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Umweltschmutz

Das ist die fatale Bilanz der Greenpeace-Protestaktion an der Siegessäule

Verletzte Radfahrer und Radfahrerinnen, verschwendetes Wasser – und verschmutzte Umwelt: Warum die neuste Aktion von Greenpeace nach hinten losging.
Foto: Greenpeace

3.500 Liter sind eine ganze Menge Flüssigkeit: Sie reicht zum Beispiel aus, um einen kleinen Bauschutt-Container zu füllen. Oder um einen VW Golf 3 etwa 70 mal zu betanken und mit dem Benzin mehr als 50.000 Kilometer zu fahren. Wie wir seit Dienstag wissen, reichen 3.500 Liter ebenfalls für einen groß angelegten Protest aus.

Die Umweltorganisation Greenpeace schüttete am frühen Dienstagmorgen genau diese Menge flüssiger Farbe auf dem Großen Stern bei der Berliner Siegessäule aus, um gegen die Kohlepolitik der Bundesregierung zu protestieren. Lkw und Kleinanhänger trugen das sogenannte Spinellgelb mit Düsen auf die Straße auf, bevor die Aktivisten und Aktivistinnen es mit Hilfe von Bürsten, Besen und Farbrollern auf dem sechsspurigen Kreisel verteilten. Die Farbe verwandelte den Großen Stern zu einer Asphaltsonne. Die Gold-Else blicke plötzlich auf zitronengelbe Straßen herab.

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"Der verschleppte Kohleausstieg ruiniert Deutschlands Klimabilanz und bremst die Modernisierung unseres Energiesystems hin zu Solar und Windkraft", begründet Greenpeace-Sprecher Christoph von Lieven gegenüber der Berliner Morgenpost den Protest. Doch wie schon Kettcar sang (und davor wohl Gottfried Benn sagte): Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Der Farbstoff: biologisch nicht abbaubar

Beginnen wir mit der Farbe: Spinell ist ein Kristall. Um aus diesem Kristall eine Farbe herzustellen, wird es mit Schwermetallen wie Cobalt, Nickel oder Chrom angereichert und in einem Ofen Temperaturen von etwa 1.500 Grad ausgesetzt.

Zwar ist die Farbe weder giftig noch umweltschädlich, dennoch warnt der Hersteller Bau+Farben Kontor Leipzig, dass die "Kontamination" von "Erdreich, Kanalisation und Gewässer" mit der Farbe vermieden werden sollte. Denn Spinellgelb ist nicht biologisch abbaubar, könnte versickern und jahrelang in Böden und Gewässern bleiben. "Diese Schwermetalle kommen nicht ohne Weiteres raus", sagte der Geochemiker Johannes Glodny dem Tagesspiegel. Nickel etwa werde so gut wie gar nicht freigesetzt. Mit dem Protest verunreinigten die Umweltschützer und -schützerinnen also selbst die Umwelt.

Die Farbe: nur mit viel Mühe abzuwaschen

Greenpeace teilte noch am Dienstagvormittag mit, dass das Farbgemisch "abwaschbar" und "umweltfreundlich" sei. Die Organisation behauptetet, dass die Farbe nach dem ersten Regen wieder verschwunden sei. Doch ganz so einfach ist es wohl nicht. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) war am Dienstag von 9 bis etwa 16:30 Uhr vor Ort. Ihr Sprecher Sebastian Harnisch nannte den Einsatz gegenüber VICE eine "außergewöhnliche Herausforderung".

Harnisch sagte, dass es "sehr aufwendig" gewesen sei, die Farbe von der Straße zu kriegen. Vier Spülwagen hätten versucht, die Farbe von der Straße zu lösen, acht Kehrmaschinen das Gemisch abgeschrubbt und aufgenommen. Dabei seien mehrere zehntausend Liter Wasser verbraucht worden, die BSR werde Greenpeace die Kosten in Rechnung stellen, so Harnisch. Wie teuer genau die Aktion war, könne er noch nicht sagen.

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Die Reaktionen: Wut und Unverständnis

Man könnte Greenpeace verteidigen und sagen, dass die Aktion auf ein reales Problem aufmerksam machen sollte. Braunkohlewerke sind schließlich ineffizient und tatsächlich umweltschädlich: Die EU-Kommission kam schon 2014 zu dem Schluss, dass unter den zehn klimaschädlichsten Kraftwerken in Europa allein fünf deutsche Braunkohlekraftwerke sind. Laut Greenpeace selbst gehen über 40 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland auf das Konto der Kohlekraftwerke. Und hey, Aufmerksamkeit hat Greenpeace jetzt ja genug.

Doch so richtig konnte die Umweltorganisation die Menschen nicht für das Thema einnehmen. Vielmehr kritisierten zahlreiche Menschen in den sozialen Medien die Aktion. Auf Twitter schreibt jemand: "Wie man eine an sich gute Sache völlig vergeigen kann, zeigt @greenpeace_de heute Morgen in Berlin." Andere bezeichnen den Protest als "eine der dümmsten Aktionen ever" oder als "sehr schlecht überlegt". Statt sich über Kohlekraftwerke den Kopf zu zerschlagen, ist das Internet also wütend und voller Unverständnis.

Was dabei fast unterging: dass am Dienstag die neue Kohlekommission erstmals in Berlin tagte. Das Gremium soll unter anderem bis Ende des Jahres vorschlagen, wann genau Deutschland die Kohlekraftwerke abschaltet.

Greenpeace-Aktivisten und -Aktivistinnen verteilten die Farbe mit Farbrollern auf der Straße. "Let the sunshine in! #EndCoal" prangt auf einem Transparent | Foto: Greenpeace

Der Verkehr: wird gefährdet und verlangsamt

Was Zechearbeiter unter Tage einst für die SPD waren, sind Radfahrerinnen heute für Greenpeace. Auf der eigenen Homepage bewirbt Greenpace unter dem Slogan "Darauf fahren wir ab" für zehn Ideen, mit denen die Organisation alle Verkehrsteilnehmenden aus dem Auto und aufs Fahrrad kriegen will. Dort heißt es: "Denn was würde Pedalmuffel wohl zügiger auf den Sattel bringen als ein sicherer und vor allem schnellerer Weg durch die City als mit dem Auto?"

Doch ausgerechnet Radfahrende verletzten sich bei der Protestaktion. Am Dienstag gingen drei Verkehrsunfallanzeigen bei der Polizei ein, zwei davon von Radlern. Auf Twitter kursierten Nachrichten, laut denen eine Lehrerin auf dem glatten Belag ausgerutscht, von ihrem Fahrrad gefallen war und nach dem Sturz unter Schock stand.

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Greenpeace scheint sich aus der ganzen Kritik nichts zu machen und würde die Aktion nochmal wiederholen. "Vor Ort fielen die Reaktionen positiv aus, von Verkehrsunfällen habe ich nichts mitbekommen", sagte der Sprecher Björn Jettka gegenüber VICE. Die kritischen Stimmen in sozialen Medien erklärt er sich damit, dass Menschen seltener Lob und Zuspruch ausdrücken als Kritik und Ablehnung. Von Gewässerverunreinigungen, Strafanzeigen und hohen Kosten wisse Greenpeace aktuell noch nichts. "Unser Protest war dann ein Erfolg, wenn Deutschland die Klimaziele erreicht."

Die Polizei: ermittelt inzwischen wegen Verdachts auf Gewässerverunreinigung

Nicht nur Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer hatten mit dem Belag zu kämpfen. Auch der Auto- und Busverkehr verlangsamte und stand zwischenzeitlich still, weil die Farbe Fahrbahnmarkierungen verdeckte. Ein Polizeisprecher sagte VICE, dass inzwischen schon 13 Anzeigen bei der Polizei eingegangen seien, die Zahl aber noch steigen könne. Die Polizei ermittelte bereits am Dienstag wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und gefährlichen Eingriffs in die Straßenverkehrsordnung.

Am Mittwoch leitete die Polizei dann auch Ermittlungen wegen des Verdachts auf Gewässerverunreinigung ein. "Es besteht der Verdacht, dass sich Bestandteile der Farbe negativ auf Flora und Fauna, insbesondere in der Spree, auswirken können", sagte der Polizeisprecher.

Anders gesagt: Um auf ein durchaus nicht unbedeutendes Problem aufmerksam zu machen, nahmen Greenpeace in Kauf, Fahrradfahrende zu verletzten, Unmengen an Wasser zu verbrauchen und durch verunreinigtes Grundwasser Tiere und Pflanzen zu gefährden. Aber ob das jetzt der Kohlekommission als Vorbild taugt?

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