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Rassismus

Wir haben mit dem Ex-Polizeischüler gesprochen, der rassistische Polizei-Chats veröffentlicht hat

"Man kann doch keine Asylheime schützen und gleichzeitig hintenrum über Flüchtlinge hetzen."
Screenshot aus einer Polizei-WhatsApp-Gruppe

Simon wollte für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen und das Neutralitätsgebot in jeder Hinsicht leben – bei der Polizei. Leider musste er feststellen: Die Polizei in Sachsen ist teilweise so neutral wie der KiWi-Verlag.

Im Herbst 2016 begann Simon in Leipzig seine Ausbildung zum Polizisten. Neun Monate später brach er sie ab. Und das, obwohl es immer sein großer Traum gewesen sei, Polizist zu werden, sagt er gegenüber VICE. Er habe die rassistischen Sprüche und ihre Salonfähigkeit dort einfach nicht mehr ausgehalten. Diese Woche veröffentlichte er auf seinem Instagram-Profil Screenshots aus der WhatsApp-Gruppe seines Ausbildungslehrgangs. "Wir sind aus Cottbus, und nicht aus Ghana, wir hassen alle Afrikaner. Ole Ole", steht dort unter anderem. Darunter drei lachende Smileys. Eigentlich sollten in die Gruppe studiengangbezogene Infos geschickt werden. Stattdessen kam es dort immer wieder zu rassistischen Kommentaren.

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Simons Vorwürfe richten sich jedoch nicht nur an seine ehemaligen Mitauszubildenden, sondern auch an die Ausbilder und Ausbilderinnen. Sie alle hätten regelmäßig rechte Sprüche gemacht. Einer von ihnen war Fernando V. – der Polizist, dessen Handy 2015 gehackt wurde, was Verbindungen in die Leipziger Neonaziszene offenlegte.

Simon erzählt VICE, was er während seiner Ausbildung in Sachsen erlebt hat – und wieso er heute kein Polizist mehr werden will.

VICE: Wie hat sich Rassismus bei der Polizei Leipzig geäußert?
Simon: Die rassistischen Sprüche fingen schon in den ersten zwei Wochen meiner Ausbildung an. Damals haben sich alle aber noch ziemlich zurückgehalten. Richtig übel wurde es, als wir als Gruppe enger zusammen gewachsen sind. Da wurden Sachen rausgehauen, die echt nicht mehr feierlich waren – auch von den Vorgesetzten. Ein Schießausbilder sagte uns, dass wir jetzt besser schießen lernen müssen, weil wir so viel Besuch in Deutschland hätten. Mein Deutschlehrer hat mal den Begriff "N****" verwendet. Einmal sind wir mit dem Bus zum Schwimmen gefahren und dabei an einem Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe vorbeigefahren. Da meinte ein Kollege: Der tut bestimmt wieder so, als würde er Zettel an die Autos kleben, in Wirklichkeit versucht er aber, sie zu klauen. Sowas kam ständig vor.

Wurde das Thema Rassismus jemals im Unterricht behandelt?
In den neun Monaten, in denen ich da war, war es nie Thema. Einmal ging es in einer Ethikstunde darum, wie man sich verhält, wenn man mit Kriminellen zu tun hat, die einen Migrationshintergrund haben. Dabei hat unser Ausbilder Ausländer total überspitzt und klischeehaft dargestellt – das war fast schon rechtspopulistisch. Nach Silvester hat er uns dann erzählt, wie er sich nicht mehr wohl gefühlt habe in der Leipziger Innenstadt, weil da so viele Ausländer gewesen seien, die laut gefeiert hätten. Er hätte richtig Angst bekommen.

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Wie hast du auf diese Äußerungen reagiert?
Ich habe ihm gesagt, dass er sich vielleicht mal von seinen Vorurteilen lösen sollte. Jeder feiert an Silvester. Und dass es Quatsch ist, Angst zu bekommen, nur weil jemand keine weiße Hautfarbe hat oder nicht unsere Sprache spricht.

Gab es bei der Polizei eine Vertrauensperson, an die du dich mit deinen Bedenken wenden konntest?
Nein. Ich habe mich einmal bei einem Ausflug an unsere Lehrgruppenleiterin gewendet. Sie hat daraufhin versucht, den Rassismus der Anderen damit zu entschuldigen, dass Kriminalität von Ausländern in Leipzig ein sehr neues Thema sei und die Polizisten deshalb nicht genau wüssten, wie sie damit umgehen sollen. Aber das ist doch keine Entschuldigung!

Was haben deine Mitauszubildenden getan, wenn du dich über rassistische Sprüche beschwert hast?
Als ich dem Deutschlehrer gesagt habe, dass man N**** nicht sagen darf, habe ich sogar Gegenwind aus der Gruppe bekommen. Einer hat sich total aufgeregt, weil er nicht verstehen konnte, dass mich so eine Äußerung stört. Je mehr ich mich gegen rassistische Sprüche gewehrt habe, desto stärker wurde ich aus der Gruppe ausgeschlossen. Ich wurde immer als der Linke bezeichnet und relativ schnell zum Feind erklärt.


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Hattest du das Gefühl, von den Anderen gemobbt zu werden?
Ich wurde zumindest aus der Gruppe ausgeschlossen. Beim Boxen in der Halle hatten zum Beispiel immer alle einen Partner, außer mir. Nur weil ich eine andere Meinung hatte. Am Anfang habe ich mich eigentlich mit allen gut verstanden. Bei einem war ich sogar abends mal auf ein Bier zu Hause. Das war aber in den ersten zwei Wochen. Da waren rassistische Äußerungen noch nicht so präsent. Als es mehr wurde, habe ich mich distanziert. Zu offiziellen Veranstaltungen, wie einem gemeinsamen Grillen, bin ich natürlich gekommen, aber ich bin jedes Mal nach kurzer Zeit wieder gegangen.

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Wie lief dein Ausstieg aus der Polizei ab?
Als Beamter kann man nicht von einem auf den nächsten Tag kündigen. Man muss seine Entlassung beantragen und einen Grund dafür angeben. Ich habe damals behauptet, dass ich die Ausbildungsziele nicht erreichen könnte. Das ist ein geläufiger Grund bei der Polizei. Ich hatte einfach Angst vor den Reaktionen der Anderen. Ich hab alleine in meiner Leipziger Wohnung gewohnt und die war fußläufig von der Polizeifachschule gelegen. Als ich einige Wochen später meine Kündigung erhalten habe, habe ich den wahren Grund genannt. Etwa ein Jahr später habe ich dann die Screenshots bei Instagram veröffentlicht.

Was fühlst du, wenn du an das Erlebte in Sachsen denkst?
Das bereitet mir Sorgen. Deshalb mach ich es öffentlich. Wären es nur die dummen Sprüche in der WhatsApp-Gruppe gewesen, wäre es nicht das große Problem. Das Problem ist, dass diese rechten Tendenzen in Sachsen salonfähig sind. Wie soll jemand, der in Sachsen Polizist wird und solche rechten Tendenzen hat, neutral gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund polizeiliche Sachverhalte aufklären? Das ist für mich unvorstellbar. Man kann doch keine Asylheime schützen und gleichzeitig hintenrum über Flüchtlinge hetzen.

Unter deinem Instagram-Post wirst du als Kollegenschwein beleidigt. Wie gehst du damit um?
Ich habe mit sowas ehrlich gesagt gerechnet. Ich hatte auch Angst vor der Veröffentlichung. Und habe auch jetzt noch Angst. Ich bin mir durchaus bewusst, dass es Gegenwind geben wird. Aber in welcher Zeit leben wir, dass wir in Deutschland nicht mehr öffentlich sagen können, wenn jemand rechtsextrem ist? Ich glaube, wenn sich niemand mehr äußert, wird es richtig schlimm. Deswegen traue ich mich und stehe auch dazu. Und bei diesen dummen Kommentaren von Leuten, deren IQ unter 70 ist, muss man einfach weghören.

Wie üblich ist es bei der Polizei, sich gegenseitig zu decken?
Sehr üblich. Bei der Polizei gibt es das schöne Wort "Nestbeschmutzer". Für manch einen werde ich das wohl jetzt auch sein. Ich habe aber auch von vielen Kollegen, die nicht aus Sachsen kommen, Zuspruch für die Veröffentlichung bekommen. Einer hat gesagt: "Es gibt immer schwarze Schafe, aber das ist eine Nummer zu hart." Und das sehe ich auch so.

Müsste es in Zeiten von Racial Profiling nicht viel mehr Polizisten wie dich geben, die sich gegen Rassismus stark machen?
Auf jeden Fall. Trotzdem sehe ich es nicht als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Polizei in Deutschland sich neutral verhält. Das ist die Aufgabe der Polizei. Ich denke, es gibt viele Polizisten, die sich genau deshalb für den Beruf entscheiden, um aktiv etwas zu verändern. Wäre es nicht so schwer, sich später als Polizist in ein anderes Bundesland versetzen zu lassen, hätte ich die Ausbildung in Sachsen vielleicht sogar zu Ende gemacht. Trotzdem haben mich die Erfahrungen, die ich gemacht habe, ziemlich abgeschreckt. Ich studiere jetzt Immobilienmanagement in Köln und bin da sehr zufrieden mit.

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