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NSU-Morde

Die Stadt Kassel sagt ihre Gedenkveranstaltung für einen NSU-Ermordeten ab

"Sicherheitsbedenken zwingen uns leider zu diesem Schritt", so der Oberbürgermeister.
Foto: imago | Hartenfelser

Drei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle, neun Tote – das sind nur einige der Taten, die der rechtsextreme NSU mutmaßlich begangen hat. Halit Yozgat ist einer dieser Toten. Er wurde am 6. April 2006 durch zwei gezielte Kopfschüsse in seinem Internetcafé in der Kasseler Nordstadt ermordet. Yozgat wurde 21 Jahre alt. Zu seinen Ehren und um den Mord nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, findet jedes Jahr ein Zusammenkunft an seiner Gedenktafel auf dem nach ihm benannten Halitplatz statt. Auch die Stadt Kassel veranstaltet jährlich eine eigene Gedenkveranstaltung für Yozgat. In diesem Jahr wurde jene allerdings abgesagt.

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Auch kurz vor dem 12. Todestag von Halit Yozgat wurde noch niemand für den Mord an dem türkischstämmigen Kasseler bestraft. Die Mitglieder des NSU gelten zwar als Täter beziehungsweise Täterin, der Prozess gegen die einzige Überlebende des Kern-Trios, Beate Zschäpe, läuft nach fast fünf Jahren Gerichtsverhandlungen allerdings noch immer. Und das ist nicht der einzige Grund dafür, dass Angehörigen und deren Unterstützer das Gedenken an Yozgat so wichtig ist: Die Taten der Rassisten sollen unvergessen bleiben. Ausgerechnet die Stadt Kassel hat Ende März allerdings bekanntgegeben, dass ihre Gedenkveranstaltung in diesem Jahr nicht stattfinden wird.


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Das geschehe "im Einvernehmen mit der Familie Yozgat", hieß es in einer Pressemitteilung der Stadt vom 29. März. "Sicherheitsbedenken zwingen uns leider zu diesem Schritt", begründete Oberbürgermeister Christian Geselle die Absage. Es sei "nicht auszuschließen", dass die Sicherheit nicht gewährleistet werden könne und damit der Charakter der Gedenkveranstaltung gestört werde, so der SPD-Politiker. Hintergrund für diese Entscheidung sind Medienberichten zufolge kurdisch-türkische Konflikte nach dem türkischen Militärangriff auf die syrische Stadt Afrin im März. Die Stadt wurde von der kurdischen Miliz YPG kontrolliert. Die Offensive wurde unter anderem von Angela Merkel kritisiert, gleichzeitig genehmigte die Bundesregierung nach einem ARD-Bericht allerdings Waffenlieferungen nach Ankara.

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Seit Beginn der türkischen Militäroffensive im Januar gab es tatsächlich vermehrt Sachbeschädigungen und Farbangriffe auf Moscheen der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), auch in Hessen. Die Ditib steht der türkischen Regierung nahe und soll laut Tagesschau zu Gebeten für türkische Soldaten aufgerufen haben. Dass die Stadt Kassel in diesem Zusammenhang nun allerdings um die Sicherheit bei einer Gedenkveranstaltung fürchtet, kann zumindest die städtische Polizei nicht nachvollziehen. Deren Pressesprecher Jürgen Wolf sagte gegenüber VICE, er habe keine Sicherheitsbedenken: "Die Polizei ist bei jeder Veranstaltung, Demonstration oder Kundgebung auf die Lage eingestellt und mit einer ausreichenden Anzahl von Beamten vor Ort. Auch in diesem Fall." Die Türkische Gemeinde Deutschland (TDG) kritisierte die Entscheidung der Stadt in einer Stellungnahme am Dienstag scharf. So schreibt der Verband, die Absage sende eine falsche Botschaft, gerade weil die Verbrechen des NSU nach wie vor nicht aufgeklärt seien. Dass die Stadt nun Bedenken äußert, die Sicherheit nicht gewährleisten zu können, passe aus der Sicht des TDG dazu, dass der NSU jahrelang ungestört morden konnte: "Das Signal ist eindeutig und es lautet: Wir konnten euch damals nicht schützen und wir können es auch heute nicht!"

Die "Initiative 6. April", die die Kundgebung organisiert und angemeldet hat, zeigte sich von der Absage der Stadt ebenfalls überrascht. Man sei "irritiert" über den überraschenden Rückzug von der Gedenkveranstaltung. "Sicherheitsbedenken wurden vom Ordnungsamt der Stadt Kassel uns gegenüber nie geäußert", so die Initiative in einer Stellungnahme auf Facebook. Sie ruft dazu auf, weiterhin zur Gedenkveranstaltung am Freitagnachmittag zu kommen. Damit Halit Yozgat und die schrecklichen Umstände seines Todes auch nach zwölf Jahren nicht vergessen werden.

Richtigstellung: In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, die Stadt Kassel habe die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung für Halit Yozgat abgesagt. Richtig ist, dass die Stadt eine eigene Gedenkveranstaltung geplant hatte, die nun nicht stattfinden wird. Bei der Kundgebung der "Initiative 6. April" war eine Beteiligung der Stadt Kassel allerdings nie geplant. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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