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Gesundheit

Hepatitis C ist heilbar – und sorgt trotzdem für immer mehr Todesfälle

Obwohl der Infektionskrankheit aktiv vorgebeugt werden kann, erreichen die Todeszahlen, die mit ihr in Verbindung gebracht werden, Rekordwerte. Die Gründe liegen auch im Gesundheitssystem.
Photo by Alia Images via Stocksy

In Deutschland gibt es schätzungsweise 300.000 Menschen, die sich chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert haben, wie die Initiative Deutschland ohne Hepatitis C berichtet. 2014 verzeichnete das Robert-Koch-Institut allein hierzulande über 5.000 Neuansteckungen beziehungsweise Neudiagnosen.In den USA hat die Zahl der Todesfälle aufgrund von Hepatitis C 2014 ein Rekordhoch erreicht, wie ein kürzlich erschienener Bericht des CDC feststellt. Tatsächlich gab es—wie eine weitere Studie des CDC berichtet—2013 mehr Todesfälle im Zusammenhang mit Hepatitis C als durch 60 weitere Infektionserkrankungen, darunter auch HIV.

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Hepatitis C ist eine in vielen Fällen tödliche Viruserkrankung, auch wenn sie jahrzehntelang unerkannt im Blut der Betroffenen schlummern kann. Weil die Krankheit langsam aber sicher die Leber schädigt, äußert sie sich im Endstadium durch Symptome wie Gelbsucht, Leberzirrhose und Leberversage. Jedoch kann die Krankheit verhindert und geheilt werden. Der Großteil der bisherigen Fälle betraf, laut der Studie des CDC, vor allem Menschen, die in den 90ern durch kontaminierte Blutprodukte und Injektionen mit Hepatitis-C infiziert wurden. Eine neue Welle von Fällen betrifft dagegen vorwiegend intravenöse Drogenkonsumenten.

Die Zahl der akuten Fälle hat sich in den USA in der Zeit zwischen 2010 und 2014 mehr als verdoppelt. Das liegt zum Teil auch daran, dass die ersten Symptome der Krankheit kaum bemerkbar sind: Ähnlich wie in Deutschland ist es auch in den USA so, dass die Hälfte aller Menschen, die an Hepatitis C erkrankt sind, nicht wissen, dass sie infiziert sind. Emalie Huriaux ist Direktorin für Bundes- und Staatsangelegenheiten des Projekts Project Inform. Laut ihr liegt dies unter anderem daran, dass die Leber über viele Jahre Schaden nehmen kann, „ohne dass Leute eindeutige Symptome zeigen, sodass sie sich auch nicht testen lassen." Zudem gibt es keine Impfung gegen Hepatitis C.

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Im Grunde kann der Krankheit nur durch regelmäßiges Screening vorgebeugt werden. Dr. Nilesh Kalyanaraman ist der leitende Gesundheitsbeauftragte der Organisation Baltimore Health Care for the Homeless, die sich für die Gesundheitsfürsorge von Obdachlosen kümmert. Er sagt: „Wenn sich Menschen konsequenter testen lassen würden, könnten viele Fälle bereits in einem frühen Stadium diagnostiziert werden." Solche Screenings lassen sich jedoch nur schwer durchsetzen. Für Ryan Clary, den leitenden Direktor des National Viral Hepatitis Roundtable, ist das größte Problem an der Sache, dass „das Bewusstsein fehlt, es zu wenig Aufklärung gibt und die Screening-Empfehlungen für medizinische Dienstleister nicht ausreichend umgesetzt werden."

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Doch selbst wenn ein Patient getestet wird, ist es oftmals schwierig, einen Behandlungsplatz zu finden—zumindest in den USA. Lindsay Roth, Gemeinschaftsorganisatorin bei Project Safe, weist insbesondere auf die bürokratischen Hürden hin: „Da [die Behandlung] sehr teuer ist, muss vorab jede Menge Papierkram ausgefüllt werden. Die Leute können sich nicht einfach über Medicaid [das Gesundheitsfürsorgeprogramm für einkommensschwache Menschen in den USA] einschreiben, da der Staat die Kosten für die Behandlung nicht tragen will."

Die Politik ist der Ansicht, dass Drogenkonsumenten unbedacht handeln und dass sie keine vollwertigen menschlichen Wesen sind.

Medizin erhalten oft nur Menschen mit sehr weit fortgeschrittenen Lebererkrankungen, meint Ryan Clary. Das geht laut ihm vor allem zu Lasten von Drogenkonsumenten. „Menschen, die sich neu mit Hepatitis C infiziert haben—was größtenteils durch intravenösen Drogenkonsum passiert—, haben noch keine fortgeschrittenen Lebererkrankungen, da sie sich erst frisch infiziert haben."

Da die Behandlungskosten in Deutschland ebenfalls sehr hoch sind, gibt es auch hier immer wieder Diskussionen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Behandlung von Drogenkonsumenten. Zudem wird eine Therapie mit dem weit verbreiteten Wirkstoff Interferon erst nach 12 Monaten Abstinenz empfohlen, da die Nebenwirkungen Entzugssymptomen ähneln und das Verlangen nach Drogen steigern können. Auch das Robert-Koch-Institut betont, wie wichtig „die regelmäßige Medikamenteneinnahme und eine gute Compliance" für den Erfolg der Behandlung sind, die jedoch „im Regelfall bei einem unkontrollierten Drogenkonsum […] nicht oder nur eingeschränkt gegeben [sind]." Eine zusätzliche Substitutionstherapie wirkt sich dagegen äußerst günstig auf die Behandlung von drogenabhängigen Hepatitis-C-Patienten aus—vor allem, weil es die Patientenbindung erhöht.

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Lindsay Roth, die sich bei der Gesundheitsorganisation Project Safe engagiert, hält Vorurteile gegenüber Drogenkonsumten für einen der Gründe, warum die Zahl der Hepatitis-C-Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe so hoch ist: „Wenn wir diesen Menschen eine Behandlung zur Verfügung stellen und damit die Belastung durch die Krankheit in dieser Risikogruppe senken würden, gäbe es auch weniger Neuansteckungen." Leider „ist die Politik jedoch der Ansicht, dass Drogenkonsumenten unbedacht handeln, keine vollwertigen menschlichen Wesen sind und keine umfassende Gesundheitsfürsorge verdienen."

Roth sagt, dass es aus Sicht der Prävention genauso wichtig ist, Drogenkonsumenten Zugang zu sauberem Injektionsbesteck und einem sicheren Ort für die Injektion zur Verfügung zu stellen. In Deutschland setzt sich die Deutsche AIDS-Hilfe für Safer Use ein. In vielen Städten gibt es Einrichtungen, wo Menschen alte Spritzen kostenlos gegen neue tauschen können oder einfach neue Spriten erhalten.

Sie wollen nicht in eine Einrichtung gehen, wo man auf sie herabschauen könnte.

Obdachlose Menschen stehen vor ähnlichen Hürden, wenn sie einen Behandlungsplatz suchen. Dr. Kalyanaraman weist darauf hin, dass die Medikamente gegen Hepatitis C generell durch einen Facharzt verschrieben werden müssen. Das Baltimore Health Care for the Homeless hat ein Programm ins Leben gerufen, dass Hausärzte so ausbilden soll, dass sie die Behandlung von Hepatitis C selbst übernehmen können. Zuvor mussten die Patienten immer vom Hausarzt an einen Facharzt überwiesen werden, was jedoch mit vielen obdachlosen Patienten, die Dr. Kalyanaraman behandelt hat, nicht zu bewerkstelligen war.

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„Wir können Überweisungen schreiben, so viel wir wollen, aber manche Menschen fühlen sich einfach nicht wohl bei dem Gedanken, zu einem fremden Arzt zu gehen. Und man wird sie auch nicht dazu bewegen können, dorthin zu gehen, egal wie dringend die Behandlung ihrer Hepatitis-C-Erkrankung ist", sagt Dr. Kalyanaraman gegenüber Broadly. „Zudem wollen sie nicht in eine Einrichtung gehen, wo man auf sie herabschauen könnte … wo sie Hindernissen und Hürden gegenüberstehen und wo sie selbst einen Teil der Kosten für die Medizin und die Arztbesuche tragen müssen, obwohl sie auch so schon kaum über die Runden kommen."

Auch in Deutschland gab es bereits Fälle, in denen für gesetzlich Versicherte Medikamentenkosten in fünf- bis sechsstelliger Höhe entstanden sind. Insbesondere neu eingeführte Substanzen und Interferon-freie Therapien waren zu Beginn sehr teuer und wurden nur zum Teil von den Kassen erstattet. Grundsätzlich werden die Kosten für zugelassene Therapien jedoch von den Kassen beziehungsweise dem Sozialamt getragen, wenn eine Indikationsstellung vom behandelnden Arzt vorliegt.

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Sexarbeiter stoßen häufig auf ähnliche Schwierigkeiten. „Ich glaube nicht, dass es ein inhärentes Risiko im Sexhandel gibt, das die Leute anfälliger gegenüber Hepatitis C macht", erklärt Roth. „Das größere Problem ist, dass die Leute immer wieder aus Institutionen wie Krankenhäusern und durch medizinische Primärversorger ausgeschlossen werden. Sie fühlen sich unwohl und sind verunsichert. Sie kriegen das Gefühl, dass sie nicht offen mit ihrem Arzt sprechen können."

Magalie Lerman, Vorstandsmitglied des Projekts Sex Workers Outreach in den USA, sagt, dass aufgrund der Stigmatisierung von Hepatitis C und Sexarbeitern „Menschen, die offen darüber sprechen, dass sie Sexarbeiter sind, in Gesundheitsfürsorgeeinrichtungen sehr häufig auf Vorurteile stoßen." Häufig wird Sexarbeitern selbst die Schuld an ihrer Erkrankung gegeben. „Sie werden von Gesundheitsdienstleistern oft abgestempelt, weil sie Sex verkaufen. Viele Menschen denken, dass sie aufgrund ihres Lebensstils in gewisser Weise selbst daran Schuld sind."

„So sah es auch in den Anfangszeiten von AIDS aus", sagt Roth. „Wir enthalten Menschen lebensrettende Therapieformen vor, weil sie andere Probleme oder Erkrankungen haben. Dadurch wurde schon damals das Leben vieler Menschen zerstört."