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Sex machina

Wie multiple One-Night-Stands Beziehungen ersetzt haben

"Seid ihr zusammen oder nur Freunde, die Sex haben und sich fünf Tage die Woche sehen?"
Foto: Maria Yagoda

Lange Zeit war der One-Night-Stand die ultimative sexuelle Option für Singles – oder wurde in Filmen und Serien zumindest als solche angepriesen. Eine rauschhafte Nacht voller Leidenschaft, von der man nicht weiß, wo sie noch hinführen könnte. Die Realität war freilich ein bisschen ernüchternder.

Das fängt schon damit an, dass einmalige sexuelle Begegnungen weniger befriedigend sind. Die Chancen stehen ziemlich schlecht, dass ein Fremder ahnen kann, auf was du stehst. Gleichzeitig dürfte es jemandem, den du vielleicht nie wieder siehst, auch nicht ganz so wichtig sein, ob du ebenfalls kommst. Andererseits: Was ist die Alternative? Eine feste, langfristige Beziehung, mit der man sich auch dazu verpflichtet, an Weihnachten die Eltern seiner besseren Hälfte zu besuchen?

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Ich persönlich gehöre zu der immer größer werdenden Gruppe von Menschen, die auf der Suche nach wahrer Intimität sind, gleichzeitig aber keine Lust habe, ihr komplettes Leben für jemand anderen über den Haufen zu werfen – oder zumindest Platz für eine zweite Zahnbürste am Waschbecken zu machen. Wie so viele andere Singles kam ich also nicht umhin, mich zu fragen: Gibt es nicht irgendwas zwischen emotionslosem Gerammel und Gesellschaftsspieleabenden mit befreundeten Pärchen?

Auftritt: der multiple One-Night-Stand. Eine ungezwungene, aber wiederkehrende Form der sexuellen Begegnung, die Beziehungen nachahmt, aber keine Beziehung ist, weil mindestens einer der beiden Beteiligten "gerade aus einer langen Beziehung kommt", "im Moment nach nichts Festem sucht" oder "dem Ganzen keinen Namen geben möchte." Wie der Name schon andeutet, ist der multiple One-Night-Stand nichts anderes als ein One-Night-Stand mit der einzigen Ausnahme, dass er sich über mehrere Nächte und sogar über mehrere Wochen oder Monate erstrecken kann.

"Ich flirte und habe das Heft in der Hand, melde mich aber nur, wenn ich betrunken bin."

Wenn ihr zusammen seid, habt ihr das Gefühl, "zusammen zusammen" zu sein und wenn ihr nicht zusammen seid, dann nimmt die Vertrautheit auch wieder ab. Abgesehen von den Instagram-Kommentaren, die ihr euch nach zwei Uhr nachts hinterlasst und einer kurzen Nachricht, weil die Katze deines Sexpartners gestorben ist. (Das zählt doch als Intimität, oder?) Grundsätzlich entspringt der multiple One-Night-Stand aber auch dem Wunsch, eine Nacht oder eben auch mehrmals die Woche das Gefühl zu haben, eine Freundin oder einen Freund zu haben.

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"Du kennst den Menschen schon recht gut, sodass ihr keine großen Entdeckungen macht, aber ihr seid nur ein paar Stunden ineinander verknallt und dann geht jeder wieder seiner Wege", beschreibt eine meiner Freundinnen diese Form des Miteinanders. "Ich flirte und habe das Heft in der Hand, melde mich aber nur, wenn ich betrunken bin. Ich bin immer ziemlich beschäftigt und habe keine Zeit für eine Beziehung. Das würde nur dann klappen, wenn mir die Person überall hin folgen würde und genau dieselben Interessen hätte wie ich. Oder wenn es ihm genauso egal wäre wie mir, dass wir uns tagelang nicht sehen. Das ist in der Regel aber nicht der Fall."

Ähnlich wie der Kommunismus scheinen derartige Vereinbarungen allerdings nur in der Theorie zu funktionieren. Viele Menschen wünschen sich schließlich die zwischenmenschliche und sexuelle Verlässlichkeit eines konstanten Sexpartners, ohne die Unannehmlichkeit, sich von Zeit zu Zeit melden oder stundenlang telefonieren zu müssen. Das Problem ist: In den seltensten Fällen wollen beide Teile dieser "Beziehung" exakt dasselbe. Nur allzu oft entsteht aus der mangelnden Kommunikation ein emotionales Ungleichgewicht und plötzlich befindet man sich nicht mehr in der besten Nicht-Beziehung aller Zeiten, sondern in einer unglücklichen Partnerschaft.

Am Besten hat es eigentlich die Satire-Seite Reductress in eine Überschrift gepackt: "Seid ihr zusammen oder nur Freunde, die Sex haben und sich fünf Tage die Woche sehen?"

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Foto: Unsplash | Pexels | CC0

Ana*, eine heterosexuelle Freundin von mir, steckte bis vor Kurzem auch noch mitten in einem multiplen One-Night-Stand. Sie glaubt, dass Männer und Frauen ein anderes Verständnis von einer "festen Beziehung" haben – auch wenn sich zwischenmenschliches Verhalten natürlich nicht zwingend am Geschlecht festmachen lässt.

"Für viele Frauen, die ich kenne, heißt das: 'Bitte steck deinen Penis in niemand anderen und häng ab und zu mit mir rum.' Männer denken hingegen, dass es bedeutet: 'Ich möchte dir meine Mutter vorstellen! Schreib mir jeden Tag! Verbring nur noch Zeit mit mir und vergiss deine Freunde! Und plane deine Wochenenden nur noch mit mir!' Natürlich bedeutet eine Beziehung für jeden etwas anderes, weil Menschen auch ganz unterschiedliche Bedürfnisse in Beziehungen haben, aber die meisten Männer scheinen einen großen Bogen um Beziehungen zu machen, weil sie glauben, dass sie sonst die Kontrolle abgeben müssen."

Obwohl der multiple One-Night-Stand sehr aufgeklärt und progressiv wirkt, hat er auch etwas Trauriges.

Im vergangenen Jahr war Ana die "zwanglose Teilzeit-Freundin" von einem Mann, mit dem sie auch ungeschützten Sex hatte. (Wie verantwortungslos das ist, habe ich an anderer Stelle schon erklärt.) Als sie das Kondomthema ansprechen wollte, bekam er kalte Füße. Ein Gespräch anzustoßen, das auch nur andeutungsweise in Richtung feste Beziehung gehen könnte, versetzte ihn in Panik, obwohl sie eigentlich nur auf ihre Gesundheit achten wollte. Alles, was er zu hören schien, war: "Wenn du weiter ohne Kondom Sex mit mir haben möchtest, dann sollten wir aufhören, mit anderen zu schlafen." Die Sache wurde ihm dann "zu ernst."

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Eine andere Freundin hatte mal einen einmonatigen multiplen One-Night-Stand mit jemandem, den sie in der U-Bahn kennengelernt hat. Nachdem sie sogar seine Freunde kennengelernt hatte, machte er dann plötzlich Schluss. "Er hatte Angst vor einer Beziehung."

Es wurden schon sehr viele Artikel darüber geschrieben, dass Dating-Apps und die allgemeine Angst davor, sich festzulegen, zu einer allgemeinen Beziehungsmüdigkeit innerhalb unserer Gesellschaft führt. Doch obwohl der multiple One-Night-Stand sehr aufgeklärt und progressiv wirkt, hat er auch etwas Trauriges. Ich persönlich finde es schon beinahe beleidigend, wenn mir solche Abmachungen angeboten werden – egal, ob explizit oder implizit. Man bekommt fast den Eindruck, ich müsste dankbar dafür sein, dass sie mich wöchentlich flachlegen wollen und ich obendrein noch mit ihnen Löffelchen liegen und uninspirierte Gespräche führen darf. Ich habe tolle Freunde, mit denen ich sehr viele Unterhaltungen führe und Sexspielzeug im Wert von mehreren tausend Euro: Wenn mir ein konstanter Sexpartner keine emotionale Bindung anbieten möchte – und davon gibt es viel zu viele Männer und Frauen –, dann habe ich auch kein Interesse.

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Natürlich kann so eine Sexbeziehung mit minimalem emotionalen Investment auch funktionieren. Gerade dann, wenn man von Anfang an klar kommuniziert, was man möchte. Viel häufiger kommt es aber zu einem emotionalen Ungleichgewicht. Statt dem idealen Beziehungsmodell für Menschen, die Intimität wollen, verpflichtende Zwischenmenschlichkeit aber zu anstrengend finden, scheint mir der multiple One-Night-Stand mittlerweile wie die ultimative Ausflucht für Feiglinge.

Die meisten versuchen ja doch nur, so lange wie möglich mit einer "falschen Beziehung" davonzukommen. So lange, bis einer von Beiden sich dazu gezwungen sieht, die eine, in der Regel einen Kampf-oder-Flucht-Reflex auslösende Frage zu stellen: "Was sind wir eigentlich?"

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*Name wurde geändert.