In Indien rauchen sie Echsen – Unterwegs mit den Satanisten von Aligarh
Ein satanistisches Ritual in Aligarh | Foto vom Autor

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Popkultur

In Indien rauchen sie Echsen – Unterwegs mit den Satanisten von Aligarh

Die Stadt im Norden Indiens ist für ihre frommen Bewohner bekannt. Aber zwischen ihnen lebt auch eine Gruppe Teufelsanbeter.

"Masturbier, bevor du kommst", hatte Synyster zu mir gesagt. "Wir wollen, dass du vor dem Ritual entspannt bist."

Mit "Ritual" meint er einen satanistischen Initiationsritus. Stattfinden soll das Ganze in einem Außenbezirk von Aligarh, einer Großstadt im Norden Indiens, etwa 130 Kilometer von Delhi entfernt, bekannt für die Aligarh Muslim University. Der 24-jährige Synyster, der wie alle in dieser Geschichte eigentlich anders heißt, hatte mir versichert, dass das Ritual, das sich seine Gruppierung ausgedacht hat, "harmlos" sei. Definitiv für Anfänger geeignet.

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"Nimm ein Bad", hatte Synyster gesagt. "Trag schwarze Kleidung und etwas Parfüm. Bring fünf Kerzen mit, ein paar Räucherstäbchen, einen silbernen Kelch, eine kleine Glocke und ein Rasiermesser."

"Ein Rasiermesser?"

"Für dein Blut. Wenn du dich nicht traust, bring einen lebenden Organismus mit, der geopfert werden kann: eine Eidechse oder eine Maus."

Ob es auch eine Spritze tun würde? "Das würde die Heiligkeit des Rituals beeinträchtigen", lautete seine Antwort, "aber OK."


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Wie alles begann

Aligarh ist eine verschlafene und konservative Stadt in Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat Uttar Pradesh. 42 Prozent der Einwohner Aligarhs sind muslimisch, es gibt allerdings auch eine kleine, aber sichtbare christliche Minderheit. In der Fast-Millionenstadt treibt aber auch, wie ich durch Zufall erfuhr, eine festentschlossene Gruppe von Teufelsanbetern ihr Unwesen.

Nur für den Fall, dass du dich wunderst: Satanismus ist kein rein westliches Phänomen – jedenfalls nicht mehr. Immer wieder berichten indische Medien über "satanistische Aktivitäten". Diese spielen sich vor allem in Gegenden ab, in denen die christliche Kirche besonders präsent ist, wie Kerala, Mizoram und Nagaland. Nach einem Vorfall 2013 in Cochin, ebenfalls im Bundesstaat Kerala, zeigte sich sogar der Vatikan besorgt. Aber genau wie bei den meisten Teufelsjüngern in Europa und den USA ist Satanismus bei den Indern nicht mehr als eine pubertäre Phase: eine Mischung aus Goth-Kitsch-Affinität und Faszination für das Okkulte. Ihre Inspiration ziehen sie dabei mehr aus Hollywood-Filmen wie Rosemary's Baby und Der Exorzist als aus heimischen okkulten Praktiken, von denen es in Indien eigentlich eine ganze Menge gibt.

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Fotos, die Aligarhs Satanisten bei Facebook gepostet haben

Was von den folgenden Erzählungen wahr ist und was Angeberei, ist schwer zu sagen. Nichtsdestotrotz liefern sie einen Einblick in die Köpfe einer Gruppe junger Inder, die sich nicht anpassen wollen oder können.

Auch wenn Synyster behauptete, dass ihre Gruppierung Hunderte Anhänger habe, konnte ich nur rund ein Dutzend Menschen finden, die sich bereit erklärten, mit mir über ihren "Glauben" zu sprechen, oder mehrmals an Ritualen teilgenommen hatten. Auf Facebook posten sie Texte, in denen sie Tod und Verwesung feiern, und laden Fotos von aufgeritzten Armen oder anderen blutigen Körperteilen hoch.

Synyster ist zierlich gebaut und spricht mit leiser Stimme. Seine muslimische Familie sei verhältnismäßig fortschrittlich, sagt er. Seine Eltern hatten ihn auf eine gemischtgeschlechtliche Schule geschickt, die von Katholiken geleitet wurde. Sie hatten ihm erlaubt, seinem Interesse für Poesie nachzugehen, und vor allem hatten sie seine Kumpels mit den schwarz lackierten Fingernägeln toleriert.

Bei aller Offenheit würde seine Familie aber niemals verstehen, was Synyster und seine Freunde als Jugendliche getrieben haben.

Er und die anderen jungen Männer, die ich in Aligarh kennengelernt habe, behaupten, auf Friedhöfen Leichen ausgebuddelt zu haben, sich gegenseitig menschliche Schädel zum Geburtstag geschenkt und daraus Blut getrunken zu haben. Sie behaupten, in Kirchen eingebrochen, Bibeln entweiht und Kreuze umgedreht zu haben. Synyster zeigte mir ein paar verblasste Narben auf seinem Körper, die er und seine Freunde ihm mit Messern zugefügt haben. "Auf meinen Armen kannst du die Reste eines umgedrehten Kreuzes sehen. Hier steht 666 und hier ist ein Dreieck."

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Ein Wandgraffiti von Aligarhs Satanisten | Foto vom Autor

Sie freundeten sich mit Naga Sadhus an, nackten Hindu-Mönchen, und klauten Schädel von Aghori, Mitgliedern einer radikal-asketischen Hindu-Strömung, die dafür berüchtigt sind, aus Schädeln zu trinken und sich mit menschlicher Asche einzureiben. Sie töteten Eidechsen, Krähen und Spinnen, mischten Teile der Tiere mit Tabak und rauchten sie. Einige behaupteten sogar, dass sie Anhängern ihr eigenes Fleisch zu Essen gegeben haben.

Am Anfang waren vier Schüler

Die Gründungsmitglieder der Gruppe waren Synyster, Necronemesis, Doctor und Professor, die sich von einer Eliteschule kannten.

"Wir lehnten die konservative Kultur hier in Aligarh immer mehr ab", sagte Synyster. "Wir mochten das herrschende Mackertum nicht und, dass so viel Wert auf Religion gelegt wird. Wir wollten nicht wie die anderen sein, die den ganzen Tag nur Motorrad fahren, vor der Frauen-Uni abhängen und die Studentinnen belästigen."

Also erschufen sie sich einen eigenen "Ashram", einen Zufluchtsort, in der Nähe von Chherat, einem Dorf 10 Kilometer nördlich von Aligarh. "Wir tauschten uns mit den Dorfbewohnern und Sadhus aus. Sie versorgten uns mit rauchfertigen Shillums mit Haschisch", sagte Synyster. "Aber sonst waren da nur wir, weit weg von der Welt." In ihrem Ashram, einer winzigen Hütte inmitten grüner Felder, verbrachten sie einen Großteil ihrer Freizeit – zwischenzeitlich sogar mehr als zu Hause.

Synysters Familie verstand sein Verhalten als typische Teenagerrebellion. Manchmal verboten sie ihm, nachts rauszugehen. Sie rieten ihm, sich vor Menschen fernzuhalten, die ihnen nicht geheuer waren, die sie für skrupellos hielten. Aber Synyster fing an, die Ansichten seiner Eltern zu hinterfragen. "Sind das nicht alles Menschen wie wir?"

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Obwohl Synyster, Necronemesis, Doctor und Professor nach ihrem Abschluss an verschiedenen Unis studierten, trafen sie sich weiterhin und nahmen auch andere in ihren Zirkel auf. Wie viele "Anhänger" am Ende nur Leute waren, denen einfach die schwarzen Klamotten gefielen, lässt sich schlecht sagen. Der von symbolischen Zahlen faszinierte Synyster sagte zu mir: "Unser Kult ist jetzt nur noch 13 Prozent so mächtig wie er mal war, vor drei Jahren hatte er 13.000 Anhänger." So viele Christen leben noch nicht mal in Aligarh. "Jetzt sind wir nur noch etwa 333."

Synyster | Foto von Facebook

Ein ehemaliger Klassenkamerad der vier, der aus Angst seinen Namen nicht nennen wollte, sagte mir, dass die Satanisten mit schwarz lackierten Fingernägeln, Lidschatten und komischen Frisuren zur Schule gekommen seien. "Die wurden von allen nur 'Teufelsanbeter' oder 'Illuminati' genannt. In der Schule waren die nicht zu übersehen."

Beliebt waren sie offensichtlich nicht. "Die meisten hielten sie entweder für Trottel oder Menschen, die Satan verführt hatte. Manche meinten, dass man ihnen am besten keine Aufmerksamkeit schenkt. Gläubige vertrauten darauf, dass Allah sie früher oder später auf den richtigen Weg bringen werde", sagte er.

Andere jedoch fühlten sich zu der Gruppe hingezogen. "V", ein großgewachsener und gutaussehender 23-Jähriger, trat der Gruppe nach seinem Schulabschluss bei. Heute studiert er Ingenieurswissenschaften und bewundert den Erfinder und Physiker Nikola Tesla, seine Zeit im "Kult" hat er dennoch in guter Erinnerung.

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"Wir haben die Bücher von Aleister Crowley runtergeladen und gelesen", sagt V. Den britischen Okkultisten beschreibt er als "coolste Person der Welt". Amerikanische Popmusik hätten sie abgelehnt und stattdessen europäische Bands wie Opeth, Burzum, Mayhem, A Forest of Stars und Sledgehammer gehört. Dass zumindest der Musiker hinter Burzum rassistische Ansichten vertritt, ist ihnen offensichtlich egal.

Fotos, die Aligarhs Satanisten bei Facebook gepostet haben

Die Eltern der Jugendlichen seien vor allem damit beschäftigt gewesen, als Lehrerinnen, Dozenten, Ärztinnen oder Ingenieure im Ausland zu arbeiten. "Die meisten meiner Freunde hatten reiche, gebildete Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder hatten", sagte er. "Die Kinder nutzten das aus." Sein Vater starb, als V noch in den Kindergarten ging.

"Manche von uns leiden an verschiedensten Störungen", sagte er. "Ein paar befinden sich noch in Therapien und Reha-Programmen." In ihrem Ashram fanden die Jungs ein Gemeinschaftsgefühl: "Wir akzeptierten uns gegenseitig, wie wir waren."

Die Philosophie

Die Philosophie der "Blutsbrüder", wie sie sich selbst nennen, basiert auf einer Ideen-Melange, die sie sich aus satanistischer Literatur, religiösen Schriften, Paganismus, Popkultur und Zufällen zusammengestellt haben. Zufälle sind für sie Zeichen des Universums für die Existenz der Kräfte, die es geschaffen haben.

Vergangenes Jahr traf ich den heute 24-jährigen Necronemesis, einen Mann mit dunkler Haut, schulterlangem Haar und leerem Blick. Er ist der eigentliche Anführer der Sekte. Ich besuchte ihn im Haus seiner Familie in einer wohlhabenden Gegend im Norden der Stadt, der durch eine Eisenbahnstrecke vom Rest der Stadt abgetrennt ist. Die meisten "Blutsbrüder" stammen von hier. Sie nennen diese Gegend "Neu-Aligarh".

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Die schwarzgestrichenen Wände seines Zimmers hatte er mit halbverbrannten Bibelseiten dekoriert, in der Ecke stand eine E-Gitarre, von der Decke hing ein Tierknochen und ein Schädel, ein umgedrehtes Kreuz und ein Shiva-Linga, ein hinduistisches Phallussymbol, bildeten eine Art Altar. Necronemesis, erklärte er sein Pseudonym, beschreibe einen dunklen Messias mit übernatürlichen Fähigkeiten, einen Beauftragten des Todes: "Ein Necronemesis kann Unheil bringen, selbst wenn er schläft. Er braucht nur daran zu denken."

Necronemesis sagte, dass er auf der ständigen Suche nach Wissen sei. In seinem Bücherregal stand die Die Satanische Bibel von Anton Szandor LaVey neben Salman Rushdies Mitternachtskinder. “Ich sehne mich nach dem düsteren Zeug."

Fotos, die Aligarhs Satanisten bei Facebook gepostet haben

Ähnliches gilt bei Necronemesis auch für Drogen. Als Teenager begann er zu kiffen, bald aber ging er zu Heroin über. Nicht weit von seinem Zuhause befindet sich ein algenbefallener Tümpel, "die Ödnis", wie er sie nennt. Necronemesis ging regelmäßig dorthin, um satanistische Literatur zu studieren und zu fixen. "Mit Heroin in meinen Adern liege ich auf den Steinen und blicke in den Sternenhimmel", sagte er. "Manchmal schwimme ich in dem Tümpel."

Als der Adhān, der muslimische Gebetsruf, von der nahegelegenen Moschee erklang, schnupfte Necronemesis eine Line Heroin und bat mich darum, "To Die Alone" von der Band Veil anzumachen. Sein Lieblings-Metal-Subgenre sei DSBM – Depressive Suicidal Black Metal. "Religion ist ein Regelwerk, das jeder schreiben kann", sagte er dann. "Und ich kann das besser als andere." Er zündete sich eine Zigarette an. "Es gibt eine ganze Armee von Muslimen, die verstört sind, weil wir Satan anbeten."

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BlackLeg, 22, behauptete Teil eines Ablegers der Sekte zu sein, der über mindestens 20 Anhänger verfüge. "Ich habe die Macht, sie zu manipulieren und sie durch Drogen auf die dunkle Seite zu bringen", sagte er. BlackLeg behauptete auch, in Kontakt mit der dunklen Seite gekommen zu sein, als jemand seinen Vater mit einem Fluch belegte. Er sei damals fünf gewesen. Als er in der achten Klasse war, nahm er an seinem ersten Ritual teil – "es veränderte meine Sichtweise". Dann kamen Drogen und Musik in sein Leben, vor allem Thrash Metal hatte es ihm angetan. In der zehnten Klasse nahm er an einem "Blutschwur" teil und gelobte den Satanisten seine Treue.

Für ihn ist Satanismus keine Religion. "Im Grunde geht es darum, sich selbst zu verehren", sagte er. Zwischen seinem Glauben und dem seiner religiösen Freundin gebe es keinen Konflikt.

BlackLegs eher philosophische Sicht auf den Satanismus beißt sich mit manchem, was V über die Gruppe erzählt hatte. "Wir haben alles gemacht", so V, "wir haben heilige Bücher entweiht und Menschen befohlen, sich auf den Koran zu stellen, um ihre Hingabe zu beweisen. Einige haben es getan, während die Schwächeren sich geweigert haben."

Mit den Jahren verstreute sich die Gruppe. Manche brachen ihr Studium an der Aligarh Muslim University ab, andere machten mit Mühe Abschlüsse an Privatunis. Manche mussten ihr Studium für Besuche in Entzugskliniken unterbrechen. Die Eltern eines Mitglieds entdeckten ein Skelett im Zimmer ihres Sohnes. Ein anderer wurde von seiner Familie rausgeworfen, nachdem er ein Hakenkreuz an seine Schlafzimmerwand gemalt hatte. Synysters Eltern schickten ihn zum Studieren in das knapp 400 Kilometer entfernte Lucknow.

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Das Pentagramm, das Synyster für das Ritual gemacht hat | Foto: Zeyad Masroor Khan

Diejenigen, die ins Berufsleben einstiegen, distanzierten sich von der Gruppe. Doctor und Professor wollten sich nicht interviewen lassen.

Synyster beschuldigt einige der neuen Anhänger, die ursprünglichen Ideale zu verwässern. "Wannabes", seien das gewesen, "denen nur die schwarzen Klamotten, der Nagellack, der Lidschatten, die Ringe und die Medaillons gefielen. Die Neuen fingen an, eigene Interpretationen anzustellen. Aus den Drogen machten sie ein Geschäft. Es geriet außer Kontrolle."

Das Ritual

Ich hatte Synyster gefragt, ob ich bei einem ihrer Rituale dabei sein könne. Und so finde ich mich eines Abends hinter ihm auf einem Motorrad wieder. Als wir in der "Ödnis" ankommen, ist dort niemand außer uns. "Ich habe einen Knochen gefunden", sagt Synyster. "Das ist ein Zeichen."

Er malt ein Pentagramm in zwei konzentrische Kreise, stellt an jeder Spitze eine meiner mitgebrachten Kerzen auf und den Kelch in die Mitte. Daneben macht er ein Kreuz und befiehlt mir, mich in die Mitte davon zu stellen. Dann setzt er sich eine Totenkopfmaske auf, die den unteren Teil seines Gesichts bedeckt.

Synyster zeigt einmal in jede Himmelsrichtung und jedes Mal sagt er mit unheimlicher Stimme:

"Heil Luzifer."

"Heil Beelzebub."

"Heil Abazgorath."

"Heil Iblis."

"Fokussier dich auf den Klang der Glocke", sagt er und fängt an, in einen Singsang zu verfallen. Es ist genau so, wie ich es aus Horrorfilmen kenne. "Gepriesen seist du, Gebieter, Luzifer, der uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Bitte akzeptiere mich. Ich wende mich an dich. Lass deine Höllenhunde mich begleiten. Sag ihnen, sie sollen mich wie einen Bruder behandeln."

Synyster während des Rituals | Foto vom Autor

Dann sticht er sich mit der Spritze in die Hand und lässt etwas Blut in den Kelch tropfen. "Oh, Gebieter, Luzifer, bitte akzeptiere mein Opfer."

Gekommen war ich aus Neugier, aber jetzt, alleine mit Synyster in der "Ödnis", wird mir die Sache unheimlich. Ich will die Sache einfach nur noch so schnell wie möglich hinter mich bringen. Als er das Ritual beendet, setzt er mir seine Maske auf: "Du bist jetzt einer von uns." An einer Straßenecke setzt er mich ab und lässt mich allein zurück in der Dunkelheit.

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