wird.

"Ich glaube, dass Snape bestimmten Vorurteilen ausgesetzt war, auch wenn sie sich nicht vor den anderen geoutet hat. Diese ganzen Situationen in den Büchern machen viel mehr Sinn, wenn man sie aus diesem Blickwinkel betrachtet. Snape könnte auch ohne zusätzliche Erklärungen eine Transfrau sein, aber diese ganzen Anzeichen sind einfach da."

Eines von Snapes bestgehütetsten Geheimnissen ist die Form ihres Patronus, ein mächtiger Zauber, der sich in der Form des Tieres manifestiert, das ihrem Beschwörer am nächsten steht. Sowohl bei Snape als auch bei Lily ist dieses Tier ein Reh, was lange als Zeichen ihrer unsterblichen Liebe interpretiert wurde. Diese Gemeinsamkeit bekommt durch die Trans-Theorie allerdings noch eine ganz andere Bedeutung.

Snapes Patronus könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass sie die Rolle der Ersatzmutter für Harry einnimmt – noch wichtiger ist allerdings, dass das weibliche Reh eine klare Repräsentation von Snapes weiblicher Identität sein könnte. Snape ersetzt Lily nicht nur als Mutterfigur, sie wollte außerdem zu einer Frau wie Lily werden.

"Snape nimmt die Rolle der Dame vom See ein, einer literarische Figur, die in verschiedenen Versionen der König Artur-Sage auftaucht."

Wenn wir mal ehrlich sind, macht diese Theorie viel mehr Sinn, als auch noch Jahre nach dessen Tod in seinen Schulschwarm verliebt zu sein. "Snapes Beziehung zu Lily erinnert mich auf mehr an eine Art als die Beziehungen, die ich in meiner Teenager-Zeit zu Cis-Mädchen hatte", erzählt mir Lilyana, eine Transfrau. "Die Tatsache, dass sich der Geist von Snape und Lily im selben weiblichen Tier manifestiert, zeigt mir, dass Snape tatsächlich eine Transfrau ist."

Die Tatsache, dass sie sich mit Lily einen Patronus teilt, macht Snape in der Zauberwelt einzigartig. Ebenjenes Reh ist es auch, das Harry Potter zum sagenumwobenen Schwert von Gryffindor führt – für Maltese die Szene, die Snape endgültig zur Heldin macht. "In dieser Szene nimmt Snape die Rolle der Dame vom See ein, eine literarische Figur, die in verschiedenen Versionen der König Artur-Sage auftaucht. Die Dame vom See gibt Artur das Schwert Excalibur, so wie Snape Harry das Schwert von Gryffindor gibt."

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Und dann gibt es da noch Snapes ultimatives Opfer: ihren Tod. Auf Wunsch von Dumbledore hin tötet sie ihn vor den Augen der Schüler und anderen Lehrer, damit die glauben, dass sie eine treue Anhängerin von Lord Voldemort ist. Nur so kann der Rest des Plans aufgehen und der Dunkle Lord schlussendlich gestürzt werden. Die Wahrheit kommt erst nach ihrem Tod ans Licht.

Es ist grundlegend problematisch, dass vermeintliche Bösewichte oft queere Attribute zugeschrieben bekommen. Das wissen auch die Anhänger der Trans-Snape-Theorie. "Snape wirkt queer, weil das Teil ihres bösen Appeals ist", erklärt Fatuma, eine Sache ist allerdings anders: "Normalerweise ist es so, dass diese queeren oder femininen Anteile wegfallen, sobald klar wird, dass die Person eigentlich die ganze Zeit zu den Guten gehört hat. Wenn dieses Klischee greift, dürfen sie wieder cis und heterosexuell sein. Bei Snape ist das anders."

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