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Tausend Teenager unter Kinderporno-Verdacht, weil sie Sexvideos von 15-Jährigen geteilt haben

Um die mutmaßlichen Täter zu schnappen, half auch Facebook mit – und meldete die nichts ahnenden Messenger-Nutzer an die Polizei.
Symbolbild: Shutterstock.

1004 Teenager zwischen 15 und 20 Jahren werden in Dänemark wegen Verbreitung von Kinderpornografie angezeigt, weil sie Sexvideos über den Facebook Messenger verbreitet hatten.

Die Ermittlungen seien ein "sehr großer und komplexer" Fall gewesen, sagte ein Vertreter der dänischen Polizei gegenüber Motherboard. Konkret geht es um zwei Videos und ein Bild, bei dem 15-Jährige beim Sex zu sehen sind. Die Videos wurden bis Herbst 2017 von der Plattform gelöscht.

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Flemming Kjaerside, Leiter des Cybercrime Centers der dänischen Polizei, erklärte Motherboard telefonisch, dass die Videos schon seit 2015 im Netz kursieren und zunächst per E-Mail weitergegeben wurden. "Wir wussten, dass es sich bei den gefilmten Jugendlichen um Dänen handelt, und wir wussten auch, dass sich das Material sehr schnell weltweit verbreitet hat – bis nach Australien und Neuseeland." Zu dem Fall ermittelt die dänische Polizisten bereits seit 2015 unter dem Namen "Operation Umbrella".

Auch auf den Facebook-Servern verbreitete sich das Material rasant über die hauseigene Chat-App Facebook Messenger. Bei dem Sozialen Netzwerk trudelten daraufhin Beschwerden über das Material ein – denn auch Messenger-Nachrichten kann man wie einen regulären Post für Verstöße gegen die Community Standards melden. Weil Facebook sich verpflichtet hat, der US-Nichtregierungsorganisation NCMEC Bericht über Verdachtsfälle der sexuellen Ausbeutung von Kindern zu erstatten, leitete Facebook Details an NCMEC weiter.

NCMEC hat eine Kooperation mit der europäischen Polizeibehörde Europol. Über sichere Kommunikationskanäle landeten Nutzerdaten und Links letztlich auf dem Schreibtisch der Cybercrime-Einheit der dänischen Polizei und brachte die Ermittlungen weiter ins Rollen, wie Kjaerkside erläutert.

Mit 1004 Anzeigen aufgrund von nur zwei Videos ist es einer der größten Fälle, der in der Geschichte von Facebook zur Strafverfolgung von Nutzern geführt hatte. Es ist auch der größte Fall von Kinderpornografie, der in Dänemark je ermittelt wurde: Personen im ganzen Land haben Anzeigen erhalten. "Jeder hatte das Video gesehen", erklärt eine dänische Schülerin in den Abendnachrichten des deutschen Auslandsrundfunks DW am Dienstag, "ehrlich gesagt wundere ich mich, dass es nur so wenige Anzeigen sind." Laut der dänischen Polizei haben manche der Beschuldigten das Video nur einige mal geteilt, andere wiederum mehrere hundert mal. Personen über 18 wurden zu Verhören in die Wache vorgeladen, unter 18-Jährige wurden über ihre Eltern kontaktiert.

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Ein Klick auf Teilen – und eine jahrelang verbaute Zukunft: Warum eine Verurteilung für die Teenager drastische Folgen haben kann

Einvernehmlicher Sex zwischen 15-Jährigen ist in Dänemark legal, die Verbreitung von sexuell explizitem Material, in dem die handelnden Personen minderjährig sind, gilt allerdings als Verbreitung von Kinderpornografie und ist in Dänemark strafbar.

Ein Verstoß gegen den entsprechenden Paragraphen 235 kann in Dänemark streng geahndet werden. Bei einer Verurteilung folgt ein Eintrag in eine Datenbank, mit dem der Beschuldigte für ein ganzes Jahrzehnt keinen Job mehr annehmen kann, bei dem man in der Nähe von Kindern arbeitet; selbst Freiwilligenarbeit als Fussballtrainer wäre verboten. "Außerdem kann es Einreiseprobleme geben, wenn die USA die Daten im Vorfeld abfragen", so Kjaerside. Sollten sie der Verbreitung des Materials für schuldig befunden werden, droht den rund 800 beschuldigten Männern und 200 Frauen zudem eine Haftstrafe von bis zu 20 Tagen.

In der dänischen Politik wurden im vergangenen Jahr schärfere Maßnahmen gegen Rachepornografie diskutiert. Doch bei weitem nicht allen jungen Menschen dürfte in diesem Fall die Tragweite ihrer Tat bewusst gewesen sein: Die Teenager teilten die Videos nicht im öffentlichen Bereich des sozialen Netzwerks, sondern im Messenger. In der Chat-App gehen Gesprächspartner zumeist von der Vertraulichkeit der Konversationen aus.

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Aus der Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden macht Facebook kein Geheimnis. Dass diese sich aber auch auf Inhaltsdaten im halbprivaten Raum der Chat-App Messenger erstreckt und internationale Ermittlungen en masse anschieben kann, war in diesem Umfang bislang noch nicht bekannt.

Eine Datenbank für jeden Link: Wie Facebook überwachen kann, was geteilt wird

Facebook sammelt jeden Link, der zum ersten Mal privat oder öffentlich geteilt wird, in einer Datenbank und weist ihm eine eindeutige ID zu, wie Sicherheitsforscher in der Vergangenheit bereits zeigten. Somit kann Facebook theoretisch alle Instanzen eines Links auffinden und entfernen. Über die Programmierschnittstelle von Facebook lassen sich diese Links auch von außerhalb häufig eindeutig mit dem Nutzer verknüpfen, der ihn geteilt hat.

Wie Facebook davon erfahren hatte, wer die Videos auf ihren Servern verteilt hat, mochte Kjaerside nicht kommentieren. "Fakt ist aber, dass wir von NCMEC jedes Jahr viele tausende Daten über potentiellen Kindesmissbrauch von sozialen Medien bekommen, deren Motto ist: Better safe than sorry", so der Ermittler. "Wir prüfen jeden einzelnen. Bei meinen deutschen Kollegen in der Cybercrime-Ermittlung sind es sicher 100.000 oder mehr zu prüfende Fälle pro Jahr."

Es dürften noch mehr werden: Europol hat im vergangenen Oktober das Portal "Sirius" eingerichtet. Damit sollen europäische Polizisten ohne ein Rechtshilfeverfahren auf Daten von Unternehmen zugreifen können, die in den USA ansässig sind. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage heißt es dazu: "Einige Anbieter stellen dazu eigens entwickelte Abfrage-Portale zur Verfügung". Ob das auch auf Facebook zutrifft, ist nicht bekannt.