geld

Unser Buchhalter hat versucht, mir beizubringen, mit Geld umzugehen

"Eine Million sind nach Abzug der Steuern ja nicht so viel Geld," sagt Excel-David.
um Umgang mit Geld zu lernen sitzt Frau vor Computer
Bilder von Sebastian Danielsson

Es ist 23:16 Uhr. Ich liege völlig erschlagen und leicht angetrunken in meinem Bett und verschicke ein Meme über Excel. Ich sende es David, einem VICE-Buchhalter, meinem Kollegen. Ich hatte ihn den ganzen Tag begleitet.

Kann nicht mit Geld umgehen Excel

Der Tag begann für mich um 8:30 Uhr. David ist nämlich immer einer der Ersten im Büro. Statt meines üblichen Tenue – schwarz, schwarz, schwarz – habe ich heute ein weisses Hemd angezogen. Vielleicht hilft es mir ja, zum Finanzprofi zu werden.

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Denn ich bin alles andere als das. Obwohl ich genug Geld verdiene, bin ich am Monatsende regelmässig pleite. Ich weiss nicht, WAS genau ich mit dem Geld anstelle. Aber anscheinend werfe ich es mit beiden Händen zum Fenster raus, das zeigt ein Blick auf meinen Kontostand vor Lohnauszahlung. Als ich Anfang 20 war, hatte mein ganzer Freundeskreis mit genau diesem Problem zu kämpfen. Doch jetzt, ich bin 27, zeigt sich, wer das Erwachsensein im Griff hat – und das habe ich offensichtlich nicht, zumindest nicht in puncto Geld.


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Ich kann nicht einmal sagen, dass ich keine Hilfe gehabt hätte. Mein Vater ist mit Geld super. Aber jedes Mal, wenn er sich mit mir hinsetzen wollte, um mir zu erklären, wie man ein Budget erstellt oder um mit mir anzuschauen, wieso ich am Monatsende mal wieder pleite bin, hatte ich immer gerade "Wichtigeres" zu tun. Warum eigentlich? Auch deshalb bin ich heute Davids Praktikantin, um herauszufinden, woher meine Finanzangst kommt.

David ist ein lieber Typ, der immer noch in dem Verein Fussball spielt, in dem er auch aufgewachsen ist. Mit ihm kann man Spässe auf dem Flur machen und über die neuesten Comicverfilmungen reden. Wenn man bei der Spesenabrechnungen Hilfe braucht, kann man immer David fragen. Er trägt keinen Anzug, nicht mal Chinohosen, David ist ein legerer Typ, der im T-Shirt seine Buchungen vornimmt. Und deshalb sitze ich auch gerne neben ihm.

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Wieso kann ich nicht mit Geld umgehen, Buchhalter David

David sagt von sich selbst, dass er auch nicht mit Geld umgehen könne, also privat. Aber ich glaube, das sagt er nur, damit ich mich besser fühle. David hat für seine Rechnungen ein Lastschriftverfahren eingerichtet, er zahlt in die Altersvorsorge ein und spart für die Ferien. Und er ist einer der Menschen, die Excel verstehen.

Excel? Am liebsten würde ich mir meine Hände über die Ohren legen, die Augen zu machen und laut "Lalalala!" schreien.

Als erste Amtshandlung dieses Tages öffnet er genau dieses Programm, dessen Existenz ich seit dem Informatikunterricht erfolgreich aus meinem Gehirn verdrängt hatte. Jetzt sitzen wir vor einer Excel-Tabelle und ich bereue das erste Mal an diesem Tag, die Idee zu diesem Text gehabt zu haben. Die Zeilen und Spalten sind gefüllt mit Zahlen und Buchstaben. Das einzige, was ich darin verstehe, ist das Wort "Oktober". David sitzt gerade am Monatsabschluss.

"Was machst du da?", frage ich.

"Jetzt bin ich dabei, die Kosten und Einnahmen abzugrenzen."

"Was genau heisst das?"

Erinnerungslücke.

David holt zur Erklärung aus, und ich bin raus. Ich möchte mich sehr gerne darauf konzentrieren, was er sagt. Aber ich kann nicht. Ich drifte in einen inneren Monolog ab: "Boah, das ist so langweilig. Ich verstehe das nicht. – Pass jetzt auf und hör ihm zu! – Es ist so langweilig."

"Verstehst du?", reisst mich David aus meinen Gedanken.

"Ganz ehrlich? Nein. Es tut mir sehr leid, aber mein Hirn hat sich abgestellt."

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Ich mache bei David genau das, was ich auch mache, wenn es um Rechnungen geht: den Vogel Strauss. Am liebsten würde ich mir meine Hände über die Ohren legen, die Augen zu machen und laut "Lalalala!" schreien.

Mein Zahlungs-"System" sieht aktuell so aus, dass ich einmal im Monat alles bezahle, was auf meinem Tisch liegt, und die restlichen Tage so tue, als würden Rechnungen nicht existieren. Nur um jedes Mal einen kleinen Schweissausbruch zu bekommen, wenn ein Brief ins Haus flattert, der nach Rechnung aussieht. Oder ist es eine Mahnung, weil ich schon wieder eine Zahlung übersehen/vergessen/ignoriert habe? Egal, ich stopfe den Brief ungeöffnet in das Mäppchen, in dem meine unbezahlten Rechnungen schlummern.

Wenn ich einmal gross bin, dachte ich immer, versteh ich, wie das funktioniert

Für David geht das nicht. Davids Job wäre für mich deshalb ein Albtraum. Ein Berg an Aufgaben, die mit Geld zu tun haben. Ich würde prokrastinieren ohne Ende.

"Wie bringst du dich dazu, die To-Dos einfach anzugehen?"

"Ich mach es einfach. Du hast eine Deadline und es muss eh gemacht werden."

Unterdessen ist es fast schon Mittag und das einzige, was David bisher gemacht hat, ist, Zahlen aus einer Excel-Tabelle in eine andere einzufügen. Und in Rekordgeschwindigkeit irgendwelche anderen Zahlen einzutippen. Dazwischen war er auch in Videocalls mit seinen Kollegen aus Wien und Berlin. Da durfte ich nicht mit, aber am Nachmittag darf ich, verspricht er mir. Ich freue mich nicht.

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David macht gerade noch eine Fortbildung. Für diese Entscheidung hat er nicht mein Verständnis – aber meine tiefe Bewunderung.

Als wir am Mittagstisch sitzen, schaufle ich meine Pizza wortlos in mich rein. Eigentlich rede ich immer gerne mit David. Denn er ist wohl einer der coolsten Buchhalter der Welt. Ich kann mit ihm über Star Wars-Filme werweissen oder bis frühmorgens Schnäpse trinken. Aber heute habe ich mit David nichts gemeinsam.

Sobald es um Dinge geht, die mit Geld zu tun haben, fühle ich mich wie damals beim Lernen für die Matheprüfung: Ich verstehe nichts und anstatt das Problem sofort in Angriff zu nehmen, schiebe ich es bis zum letzten Drücker raus, mache nur das Allernötigste und komme mit viel Glück damit durch. Aber verstanden habe ich noch immer nichts.

Früher hätte man argumentieren können, dass es die Aufgabe meiner Eltern sei, mir das mit dem Geld beizubringen. Aber für jemanden wie mich, der sich partout nicht damit auseinandersetzen will, wäre es gut gewesen, ich wäre dazu gezwungen worden. Beispielsweise indem Finanzen in der Schule ausführlich behandelt worden wären. Aber jetzt ist es alleine meine Verantwortung, das mit dem Geld zu managen. Ich bin alleine für meine finanzielle Zukunft verantwortlich.

Ich hätte schon längst Ordnung in meine Finanzen bringen müssen. Ich hätte schon längst ein Budget erstellen sollen. Ich hätte schon längst für alle meine Fixkosten Lastschriftverfahren erstellen müssen.

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Als Kind dachte ich immer, wenn ich einmal gross bin, verstehe ich, wie das funktioniert. Aber jetzt bin ich gross und ich verstehe noch immer nicht. Die Konsequenzen meines Nicht-Tuns trage ich selber. Auch das heisst es, erwachsen zu sein: Man ist für sich verantwortlich und für die Entscheidungen, die man trifft. Ich entscheide mich nunmal oft DAGEGEN, meine Rechnungen zu bezahlen. Aber dabei fühle ich mich eher wie ein grosses Kind.

Es ist Nachmittag, zurück zu den Excel-Tabellen. David tippt weiterhin Zahlen ein, wechselt von der einen Tabelle zur nächsten. In meinem Kopf spielt gerade der Titelsong von Itchy und Scratchy.

David hilft mit Geld

"Was würdest du tun, wenn du eine Million bekommen würdest?", lenke ich ihn ab. "Ich würde ganz normal weiter zur Arbeit kommen. Vielleicht würde ich mir ein kleines Häuschen kaufen, da, wo ich aufgewachsen bin. Eine Million sind nach Abzug der Steuern ja nicht so viel Geld."

Wenn ich eine Million hätte, würde ich sie wohl für allerhand unnützes Spasszeug rausballern. Denn ich glaube, dafür geht mein Geld eigentlich drauf. Wenn ich wirklich einen genauen Blick auf meine Ausgaben werfen würde, würde ich mich für die Impulshaftigkeit schämen, mit der ich Dinge kaufe, einfach weil sie Spass machen. (Zum Beispiel einen kleinen R2D2, der regelmässig Droiden-Geräusche von sich gibt.) Man könnte ebenso gut einem Kind mehrere hundert Franken in die Hand drücken und ihm viel Spass damit wünschen.

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Irgendwie hat diese Kontrolle etwas Befreiendes

Ich glaube, meine Unfähigkeit mit Geld umzugehen, hat nicht nur mit meiner Unlust zu tun. Sondern auch damit, dass ich einfach ein anderer Typ Mensch bin als David. David arbeitet nicht, um sich selbst zu verwirklichen oder kreativ zu sein. David arbeitet Pendenzen ab, er arbeitet, um was wegzuschaffen. Ich suche in allem, was ich tue, eine Form von Selbstverwirklichung oder zumindest Spass. Und in dem, was ich tue, bin ich nie mit einer Absolutheit konfrontiert. Irgendwie lässt sich immer noch was hinbiegen.

Genau darum wurde David aber Buchhalter. "Wenn es um Cashflow geht, also um das Geld, das man einnimmt und ausgibt, gibt es keinen Spielraum. Es ist so einfach, die Zahlen sind absolut, ich mag das."

In mir beginnt es allmählich, "Klick" zu machen: Ich habe das Geld wie etwas behandelt, das sich irgendwie hinbiegen lässt und nicht als den unveränderbaren Wert, den eine Zahl halt hat. Aber das Problem bleibt weiterhin hartnäckig bestehen, solange ich nicht einfach in den sauren Apfel beisse.

Niemand kann einfach so mit Geld umgehen oder nicht. Es ist kein Talent, das man hat oder nicht. Es ist einfach eine Realität, der man sich stellen muss. Je länger man es nicht tut, desto schlimmer wird es.

Das Schöne am Erwachsensein ist einerseits, dass ich mein Geld für Spässe ausgeben kann. Andererseits kann ich aber auch die Verantwortung für mich selbst in die Hand nehmen. Und diese Kontrolle hat doch auch etwas Befreiendes.

Was ist schon ein zusätzlicher Abend, den man für Rechnungen opfert, für das Gefühl der finanziellen Sicherheit – und damit ein Stück erwachsener Freiheit.

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