Auf einen Abstecher ins 'Café Bauchstich': Das berühmteste Kaffeehaus Wiens, das es nie gab
Foto von Martin Dudek

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Popkultur

Auf einen Abstecher ins 'Café Bauchstich': Das berühmteste Kaffeehaus Wiens, das es nie gab

Cafés mit absurden Namen gibt es in Wien viele. Aber keines ist so bekannt wie das 'Bauchstich' im 20. Bezirk. Und das, obwohl es nur erfunden ist.

Das Wiener Kaffeehaus ist eine Institution – auch wenn das nicht unbedingt mit der Qualität des Kaffees oder der Freundlichkeit der Kellner zu tun hat. In Wien sind diese Dinge aber sowieso egal, weil man höfliche Bedienung genauso wenig mag wie höhere Preise für bessere Qualität. Deshalb sind die klassischen Kaffeehäuser wie das Café Central oder das Landtmann oder Prückel auch eher etwas für den Reiseführer und pensionierte Menschen, deren Interessen sich hauptsächlich um Cremeschnitten drehen.

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Die Wienerinnen und Wiener selbst haben eine ganz andere Tradition rund um das Koffeingetränk entwickelt: nämlich Cafés mit abwegigen Namen. Da gibt es das Café Auszeit, das eigentlich mal das Café Na und? war und so wirkt, als ob es – in beiden Fällen – seinen Namen dem gemeinsamen Lebensmotto seines Klientels verdankt. Oder das Tanzcafé Jenseits, obwohl die Leute dort mehr stolpern als tanzen und auch das Angebot an traditionellen Mehlspeisen überschaubar ist.

Dann wäre da noch das Café Allerhand, in dem sich wohl noch niemand jemals genau das gedacht hat, oder das Tschocherl, in dem bestimmt noch nie jemand etwas anderes getan hat als genau das. Und wer vom Stadtzentrum zum Gürtel geht, kann innerhalb von einem Kilometer eine Lokaltour durch die Cafés USW, Delirium und Debakel machen.

Ich sage "angeblich", weil das legendäre Café mit dem sehr passenden Namen bereits zugesperrt hatte, bevor es jemals seinen ersten Gast gesehen hat. Ein Café Bauchstich gab es nämlich nie.

Sie gehören trotz zunehmender Ausbreitung von veganen Bäckereien und hippen Studierendenbars zum Stadtbild wie die Friseurläden, die immer noch glauben, dass Ladennamen wie Stufenschnitt und Hauptsache clevere Wortspiele sind. Es fehlt den Wienerinnen und Wienern also nicht an dichterischen Einfällen, wenn es darum geht, den vier Wänden plus Tresen, an dem sie jeden Tag mit denselben Leuten trinken, einen Namen zu geben.

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Aber kaum ein anderer abwegiger Kaffeehaus-Name ist in der Wiener Café- und Beisl-Kultur so weit verbreitet – und kein anderer Ausdruck so passend zum morbiden Mindset der Stadt – wie das Café Bauchstich. Für ein paar Jahre zierte der ikonische rote Schriftzug mit dem aus der Reihe tanzenden "i" das Fenster einer verlassenen Ladenfront auf der Brigittenauer Lände in Wien, unweit der Friedensbrücke. Man kennt den Ausdruck, das Logo, den vermeintlichen Ort und sogar Geschichten von angeblichen Besuchen im Bauchstich, die gern mit der Inbrunst eines Beisl-Professionellen nacherzählt werden.

Ich sage "angeblich" und "vermeintlich", weil das legendäre Café mit dem plastischen, aber sehr passenden Namen bereits zugesperrt hatte, bevor es jemals seinen ersten Gast gesehen hat. Ein Café Bauchstich gab es nämlich nie, weder an der Friedensbrücke noch sonst wo. Die Idee dazu, aus einem leerstehenden Café ein scheinbar ehemaliges Café zu machen, kam von Anuar, Martin und Gregor; drei Freunden von mir, die aus einer Tageslaune heraus die Buchstaben anfertigen ließen und an der Fassade angebracht haben. Das weiß ich, so wie jede Person, die sich über die letzten Jahre den einen oder anderen Vollrausch mit den Dreien gegönnt hat, aus erster Hand.


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Und da der Ausdruck "Café Bauchstich" im Moment ein Revival erlebt und sogar eine eigenständige Brand geworden ist – mehr dazu später –, könnte der Zeitpunkt gar nicht besser sein, um die wahre Geschichte hinter den Mythen zu erzählen, die sich rund um das erfundene Bauchstich ranken und jene Menschen zu Wort kommen zu lassen, die für den inzwischen berüchtigten Schriftzug verantwortlich sind.

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In Gregors eigenen Worten entstand der Plan an einem heißen Tag im August vor fünf Jahren, weil "Martin etwas anmalen wollte". Nicht ganz unwesentlich für die Geschichte dürfte sein, dass die drei laut eigenen Angaben außerdem "restfett vom Vorabend in Martins WG aufgewacht" waren und sich das Gespräch deshalb recht schnell um die Frage drehte: "Was würdest du das nächste Mal gerne an der Wand lesen, wenn du betrunken nachhause kommst?"

Anuar und Gregor beim Anbringen der Buchstaben. | Foto von Julia Pohlmann

Das leerstehende Café unter Martins Wohnung bot sich die Fläche zur Verschönerung geradezu an und war deshalb schon länger Thema unter den Freunden. "Daraufhin meinte ich, dass das doch easy geht", erzählt Anuar. "Wir gingen in einen 1-Euro-Shop, haben uns ein paar Teppichmesser und selbstklebende Folie gekauft, Buchstaben ausgedruckt, ausgeschnitten, sind runtergegangen und haben 'Café Bauchstich' an die Scheibe geklebt, fertig."

Aber warum ausgerechnet "Café Bauchstich"? Das Ganze habe mit einem alten Insiderwitz zu tun, der sich irgendwann verselbstständigt habe, erklärt Gregor: "Ein Freund von uns ging früher immer ins Café Bauchstich, neben seiner Schule. Ich glaub, es hieß eigentlich Bounty Bar oder so. Angeblich wurde dort auch mal jemand abgestochen, daher der Spitzname. Danach wurde 'ins Café Bauchstich gehen' bei uns ein geflügeltes Wort für 'eine aufgelegt gekommen'. Von da an hat sich das wie von selbst verbreitet."

Seither hat sich "Bauchstich" aber nicht nur als fixe Redewendung in unserem Freundeskreis manifestiert ("Besser als ein Bauchstich" wurde unser "Besser als ein Stein am Schädel"), sondern hat auch schon kurz nach seiner Entstehung (wahrscheinlich durch seine ehemals prominente Lage) weite Kreise in der Hipster-Szene gezogen. Schon nach kurzer Zeit kursierten die ersten Fotos vom Café Bauchstich außerhalb des Freundeskreises auf Facebook. In den WhatsApp-Gruppen der Freunde wurden immer wieder Screenshots von Postings geteilt, unter denen Leute spekulierten, ob das Café mit dem morbiden Namen nun echt war oder nicht. Die Kommentare reichten damals von "Ach wie schön" bis "Gastgarten mit Kopfschuss". Manche prahlten sogar damit, schon dort gewesen zu sein.

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Doch das Schaufenster wurde irgendwann zwischen Winter letzten Jahres und diesem Frühling "gereinigt" und in seinen faden Urzustand zurückversetzt, was vielleicht ebenso wienerisch ist wie die Wortschöpfung selbst. Damit schien es, als ob das Café Bauchstich endgültig "zugesperrt" hätte.

Bis vor ein paar Wochen jedenfalls, als das Wiener Label Good Kids Bad Society seinen Instagram-Channel mit einem T-Shirt launchte, auf dem der exakte Schriftzug des Café Bauchstich und ein Foto des ehemaligen Schaufensters zu sehen ist. Seitdem sieht man den ikonischen, roten Schriftzug immer öfter auf Wiens Straßen und sogar auf der Bühne des FM4 Frequency, wo es Salute bei seinem Gig trug. Ich selbst bin erst vor ein paar Wochen einem jungen Mann über den Weg gelaufen, der das T-Shirt anhatte und fragte ihn, was seines Wissens dahintersteckt. Er antwortete: "Kennst du’s nicht? Das ist auf der Friedensbrücke!"

Seitdem taucht das Café Bauchstich, so wie bei jeder guten Verschwörungstheorie, in regelmäßigen Abständen in meinem Newsfeed und damit meiner erweiterten Wahrnehmung auf. Beispielsweise durch Stermanns und Grissemanns Podcast, der seit Anfang 2018 auf Audible nachzuhören ist. Paul Huizing, der Programmverantwortliche bei Audible für Podcasts erklärt das Konzept des Original-Podcasts folgendermaßen: "Im 'Café Bauchstich' sind Stermann und Grissemann kurz davor, die Antworten auf die ganz großen Fragen zu finden – wenn nicht immer Sperrstunde wäre." Es ist fast unheimlich, wie gut das Konzept des Podcasts zur Geschichte des "realen" Café Bauchstichs passt, das ebenfalls quasi immer Sperrstunde hatte.

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Aber nicht nur Stermann und Grissemann lassen das Bauchstich in ihrer Kunst weiterleben: Seit letztem Sommer findet man im 16. Bezirk auch das Studio "Bauchstich Tattoo", wo man sich einen Bauchstich im Form eines Tattoos abholen kann. Auf der Facebook-Website des Studios fragt eine Userin ganz konkret, ob der Name etwa mit dem Café Bauchstich zusammenhängt. Einer der Gründer antwortet: "Klar von kaffeebauchstich."

In einer Rezension zu Stermanns und Grissemanns Audio-Kammerspiel wird das fiktive Café Bauchstich als "ein typisches Wiener Tschocherl" beschrieben, "das seine besten Zeiten schon hinter sich hat." Wenn ich allerdings dem momentanen Trend (und meinem Verschwörungstheorien-Radar) folge, würde ich wetten, dass bald irgendwo ein echtes Café Bauchstich seine Türen für Anhängerinnen und Anhänger skurriler Lokalnamen eröffnet.

Vielleicht in einem ehemaligen, leerstehenden Café irgendwo nahe der Friedensbrücke. Vielleicht sogar mit einem Hinweis wie "in Memoriam Café Bauchstich 1", als Easter-Egg für die Hipster, die das alte Logo am Leib tragen. Vielleicht auch einfach als echtes uriges Beisl am Stadtrand; für genau die Leute, von denen man sich vorstellt, Sätze zu hören wie: "Ich geh noch auf einen Abstecher ins Bauchstich." Zumindest hätten dann alle die Chance, wirklich mal im Café Bauchstich gewesen zu sein.

Martin und Gregor vor ihrem Tagwerk. | Foto von Julia Pohlmann

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