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Rechtsextremismus

Wie ein mutmaßlicher Neonazi beim Reservistenverband der Bundeswehr bleiben darf

Thomas K. hatte Reden von Hitler und Dateien wie "Arisches Blut – Hitlers 100. Geburtstag.mp3" auf der Festplatte. Dennoch behielt er seinen Job.
Foto: imago | Winfried Rothermel || bearbeitet

Vom einfachen Gefreiten bis zum General: Der Reservistenverband der Bundeswehr ist stolz darauf, mit seinen mehr als 115.000 Mitgliedern das ganze Spektrum der deutschen Streitkräfte abzudecken. Einer von ihnen ist Thomas K., Mitarbeiter des Verbands in Mecklenburg-Vorpommern. Er soll aber auch ein Neonazi und Hooligan sein. Und obwohl die Vorwürfe gegen K. seit vier Jahren bekannt sind, sein Vorgesetzter ihn loswerden wollte und aussagekräftiges Beweismaterial existiert, arbeitet K. noch immer beim Reservistenverband. Recherchiert hat diese Geschichte ein Team der taz, das ihm vorliegende Briefwechsel, Gesprächsprotokolle und weitere Daten ausgewertet und mit allen Beteiligten gesprochen hat.

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Reservisten sind ehemalige Soldaten der Bundeswehr (sofern sie ihren Dienstgrad nicht verloren haben) sowie Menschen, die sich ehrenamtlich bei der Bundeswehr gemeldet haben. Die Reserve und ihr Verband unterstützen die Bundeswehr dabei, ihr Personal zu verwalten, Geräte zu warten und Öffentlichkeitsarbeit zu führen. Der Reservistenverband selbst sieht sich als "Mittler zwischen Bundeswehr und Gesellschaft". Bei der dafür nötigen gründlichen Personalauswahl scheint es die Geschäftsführung laut taz allerdings nicht immer so genau zu nehmen: Als sich Thomas K. 2011 beim Verband bewirbt, entgeht den Verantwortlichen K.s spezielles Hobby entweder, oder sie ignorieren es einfach.

Ein Vermerk, der übersehen wurde, und ein paar MP3s, die plötzlich nicht abspielbar sind

K. ist zum Zeitpunkt seiner Bewerbung Mitglied der Rostocker Ultragruppe "Baltic Boyz". Die unterstützt den Fußballclub Hansa Rostock. Beim Anfeuern seiner Hansa hat es K. aber nicht belassen: Im Jahr seiner Anstellung hat der Mann bereits deutschlandweit Stadionverbot, sein Name steht in der Gewalttäterdatei "Sport", in der das Innenministerium Nordrhein-Westfalen Deutschlands gewaltbereite Fanszene listet. Folgerichtig ist K. kein bloßer Ultra, er ist ein Hooligan.

Wie im Stadion so fällt K. auch beim Reservistenverband auf. Im April 2013 nimmt er mit anderen deutschen und polnischen Reservisten an einem IPSC-Schießen in Polen teil. Weil ein solches einem Sportwettschießen auf einem Parcour und unter Zeitdruck in an Militärübungen erinnert, untersagt die Verbandsführung derartige Übungen im Verband. Die Kreisgruppe Vorpommern-Strelitz berichtet dennoch in einer Pressemitteilung von dem Ausflug, von einem "sehr interessanten 'IPSC-Schießen'" ist die Rede. Diese Mitteilung ist bis heute öffentlich auf der Webseite des Reservistenverbands einsehbar.

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Dennoch regt sich Widerstand gegen K. Im September desselben Jahres fordert sein Vorgesetzter den Reservisten erstmals auf, eine dienstliche Festplatte beim Reservistenverband abzugeben. Doch erst nach mehreren E-Mails und nachdem K. beim Vorgesetzten persönlich antanzen muss, gibt der Angestellte die Festplatte heraus. Es handelt sich jedoch um einen privaten. K. hat zuvor Inhalte gelöscht, allerdings nicht sicher genug, als dass die Kollegen diese nicht wiederherstellen können. Sie entdecken eine digitale Version von Hitlers Mein Kampf und rechtsradikale Musik auf der Festplatte.

Im Januar 2014 reicht K. die Dienstfestplatte nach. Erneut wurden Dateien gelöscht, erneut lassen sie sich wiederherstellen. Auf dem Bildschirm erscheinen Audiodateien mit eigentümlichen Titeln: "Adolf Hitler – DEUTSCHE JUDEN.mp3", "Landser – Punker, Schwule, Kommunisten.mp3", "Zillertaler Türkenjäger – SS-SA-Germania.mp3". Und: "Arisches Blut – Hitlers 100. Geburtstag.mp3". Es ist eine Ansammlung von Reden aus dunkelster NS-Zeit und Neonazimusik, die auf dem Index steht.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz begutachtet die Liste später und stellt fest, sie sei "so aktuell und interessant, dass diese nicht einfach zusammenzugooglen wäre. Das legt den Schluss nahe, dass es sich beim Ersteller der Liste um einen Spezialisten handelt." So steht es in einem Dokument des damaligen Präsidenten des Reservistenverbands, das der taz vorliegt.

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Allein: K. behält seinen Job. Trotz der Erkenntnisse und trotz eines Schreibens, mit dem sich der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bereits im November 2013 an die Bundesgeschäftsstelle gewandt hatte. Nur sie kann K. entlassen. Auf 59 Seiten hält der Landesverband dafür seinem Problemmitglied K. zahlreiche Verfehlungen vor.

Statt K. auszuschließen, weist die Bundesgeschäftsstelle im Januar 2014 die Mecklenburger an, die Festplattenwiederherstellung abzubrechen. Dann spricht sie zweimal mit K., bietet ihm zunächst eine Abfindung und Versetzung an, die dieser ablehnt. Beim zweiten Treffen im Juni 2014 setzt sich Hans-Joachim Jungbluth, der Justiziar des Reservistenverbands mit K. zusammen. Laut Gesprächsprotokoll spricht Jungbluth ihn sowohl auf die auf den Festplatten gefundenen Reden von Adolf Hitler als auch auf die Musik des rechtsradikalen Liedermachers Daniel Eggers unter dem Namen "Arisches Blut" an. Verwerflich findet der Jurist das Speichern des Materials allerdings nicht. K. darf bleiben.

Von der taz damit konfrontiert, erklärt Jungbluth heute, er habe die MP3s nicht abspielen können, anders als die Mitarbeiter im Landesverband. Jungbluth aber sagt, von den Dateinamen alleine ließen sich keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ableiten, immerhin könne ja auch andere Musik hinter den Titeln stecken. Dass seine Kollegen die zu den Dateinamen passende Neonazimusik gehört haben wollen, ignoriert er.

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"Gegner in den eigenen Reihen sind nicht zumutbar"

K. will im Übrigen nichts mit der Neonazimusik zu tun haben, sagte er der taz. Und obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz die Materialsammlung auf den Festplatten weiterhin für die eines Kenners der Szene hält, stuft sie die Dateien letztendlich doch als unbedenklich ein. Weil obendrein der Hauptgeschäftsführer, der 2011 den Anstellungsvertrag für K. unterschrieb, bestens in die deutschen Nachrichtendienste hinein vernetzt sein soll, kursieren mittlerweile drei mögliche Erklärungen für den Fall K. im Reservistenverband:

Der Mann ist entweder Neonazi. Oder er wurde Opfer einer Intrige. Oder aber er ist ein V-Mann.

K. hält letztere Behauptung für Mobbing. Den Reservistenverband als seinen Arbeitgeber hat er deshalb aktuell vor das Landesarbeitsgericht Rostock gezerrt. Die Bundesgeschäftsführung hat ihm derweil vor zwei Jahren lediglich eine Ermahnung für seine gespeicherten Dateien und sein Verhalten ausgesprochen.

In Mecklenburg-Vorpommern ist Thomas K. nicht der einzige Reservist, dem eine problematische Einstellung vorgeworfen wird. Der Reservistenverband hat im Dezember vergangenen Jahres drei Mitglieder ausgeschlossen, nachdem sie auf ihren Facebook-Seiten Hakenkreuze, antisemitische Parolen und volksverhetzende Aufrufe gepostet hatten. Zwei von ihnen stammen wie K. aus Mecklenburg-Vorpommern. Fünf Mitglieder aus demselben Landesverband bekamen zuvor Anfang September Besuch vom Landeskriminalamt. Sie sollen Teil einer Gruppe namens "Nordkreuz" sein und der Prepper-Szene angehören. Gegen zwei von ihnen ermittelt die Polizei seitdem, der Reservistenverband will die Ermittlungen abwarten. In der Pressemitteilung zum Vorfall verwies die Organisation darauf, "seit 2010 35 Mitglieder wegen Rechtsextremismus" ausgeschlossen zu haben.

Die Bemühungen, die eigenen Reihen auf Verfassungstauglichkeit zu prüfen, hat der Verband dennoch allem Anschein nach intensiviert. Noch 2011 schrieb die Verbandsführung, in den vorangegangen Jahren hätte gerade mal "eine gute Handvoll Mitglieder" den Verband verlassen müssen. Schon damals hieß es: "Gegner in den eigenen Reihen [sind] nicht zumutbar." Woran man einen Gegner zweifelsfrei erkennt, dazu bestehen im Fall K. bis heute unterschiedliche Meinungen im Verband.

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