Bewegungsfreiheit in der Stadt braucht Bewegungsfreiheit im Denken
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Bewegungsfreiheit in der Stadt braucht Bewegungsfreiheit im Denken

Die Politik wirkt visions- und mutlos, lediglich auf Bestandswahrung fokussiert. Weil’s immer schon so war.

Fabian Lebersorger arbeitet für MOIA in Berlin. Als bekannt wurde, dass Uber in Wien eingestellt werden soll, schrieb er auf Twitter:

Uber hat vieles total falsch gemacht. Aber ohne Uber wäre die Diskussion um neue Mobilitätsalternativen weit weniger fortgeschritten. Dass wir es heute verbieten, statt eine moderne, qualitätssichernde Regulierung zu schaffen, sagt alles über Österreich aus, was man wissen muss.

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Für uns hat er seine Gedanken in der kurzen Zeit des Uber-Stopps in Wien ausformuliert.


Jede Woche hat in Wien ihr ganz eigenes Aufreger-Thema. Mal ist es ein Todessturm, mal ein Energiekreis und ein energetischer Hollerbusch. Diese Woche haben wir über die Rolle neuer Mobilitätsdienste – im konkreten Fall Uber – diskutiert. Zu den eigentlichen Kernfragen sind wir bei all der Aufregung aber meist nicht vorgedrungen: Wie wollen wir uns in Zukunft gemeinsam durch unsere Städte bewegen, was braucht es dafür und was behindert uns in der Umsetzung?

Warum sollten wir das diskutieren? Der Wiener Verkehr ist doch schon sehr gut. Dem kann ich nickend zustimmen. Wien steht im Vergleich zu vielen Städten ganz gut da. Das weiß ich spätestens zu schätzen, seit ich vergangenes Jahr nach Berlin gezogen bin. Das 365-Euro-Ticket hat Wiens Öffis attraktiver gemacht, die Taktung der Verkehrsmittel ist hoch und die Infrastruktur sowie die Öffis sind enorm gut gepflegt. Auch in die Fahrrad- und Fußgänger-Infrastruktur hat man investiert.

Wien hat dennoch seine Herausforderungen: In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Modal Split trotz aller Maßnahmen in Wien kaum verändert. Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel genannt. In Wien entfallen in den vergangenen sechs Jahren konstant 39 Prozent des Verkehrsaufkommens auf den öffentlichen Verkehr, rund 27 Prozent auf den individuellen PKW, 27 Prozent auf den Fußweg und sieben Prozent auf das Fahrrad. Gerade für den öffentlichen Verkehr sind das im europäischen Vergleich ganz gute Werte. Das Vorhaben, den Fahrradverkehr proportional auszubauen, gelang trotz Investitionen offenbar in den vergangenen Jahren nicht wirklich.

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Auch bei VICE:


Gleichzeitig wächst Wien stark weiter. Bis Mitte des nächsten Jahrzehnts soll Wien eine 2-Millionen-Metropole werden. Das entspräche einem Bevölkerungswachstum von rund zehn Prozent in etwas mehr als zehn Jahren. Ein Mehr an Bevölkerung bringt ein Mehr an Mobilität und mehr Druck auf bestehende Verkehrssysteme. Um dem gerecht zu werden, braucht es Investitionen in Infrastruktur und Betrieb, aber vor allem auch Effizienzsteigerungen – wie beispielsweise noch höhere Taktungen – im aktuellen System, weil Verkehrsinfrastruktur nicht beliebig erweiterbar ist.

Stichwort effizient: Gerade der private Autoverkehr, der sagenhafte 27 Prozent des Modal Split in Wien ausmacht, ist das nicht. Im Schnitt lag der Besetzungsgrad eines Autos in Österreich 2017 bei 1,17 Personen. Das heißt, in den allermeisten Autos sitzt nur eine Person. Noch schlimmer ist eigentlich nur, dass die meisten Autos gar nicht gefahren werden, sondern rund 95 Prozent der Zeit im Stadtbild parken und Fläche zustellen. Insgesamt sind 65 Prozent der Verkehrsflächen in Wien dem Auto gewidmet.

Addiert man zu den aktuellen Herausforderungen in Zukunft noch autonomes Fahren, könnte sich die Situation deutlich verschlimmern. Man stelle sich vor, Menschen würden sich nicht mehr selbst in den Stau stellen, sondern ihr Fahrzeug autonom leer durch die Gegend fahren lassen, um keinen Parkplatz suchen zu müssen oder Hemden von der Reinigung abzuholen.

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Zu sagen, wir bräuchten für unsere Mobilität generell keine Autos mehr, wäre falsch gedacht. Im Einzelfall mag das stimmen. Aber Autos machen uns in Ergänzung zum öffentlichen Verkehr, zum Fahrrad und zum Fußweg im Bedarfsfall in vielen Fällen schneller, bringen uns direkt von A nach B, bedienen Gebiete, wo großer Linienverkehr unrentabel wäre, helfen uns beim Transport, machen Menschen mobil, die es sonst nicht (mehr) wären, vereinfachen den Alltag, machen uns freier und spontaner.

In der Wiener Taxi- und Mietwagen-Betriebsordnung sind neuartige Mobilitätsdienstleistungen nicht vorgesehen. Die Worte "App", "Smartphone", "digital" oder "Sharing" finden sich darin genau: 0 Mal.

Das Problem ist nicht das Auto selbst. Das Problem ist dessen Besitz. Wir könnten den Anteil der Autos in der Stadt um ein Vielfaches minimieren, wenn wir uns Autos teilen – Carsharing. In Wien ersetzt jedes Carsharing-Auto aktuell rund fünf Autos – eine deutliche Effizienzsteigerung und Verbesserung. Könnte man vier von fünf Parkplätzen in Wien einfach streichen, wäre plötzlich Platz für sichere Fahrradwege, breitere Gehwege, Grünflächen. Was, wenn wir es jetzt auch noch schaffen würden, die notwendigen Fahrzeuge gar nicht mehr abzustellen, sondern gerade so viele fahren zu lassen, dass die Stadtbewohner on-demand ihre notwendigen Fahrten in der Stadt damit abwickeln können? Was, wenn wir uns also nicht Autos teilen, sondern nur mehr Fahrten? Was, wenn sich Menschen mit anderen Menschen mit ähnlichem Ziel eine Fahrt teilen? Vom Carsharing zum On-Demand-Ridesharing.

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Das ist eine Vision, die ich mir für die Zukunft wünsche: Den öffentlichen Verkehr ergänzende, geteilte On-Demand-Mobilitätsservices für den urbanen Raum. Aber jedenfalls geplant in enger Abstimmung mit der Stadt, dem ÖPNV-Betreiber und auch allen anderen Stakeholdern, um so gemeinsam ein ideales, lückenloses und effizientes Verkehrssystem zu planen, das das Leben für die Menschen besser macht, für weniger Verkehr sorgt, für weniger Parkflächen, für mehr Platz für Fahrräder und Fußgänger, weniger Lärm und bessere Luft.

Das Problem: Seit Jahren wissen europäische Städte um diese Zukunft. Die rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die dafür notwendig sind, haben die meisten dennoch noch nicht geschaffen. In der Wiener Taxi- und Mietwagen-Betriebsordnung sind neuartige Mobilitätsdienstleistungen nicht vorgesehen. Die Worte "App", "Smartphone", "digital" oder "Sharing" finden sich darin genau: 0 Mal.


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Das ist schade. Wir könnten mit mutigen verkehrspolitischen Entscheidungen echte Probleme lösen und Zukunftsperspektiven schaffen. Wir könnten individuellen Autoverkehr durch City-Maut, weniger Parkplätze und teurere Parkplatzgebühren reduzieren und mehr Platz für Fahrräder und Fußgänger ermöglichen. Wir könnten moderne rechtliche Rahmenbedingungen für effizientere geteilte Mobilitätsservices wie das Taxi und Ridesharing schaffen, die gleichzeitig Qualität und gute Arbeitsbedingungen sichern, dennoch leistbar sind und einer breiten Schicht Zugang zu geteilten Mobilitätsdienstleistungen geben, die den öffentlichen Verkehr ergänzen und nicht kannibalisieren, und dennoch Wettbewerb erlauben. Stattdessen wirkt die Politik vielerorts visions- und mutlos, lediglich auf Bestandswahrung fokussiert. Weil’s immer schon so war.

Man muss sich an die Regeln der Vergangenheit halten, solange sie bestehen. Aber man muss auch Regeln im gesellschaftlichen Diskurs hinterfragen und verändern, damit sie uns Raum geben, Zukunft zu gestalten. Es ist Zeit, dass wir uns in unserem Denken und den Diskussionen weiterbewegen und gemeinsam neue Regeln für neue Ideen schaffen, die für noch mehr Bewegungsfreiheit in unserer Stadt sorgen.

Fabian auf Twitter: @faebiaen

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