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So qualvoll ist eine Überdosis Paracetamol

Amber überlebte einen Suizidversuch mit dem Schmerzmittel Paracetamol. Hier schildert sie ihre Erlebnisse, um andere zu warnen.
Amber hat einen Selbsttötungsversuch mit dem Schmerzmittel Paracetamol überlebt
Foto von Amber bereitgestellt

Nicht Alkohol, sondern Paracetamol ist die häufigste Ursache für akutes Leberversagen in Ländern wie den USA, Australien und Großbritannien sowie in Skandinavien. Genaue Zahlen für Deutschland gibt es nicht. Paracetamol-Überdosierungen sollen ersten Untersuchungen zufolge hier jedoch "in etwa 16 Prozent der Fälle" verantwortlich sein, berichtet der NDR.

Auch wenn Überdosierungen in anderen Ländern häufiger vorkommen, wurde 2008 in Deutschland der Inhalt der freiverkäuflichen Packungen auf zehn Gramm Wirkstoff beschränkt. Einige Pharmakologen sagten dem NDR, dass Paracetamol "aufgrund seiner Nebenwirkungen und seiner geringen therapeutischen Breite" nach heutigen Standards als neues Medikament gar nicht zugelassen werden würde. Sie würden am liebsten sogar die derzeit erhältlichen Präparate mit dem weit verbreiteten Schmerzmittel vom Markt nehmen.

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Die meisten Überdosierungen mit Paracetamol sind allerdings keine Versehen oder Unfälle, sondern Selbsttötungsversuche. Viele Menschen glauben, mit dem Medikament schnell und schmerzlos in die Bewusstlosigkeit zu gleiten und schließlich zu sterben. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Körper transportiert den Wirkstoff zur Leber, die schnell überfordert ist. Extreme Übelkeit und dauerhaftes Erbrechen sind die Folge. Der Tod kann erst Tage oder vier bis sechs Wochen nach der Einnahme eintreten, während die Leber unter großen Schmerzen langsam zerfällt. Überlebende leiden nicht selten bis an den Rest ihres Lebens an den irreparablen Schäden.

Die 22-jährige Australierin Amber hatte Glück im Unglück. Sie lebt mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und unternahm vergangenes Jahr einen Suizidversuch mit Paracetamol. Sie überlebte, aber mit den Folgen hat sie bis heute zu kämpfen.


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VICE: Was waren deine ersten Symptome?
Amber: Zuerst begann mein Kopf zu pochen. Mein Puls raste und ich hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Ich wurde komplett rot und mein ganzer Körper tat weh. Das fand ich komisch, weil Paracetamol eigentlich Schmerzen lindern soll. Man nimmt es normalerweise, um sich besser zu fühlen. Dann wurde ich extrem träge und müde, bis ich nicht mal mehr gehen konnte. Ich telefonierte mit meiner Mutter, die irgendwann meinte, dass ich lallen würde. Schließlich hat mein Partner mich gefunden.

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Was ist dann passiert?
Ich kam mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus. Dort haben sie mir dieses Aktivkohle-Getränk gegeben, das die Aufnahme des Paracetamols im Magen unterbinden soll. Das musste ich austrinken, so schnell ich konnte. Bei einer Überdosis mit Paracetamol hast du etwa zwei Stunden Zeit für Gegenmaßnahmen, danach funktioniert es nicht mehr. [Anm. d. Redaktion: Mediziner haben uns gesagt, dass das Zeitfenster für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen bei 24 bis 48 Stunden liegt.] Ich glaube, ich bin eine Stunde und 40 Minuten nach der Einnahme im Krankenhaus angekommen.

Danach musste ich vier Stunden warten. Erst dann war klar, ob ich überleben würde oder nicht. Du kannst nichts tun. Ich weiß noch, dass ich mir vor Panik die Augen ausgeheult habe. Ich habe die Krankenpflegerin gefragt, ob ich sterben werde. Sie hat mich nur angeschaut und gesagt: "Ich kann dir das weder mit Ja noch Nein beantworten, wir müssen abwarten und schauen." Das hat mir schreckliche Angst gemacht. Ich habe nur noch geweint. Ich wollte nicht mehr sterben.

Die Leute denken, dass sie einfach friedlich einschlafen, wenn sie Paracetamol nehmen. Aber so läuft das nicht. Irgendwann wachst du wieder auf und ohne Behandlung stirbst du dann nach ein paar extrem schmerzvollen Tagen an Leberversagen. Zum Glück sind meine Werte irgendwann runtergegangen und ich durfte das Krankenhaus verlassen. Die Tage danach habe ich mich unglaublich niedergeschlagen und langsam gefühlt. Ich fühle mich heute immer noch nicht normal. Ich stehe immer noch neben mir.

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Wusstest du vor deiner Überdosis von den Gefahren?
Ich habe Krankenpflege gelernt. Außerdem hatte ich befreundete Psychologinnen, die Listen mit Selbstmordmethoden studiert haben. Die meinten, dass Paracetamol besonders schlimm sei. Ich habe mich selbst informiert und wusste eigentlich ganz gut, was mich erwartet. Aber du weißt nie, wie schlimm etwas wirklich ist, bevor es dir passiert.

Moment, du wusstest, dass es extrem schmerzhaft und gefährlich ist, und hast es trotzdem getan?
Als ich in diese Stimmung kam, habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Ich schalte dann irgendwie ab und bin gleichzeitig noch präsent, wenn das irgendwie Sinn ergibt. Ich habe einfach komplett emotional und impulsiv gehandelt.

Eine britische Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Menschen, die eine Überdosis Paracetamol einnahmen, das innerhalb einer Stunde gemacht haben, nachdem sie den Entschluss gefasst hatten. Sollte der Zugang zu dem Medikament deiner Meinung nach erschwert werden?
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die es komplett verbieten wollen. Aber hier in Australien sollte auf jeden Fall strenger reguliert sein, wie viele Tabletten in einer Schachtel sind oder wie viel man auf einmal kaufen darf. Das würde vor allem junge Menschen schützen. Auch eine Altersfreigabe wäre nicht verkehrt. Wenn du große Mengen Paracetamol kaufen willst, hält dich hier niemand auf.

Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Suizid denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie Agus Hilfe.

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