Das Alkoholverbot am Praterstern könnte illegal sein
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Das Alkoholverbot am Praterstern könnte illegal sein

Stadt Wien und Polizei scheinen selbst nicht wirklich zu wissen, wer am Praterstern nun was darf und was nicht. Und JuristInnen nennen das Gesetz "verfassungswidrig".

Seit Ende April ist der Konsum von Alkohol am Wiener Praterstern verboten. Nun bezweifeln JuristInnen, ob dieses Verbot überhaupt rechtmäßig ist. Stadt Wien und Polizei widersprechen sich währenddessen gegenseitig.

Strafen zwischen 70 und 700 Euro für einen Schluck aus der Dose Bier – ausgenommen bei den Gastronomiebetrieben. Soviel war der breiteren Öffentlichkeit bisher zum Alkoholverbot am Praterstern bekannt. Doch Gespräche mit VertreterInnen der Stadt Wien und der Polizei zeigen ein reichlich verwirrtes Bild. Auch der Text der Verordnung selbst sorgt nicht unbedingt für Klarheit.

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Laut dem neuen Gesetz ist der Konsum von Alkohol überall in der Verbotszone untersagt, außer "an den Verabreichungsplätzen von Gewerbebetrieben (…) durch deren Kundinnen und Kunden während der Betriebszeiten". Im Klartext: Wer bei den Lokalen und Würstelständen innerhalb der Verbotszone Alkohol kauft, darf ihn dort auch konsumieren. (Das Gesetz im Wortlaut findet sich übrigens hier.) Das Problem: Es gibt im Gesetz keinerlei Abgrenzung, wie weit entfernt von den Gastrobetrieben der Konsum noch erlaubt ist.

Erster Anruf bei der zuständigen Wiener Stadträtin Ulrike Sima (SPÖ). Ihre Sprecherin Anita Voraberger führt aus: "Da gibt es eine ganz klare Regelung der Polizei, wie die das dort handhaben. Es ist ersichtlich, ob ich beim Würstelstand stehe oder 5 Meter davor." Nachfrage: "Aber wie kann ich als Betroffener herausfinden, ab wann es nicht mehr legal ist?" Antwort: "Ich weiß nicht, warum wir hier um Zentimeter streiten. Und ich weiß nicht genau, was Sie jetzt wollen. Sie wollen das jetzt madig machen und schlecht reden."

Mehrmals will die Sprecherin mich an die Polizei verweisen. Die Polizei ist allerdings nur das ausführende Organ. Die Verordnung wurde von der Stadt Wien erlassen, zuständig ist Stadträtin Sima. Der Weg über die Verordnung bedeutet auch, dass keine Abstimmung im Wiener Landtag notwendig war. Bei SP-Stadträtin Sima liegt also die Verantwortung. Meine Nachfrage, wie ich denn nun als möglicher Betroffener erkennen kann, ob ich mich legal oder illegal verhalte, endet in der Ankündigung: "Der zuständige Jurist wird sie zurückrufen."

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Nächstes Gespräch, diesmal mit Dietmar Klose von der Magistratsabteilung 36. Er ist der zuständige Jurist für das Gesetz. Frage: "Wie weit von diesen Gewerbebetrieben darf ich denn jetzt stehen?" Antwort: "Gar nicht. Mehr als ein Meter Umkreis ist das nicht. Wenn ich das Gesetz eng auslege, dann ist es nur das Ablagepult. Wenn ich drei Meter weit weg stehe, dann stehe ich nicht am Verabreichungsplatz."

Ein Meter ist nun wirklich nicht viel. Ob es nicht etwas lebensfremd ist, wenn sich acht Personen unmittelbar an einen Gastrostand kuscheln müssen? "Wir wissen beide, dass der Würstelstand das Problem im Gesetz ist", sagt Klose.

"Wir wissen beide, dass der Würstelstand das Problem im Gesetz ist."

Noch ein weiteres Problem gibt es bei den Gastro-Betrieben. Pro Stand gibt es eine bestimmte Anzahl von Plätzen, gesetzlich dürfen das höchstens acht sein (sonst bräuchte es ein WC). Doch was passiert bei der neunten Person, die dort etwas konsumiert? Klose gibt zwei Antworten. "Da muss der Besitzer des Würstelstand dann sagen, dass die in zehn Minuten wieder kommen soll." Er sagt aber auch: "Es wird der Polizei egal sein, wenn es zehn sind."

Nächster Anruf bei der Wiener Polizei. Sprecher Harald Sörös: "Wenn Leute ein paar Meter weg vom Gewerbebetrieb stehen, haben wir keine rechtliche Handhabe. Zehn Meter entfernt ist ein Problem. Das ist sicher eine Ermessensfrage und Fingerspitzengefühl." Zur Frage der Anzahl der erlaubten KundInnen sagt er: "Es gibt keine Begrenzung, wie viele Personen vor dem Würstelstand stehen dürfen. Das ist eine Fehlinformation." Das Problem: Das alles widerspricht komplett den Angaben der Stadt Wien.

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Zur Sicherheit auch noch eine Nachfrage bei Polizisten vor Ort. Die widersprechen wiederum Polizeisprecher Sörös: "Wir haben eine interne Dienstanweisung. Wenn es mehr als acht Personen sind, dann müssen wir die wegweisen." Was in dieser internen Dienstanweisung sonst noch steht und wo ich sie bekomme, will mir der Polizist nicht sagen. Auch Sörös will diese Dienstanweisung nicht weitergeben.

Sörös jedenfalls verweist nochmals auf das Fingerspitzengefühl und sagt: "Es gibt keine Metergrenze. Wenn es mir der Polizist sagt, weiß ich, dass ich dort nicht mehr stehen darf." Sprecherin Voraberger vom Büro der Stadträtin hatte zuvor noch gesagt: "Es ist gescheiter, mit der Polizei zu reden, die exekutieren das und machen das sehr gewissenhaft."

Für Verfassungsrechtlerin Brigitte Hornyik ist dieses Wirrwarr "abenteuerlich". Für sie widerspricht die Regelung am Praterstern schlicht dem Rechtsstaatsgebot. "Die Betroffenen wissen nicht, was legal ist und was nicht. Das geht nicht." Für Hornyik ist auch klar: "Ein interner Erlass genügt nicht. Das muss öffentlich zugänglich gemacht werden."

Ein abenteuerliches Wirrwarr.

Auch der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner ist verwundert. Der Jurist ist auf Grundrechtsfragen spezialisiert und sagt: "Eine Strafbestimmung muss für jeden verständlich sein, damit man sich auch daran halten kann, wenn man keine Strafe riskieren möchte." Die Verordnung sei viel zu "schwammig formuliert", kritisiert er.

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Das Gesetz hat noch eine zweite Besonderheit. Denn es ist nicht nur der Konsum von Alkohol untersagt, sondern auch das Mitführen, wenn "aufgrund der gesamten äußeren Umstände darauf geschlossen werden kann, dass eine Konsumation (…) unmittelbar bevorsteht, wie das Bereithalten (…) alkoholischer Getränke oder das Setzen sonstiger (…) Vorbereitungshandlungen. Nur: Wer bestimmt das?

Anita Voraberger vom Büro der Stadträtin: "Das ist für die Polizei nichts Neues, das ist ja Alltag. Das kann der einzelne Beamte dann vor Ort abschätzen." Kleiner Schönheitsfehler: Es ist für die Wiener Polizei natürlich etwas Neues, denn es ist das erste Alkoholverbot in dieser Form in Wien.

Voraberger meint: "Es ist leicht erkennbar, ob sie mit der Flasche in der Hand gehen und trinken oder ob sie den Wein mit nach Hause nehmen. Nachfrage: "Aber es ist doch schon das Bereithalten verboten?" Antwort: "Reden Sie mit der Polizei." Meine Frage, dass das Gesetz von der Stadt Wien geschrieben wurde und sich dort jemand etwas überlegt haben müsse beantwortet sie damit, dass das "theoretische Geschichten" seien.

Der Jurist der Stadt Wien ist schon etwas vorsichtiger. "Das ist das Problem aller Gesetze, dass man verschiedene Lebenssachverhalte, die auftreten, allgemein beschreiben muss. Natürlich ist es immer im Einzelfall ein Abgrenzungsproblem." Klose sagt auch: "Wenn ich am Praterstern mit einer geschlossenen Flasche stehe, ist es überhaupt kein Problem." Im Gesetz stehe doch etwas anderes? Mehrmalige Nachfragen bringen kein Ergebnis, dennoch sagt Klose: "Dass es hier einen Interpretationsspielraum für die Polizei gibt, diese Gefahr sehe ich nicht."

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Schließlich verweist auch der Jurist der Stadt Wien auf die Polizei. "Es ist wohl am besten, wenn sie mit denen reden." Nochmals also das gleiche Muster: Diejenigen, die für das Gesetz verantwortlich sind, verweisen auf die Polizei. Die Polizei ist aber eigentlich nur für die Durchführung zuständig und nicht dafür, sich genau zu überlegen, was denn die Stadt Wien gemeint haben könnte.

Polizeisprecher Sörös sagt dann: "Das ist alles eine Ermessensfrage. Bei den Alkoholikern am Praterstern ist auch die geschlossene Bierdose ein Problem." Ein klarer Widerspruch zu den Aussagen der Stadt Wien. Für Sörös ist "dem Polizisten die Einschätzung zuzutrauen, ob ein Student eine Flasche Wein für eine Party in der Hand hat oder ob der Alkohol zum Trinken bereitgehalten wird." Laut Polizist Sörös hätte die Polizei ohnehin das nötige Fingerspitzengefühl.

"Unsachlich und daher verfassungswidrig."

Juristin Brigitte Hornyik meint dazu: "Eine solche Regelung ist absurd und öffnet polizeilicher Willkür doch Tür und Tor. Der eine Polizist hat ein Fingerspitzengefühl, der andere ein anderes." Nach Meinung der Verfassungsexpertin ist die gesamte Regelung am Praterstern "verfassungsrechtlich bedenklich". Sie rät allen Betroffenen von Strafen am Praterstern, Einspruch zu erheben. Das sieht auch Rechtsanwalt Lahner so. Er hält das gesamte Alkoholverbot am Praterstern für "unsachlich und daher verfassungswidrig".

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Angelika Adensamer vom "Netzwerk kritische Rechtswissenschaften" ist ebenfalls skeptisch. "Es müssten örtliche Missstände vorgewiesen werden, um ein Konsumverbot für das gesamte Gebiet zu rechtfertigen. Die Verbotszone ist so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es im gesamten Gebiet solche Missstände gibt."


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Der Praterstern ist bereits seit Jahrzehnten ein Treffpunkt einer bestimmten Szene. Marginalisierte Menschen treffen sich dort und verbringen ihren Tag. Viele von ihnen haben offensichtlich eine Krankheit. Sie sind abhängig von bestimmten Drogen, am Praterstern meist unter anderem von Alkohol. Es ist das Gesicht einer kapitalistischen Großstadt.

Der Praterstern, also der alte Wiener Nordbahnhof, ist bereits seit 150 Jahren ein Treffpunkt für arme und zugereiste Menschen. In Zeiten der Habsburger-Diktatur war er der wichtigste Bahnhof der Hauptstadt, dort kamen die Zuwanderer aus den Kronländern an. Fast überall auf der Welt gibt es in der Umgebung von Bahnhöfen arme Menschen und billigen Wohnraum, aber auch Prostitution und Drogenabhängigkeit. So auch am Praterstern.


Nun wollen Stadt Wien und Polizei dieses soziale Phänomen offensichtlich ordnungspolitisch unterdrücken und den Praterstern schick machen. Einerseits gibt es immer wieder Razzien gegen die migrantischen Jugendlichen, die sich gern am Praterstern aufhalten. Einen Augenzeugenbericht über eine solche Razzia habe ich hier aufgeschrieben.

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Gleichzeitig soll mit dem Alkoholverbot die "Szene", die sich dort seit Jahrzehnten aufhält, vertrieben werden. Allerdings verschwinden Menschen nicht, nur weil bestimmte Handlungen verboten werden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder bekommen die Menschen immer mehr hohe Strafen, die sie ohnehin nicht bezahlen können. Oder die Polizei erhöht den Druck so sehr, dass die Menschen tatsächlich woanders hin ausweichen. Am Praterstern allerdings gibt es bereits eine sozialarbeiterische Infrastruktur, etwa das Tageszentrum "Das Stern". Was ist gewonnen, wenn alkoholkranke Menschen dann komplett ohne Strukturen etwa am Schwedenplatz, am Handelskai oder in Floridsdorf sitzen?


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Die Stadt Wien und die SPÖ wissen übrigens selbst sehr genau, dass sie die Menschen nur hin und her schieben. Nur wenige Tage nach der Ankündigung des Alkoholverbots am Praterstern posierte der Floridsdorfer SPÖ-Bezirksvorsteher Georg Papai bereits stolz mit einem Plakat, auf dem er auch für den Bahnhof Floridsdorf ein Alkoholverbot forderte.

"Damit gibt die Stadt Wien doch bereits selbst zu, dass sie das Problem nur verschiebt", kritisiert Angelika Adensamer vom "Netzwerk kritische Rechtswissenschaften". Bezirksvorsteher Papai posierte übrigens mit einem durchgestrichenen Cocktailglas – wobei eher zu bezweifeln ist, dass obdachlose Menschen sich sehr oft einen Cocktail leisten können.

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Es ist nicht immer angenehm, Plätze zu passieren, wo betrunkene oder aggressive Menschen oder größere Gruppen von Jugendlichen abhängen. Manche Menschen haben Angst und das sollte auch ernst genommen werden. Doch die aktuellen Verbote werden das nicht lösen. Die Betroffenen werden einfach an anderen Orten auftauchen, wo sie dann wieder vertrieben werden. Es beginnt ein endloses Karussell mit immer neuen Verboten.

Wenn es besonders schlecht läuft, werden die betroffenen Menschen vom Praterstern in Richtung Prater ausweichen. Am gut beleuchteten und belebten Praterstern könnten Begegnungen mit sozialen Randgruppen für manche AnrainerInnen tatsächlich aber sogar wesentlich positiver sein als im riesigen und unübersichtlichen "Grünen Prater".


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In den Lokalen am Praterstern ist der Alkoholkonsum weiter erlaubt. Die angrenzende Kaiserwiese ist ebenfalls ausgenommen – dort finden regelmäßig Besäufnisse im Rahmen verschiedener Festivals statt. AnrainerInnen berichten laut Standard unter anderem von "Erbrochenem auf Gehsteigen und Baumscheiben vor den Wohnhäusern, die als Toiletten dienen". Diese Alkoholabhängigkeit ist aber scheinbar nicht das Problem und wird vom Verbot nicht erfasst. Diese Abhängigen können den Stoff eben teuer genug bezahlen.

Tatsächlich aber wären die Probleme am Praterstern durchaus weitgehend in den Griff zu bekommen: Genügend Aufenthaltsräume, wo auch Alkohol konsumiert werden kann; leistbare Wohnungen; Zugang zu Therapien; Entkriminalisierung von Drogen und Abgabe in Apotheken; Jobangebote, Jugendzentren und Arbeitserlaubnis für die Jugendlichen; genügend SozialarbeiterInnen mit Konfliktausbildung vor Ort.

Das alles sind konkrete und machbare Lösungsansätze. Offensichtlich völlig unklare Gesetze, unbezahlbare Strafen und das sinnlose Verschieben von Menschen sind hingegen einfach nur ein Symbol hilfloser Repressionspolitik.

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