Das zersplitterte Glas vor dem Eingang des "Mangals" türmt sich zu einem kleinen Berg, man kann auch sagen: zu einem Häufchen Elend. Ali Tulasoglu schlüpft unter dem rot-weißen Absperrband hindurch, in seiner linken Hand eine Zigarette, in der rechten einen Pappbecher mit Filterkaffee. Er schließt die Eingangstür auf, schaut auf das Glas herunter. "Entschuldigen Sie", sagt er, als er sich vorstellt, "seit Donnerstag sind meine Hände stets schweißnass, wenn ich daran denke."
Anzeige
Mit "daran" meint er den Brandanschlag, den Unbekannte einen Tag zuvor, am 18. Oktober, frühmorgens auf sein türkisches Restaurant Mangal verübten. Etwa eine Stunde später weckte ihn der Anruf einer Nachbarin. Es habe einen Knall gegeben, sein Lokal in der Chemnitzer Innenstadt stehe in Flammen, aus der Gaststätte qualme es. Tulasoglu eilte aus dem benachbarten Frankenberg herbei. 20 Minuten Autofahrt. Als er ankam, waren Polizei und Feuerwehr im Einsatz, Nachbarn wurden in einen Bus evakuiert.Im Ladeninneren sind Ruß an den Wänden und Schlieren vom Löschwasser. Auch der Boden, wo früher eine Garderobe stand, ist schwarz. Mitten im Raum liegt ein Kronleuchter, daneben steht ein verbrannter Stuhl. Es riecht nach Lagerfeuer. "Kein einziger Raum, in dem nichts kaputt ist", sagt Tulasoglu.Der Brandanschlag auf das Mangal war der vierte Angriff auf Restaurants in Chemnitz innerhalb der letzten sieben Wochen. Vermutlich stehen Rechtsextremisten hinter den Taten. Die Geschichte von Ali Tulasoglu und seinem Restaurant zeigt exemplarisch, wie Gewalttäter Existenzen zerstören und das Stadtklima vergiften.
300.000 Euro für den eigenen Traum
Anzeige
Er zieht an der Zigarette, fährt sich durch sein ergrautes Haar. "Die Täter haben das Schloss gewaltsam aufgebrochen", erzählt er. Sie vergossen überall Benzin, zündeten den Laden an und flohen. Er weiß das von der Spurensicherung.
Die vierte Attacke in den letzten sieben Wochen
Anzeige
Auch bei VICE: Chaos in Chemnitz
"Solche Anschläge erzeugen Ohnmacht"
Wenn von Menschen mit Migrationshintergrund betriebene Restaurants angegriffen werden, dann verändere das das Klima in der Stadt, sagt der Chemnitzer Abgeordnete Frank Heinrich, der für die CDU im Bundestag sitzt. "Solche Anschläge erzeugen Ohnmacht." Er erzählt von chinesischen Touristen, die in den vergangenen Wochen Angst gehabt hätten, das Haus zu verlassen. "Einzelne aus dem Kreis der Demonstrationen fühlen sich womöglich ermutigt, solche Straftaten zu verüben." Die Hemmschwelle sei gesunken.
Anzeige
Heinrich berichtet zudem, dass in den vergangenen Wochen zahlreiche Menschen seinem Abgeordnetenbüro schreiben würden. Nicht aber weil sie Angst vor Ausländern haben, sondern weil sie sich um syrische, afghanische, türkische oder vietnamesische Freunde sorgten. "Das ist eine solidarische und schöne Reaktion", sagt Heinrich, "aber eben auch eine besorgte."Auch Tulasoglu nimmt die Solidarität wahr und ist froh über den Zuspruch, den er dieser Tage von vielen Chemnitzern erhält. "Ich habe seit Donnerstagmorgen Hunderte Anrufe und Nachrichten bekommen", sagt er. "Viele Menschen wollen mir beim Wiederaufbau helfen oder spenden."Allerdings wolle er es sich wegen der Stimmung in der Stadt "sehr gut überlegen", ob er das Restaurant wiedereröffne. Wenn nicht seine Frau, seine Freunde, das Haus und die zwei Söhne, die hier zur Schule gehen, wären – Tulasoglu könne sich vorstellen, die Stadt zu verlassen.Es ist Freitagabend, Tulasoglu hat gerade noch einen Versicherungsbeamten durch den Laden geführt. Er will erstmal zur Ruhe kommen. "Niemand ist zu Schaden gekommen, aber das war ein Anschlag auf Menschen, es hätten Leute sterben können", sagt Tulasoglu. Er denkt an die 14 Wohnungen, die sich über dem Mangal befinden.Während er nach Hause fährt, sammeln sich rechte Demonstranten vor der Karl-Marx-Statue. Das Bündnis "Pro Chemnitz" hat zur Kundgebung mobilisiert, etwa 500 Teilnehmer sind gekommen, weniger als in den Vorwochen. Auch der Ordner Arthur Österle ist wieder dabei. Wie bewertet er den Angriff auf das Mangal? Empfindet er so etwas wie Mitgefühl? Die Hintergründe seien doch gar nicht geklärt, sagt er. Es könne ein kurdisch-türkischer Konflikt gewesen sein, Versicherungsbetrug, die Mafia oder "False Flag"-Attacken von Linken. Grundsätzlich lehne er Gewalt aber ab, egal von wem sie ausgehe.
"Es hätten Menschen sterben können"
Anzeige
Wenige Minuten später tritt Martin Kohlmann, der Kopf von "Pro Chemnitz", ans Mikrofon und erzählt, dass er diese Tage viel Doppelmoral beobachte. Zu Geiselnahmen wie der in Köln äußere sich kaum ein Politiker, rechtsextreme Terrorzellen wie "Revolution Chemnitz" oder Angriffe auf Lokale wie das Mangal sorgten hingegen für Empörung. Dabei sei das doch nur ein Sachschaden im Mangal, sagt Kohlmann. Da sei doch kein Mensch zu Schaden gekommen.Update, 8. Juli 2021, 12:19 Uhr: Laut Landeskriminalamt Sachsen richten sich die Ermittlungen inzwischen gegen den ehemaligen Betreiber des Restaurants.Folge Jan auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.