Ich habe meine 3-qm-Abstellkammer für 400 Euro auf WG-gesucht angeboten

debara

Mit WG-gesucht kenne ich mich aus. Als ich nach der Schule in die Hauptstadt zog, studierte ich Tag für Tag die Angebote des Portals. Ohne Erfolg. Ein 18-Jähriger, noch verkatert von der Abireise und ohne nennenswerte Einkünfte, landet mit Sicherheit im Spam-Ordner. Oder im “Ibis Budget”. Als ein Freund und ich keine Unterkunft fanden und in der fremden Stadt noch niemanden kannten, checkten wir für ein paar Tage bei der Hotelkette ein, “Basiskomfort zum Sparpreis”.

Mittlerweile habe ich die Seiten gewechselt. Ich bin unter die Bieter gegangen. Wenn ein Mitbewohner unserer WG den Rücken kehrt, kümmere ich mich um die Nachfolge. Bequem liege ich auf meinem Sofa im Warmen und erstelle eine Anzeige bei WG-gesucht. Mein E-Mail-Konto platzt aufgrund Hunderter Anfragen. Krampfige Castings ziehen sich ewig hin, obwohl schon nach dem “Hallo, wie geht’s?” klar ist, ob das was werden kann.

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Und am Ende gibt es den oder die Auserwählte unter Tausenden Bewerbern. Beim ersten Mal kam mir das noch komisch vor. Unsere Bude ist zwar ganz nett, aber auch kein Penthouse am Maybachufer. Eher ein grauer Plattenbau im kiezlosen Niemandsland am Alexanderplatz. Aus meinem Fenster blicke ich auf zwei Tankstellen, die Überreste einer abgerissenen Spielo und die “Celebrity Sport School” von Detlef D! Soost.


Auch ein Promi: Moritz Bleibtreu!


Nachts flitzen fettgefressene Ratten von einem Müllcontainer zum nächsten. Klar, die Lage in Berlin-Mitte ist top. Zehn Rad-Minuten zum Kottbusser Tor, fünf bis ins Berghain. Es gibt also keinen Grund, sich zu beschweren. Der riesige Andrang ist trotzdem einfach nur ungerechtfertigt. Wir haben kein Wohnzimmer, sodass beim gemeinsamen Essen alle um einen kleinen IKEA-Tisch im Flur hocken.

Wie scheiße muss dann ein WG-Zimmer sein, damit es wirklich niemand haben will?

Der Zugang zu Küche und Bad ist dann versperrt. Mit 370 Euro pro Person ist die WG wahrlich kein Schnapper. Doch je öfter ich die Geschichten von überteuerten, winzigen Zimmern in Randbezirken höre, desto wohler fühle ich mich hier. Gleichzeitig frage ich mich, wenn schon ein mittelmäßiges Angebot einen Ansturm auslöst, als würde ich Karten für das DFB-Pokalfinale verschenken, wie scheiße muss dann ein WG-Zimmer sein, damit es wirklich niemand haben will?

Ich will es herausfinden. Den passenden Raum für mein Experiment habe ich schon. Unsere Abstellkammer. Drei Quadratmeter, kein Fenster und löchrige Wände. Zugemüllt mit platten Fußbällen, Flaschenpfand und Haushaltsgeräten. In den letzten Jahren ist die Rumpelkammer immer mehr zu einer Müllhalde verkommen, Besuchern, insbesondere Eltern, ist der Zutritt untersagt.

Intern sprechen wir nur vom Hauswirtschaftsraum. Das klingt vernünftig, nach optimaler Raumnutzung und einem organisierten Erwachsenenleben. Nachdem ich den gröbsten Müll in den Keller geschleppt habe und das Laminat am Boden wieder zum Vorschein kommt, bin ich zuversichtlich. Aus der Kammer lässt sich etwas machen. Aber wie?

Was nicht passt, wird mit dem Kleinanzeigen-Krempel übertüncht

Zunächst brauche ich Möbel und Dekoartikel. Mein erster Anlaufpunkt ist eBay Kleinanzeigen. Zwei Tage lang tingele ich von Anbieter zu Anbieter, führe harte Verhandlungen über bemusterte Bambusvorhänge. In Ahrensfelde kaufe ich eine DDR-Campingliege für 15 Euro, in Marzahn tausche ich ein ramponiertes Gemälde gegen Vollmilchschokolade. Eine Schreibtischlampe in Herzform gibt es im Wedding geschenkt.

Auf ein Wandtattoo mit dem verschnörkelten Schriftzug “Home is where your heart is” warte ich bis heute. Der Versand aus China dauert bei Amazon einfach zu lange, #dankejeff. Nächster Schritt: Umbaumaßnahmen. Ich heuere einen handwerklich begabten Kumpel an.

Bis in die tiefe Nacht wird gesägt, geschraubt und gebohrt. Das Zimmer nimmt langsam Gestalt an, erst die Bettvorrichtung auf wackligen Stelzen. Dann der klappbare Schreibtisch, dessen Scharniere die Last der Sperrholzplatte kaum halten. Was nicht passt, wird mit dem Kleinanzeigen-Krempel übertüncht. Wir bringen das Bücherregal an, hängen das ertauschte Gemälde und einen Kalender mit den Fotos meines Hunds Uwe auf. Über den Schreibtisch klebe ich eine Postkarte mit der Forderung “Reiche Eltern für Alle!”. Nach zehn Stunden Arbeit steht das Zimmer.

Das fertige Zimmer. Es ist winzig.
Foto: Flora Rüegg

Nächster Schritt: die Vermarktung. In der Vergangenheit habe ich meine WG-Angebote immer auf Facebook geteilt. Aber die Kammer unter meinem richtigen Namen anzubieten? Das wäre sozialer Selbstmord. Ich versuche, mir deshalb eine Person vorzustellen, die ernsthaft eine Vorratskammer als WG-Zimmer anbieten würde.

Warum auch immer lande ich bei Emanuel Flickenschild. Einem Studi (keinem Student) in den Mittzwanzigern. Ich richte ein Mailkonto ein und gebe die Anzeige auf: “Gemütliches WG-Zimmer in der Platte (so berlin!)”. In der Beschreibung preise ich unsere “kleine Oase der Erholung”. Der “trashige Charme” spiegele den Berliner Zeitgeist “dekorativ wieder”.

Dem Verdacht, ich würde unsere kultige “WG-Höhle” nur anbieten, um meine eigenen Mietkosten zu drücken, wirke ich offensiv entgegen. Denn andersherum wird es richtig. “Weil es in Berlin immer enger wird, können wir das WG-Zimmer unmöglich ungenutzt lassen.” Es handelt sich also um einen humanitären Akt, zugegeben einen nicht ganz billigen. Für jeden Quadratmeter rechne ich mit einem Hunni. Die Mitbenutzung von Wifi, Waschmaschine und Küche kommt noch oben drauf. Insgesamt bin ich bei 400 Euro warm.

Ein Screenshot des Inserats auf WG gesucht.
Screenshot: WG-gesucht.de

Dann beschrifte ich die Bilder. Ein Foto von Kleiderhaken, Spiegel und Fotokalender, dicht aneinander gequetscht, kommentiere ich mit “Ankleide”. Durch die Ranken des Efeu fotografiere ich die obere Etage der Kammer und schreibe: “Ab ins Grüne”, Zwinkersmiley. Noch ein paar allgemeine Floskeln über das WG-Leben. Offenheit ist der Schlüssel für ein gutes Zusammenleben. Für unsere internationalen Freunde den Text noch schnell durch den Google Translator jagen und ab dafür. “Wir freuen uns riesig, dich kennenzulernen.”

Wer meldet sich auf so eine Anzeige?

Lange warten, bis etwas passiert, muss ich nicht. Die Anfragen stapeln sich in Emanuels Postfach. Nach einer Woche sind es über 50 bei WG-gesucht. Immer wieder ist die Anzeige offline, vermutlich von den Betreibern der Plattform gelöscht. Ich weiche auf WG-Cast und eBay Kleinanzeigen aus. Dort erhalte ich weitere fünfzehn Anfragen. Das Bewerberfeld ist bunt durchmischt, Physikstudenten und Securitys, Geflüchtete aus Syrien und Bewohner der Isle of Men. Nur ein Berliner ist nicht dabei.

Noch ein Screenshot von dem Inserat.
Screenshot “WG-gesucht”

Viele schicken mir Copy/Paste-Texte. Als Bewerber würde ich auch erst mal Nachrichten rausfeuern. Richtig hinschauen kann man ja später immer noch, wenn überhaupt mal eine Rückmeldung kommt. Es gibt aber auch ein paar ehrliche Komplimente für die ganze Schufterei: “very different to the others, but it looks awesome, and i like the vibe”, schreibt Elias*. OK, das war es dann schon.

So richtigen Hate kriege ich auch nicht ab, eher ein paar bissige Kommentare. “Herzlichen Glückwunsch, 3qm kann vermutlich keiner unterbieten”, schreibt Philipp. Interessiert ist er trotzdem. Jonas erkundigt sich, ob man im dem Zimmer überhaupt stehen könne und Lena möchte wissen, wer da seine Miete auf jemand anderen abwälzen will.

Das kann es doch nicht gewesen sein. Ich überlege, die schändliche Anzeige in einer Facebook-Gruppe für WG-gesuche anzuprangern. Lasse es dann aber doch, um meine Operation nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Die Anzeige wird auch so regelmäßig gelöscht. Als ich mein Experiment bei VICE vorschlug, verkündete ich vollmundig, Castings abzuhalten und meine Rumpelkammer selbstbewusst zu präsentieren. Wenn ich mir die umfunktionierte Abstellkammer anschaue und die vielen verzweifelten Bewerbungen lese, finde ich die Aktion ziemlich ehrenlos.

Eine Collage zweier Fotos des winzigen, winzigen Zimmers.
Foto: Flora Rüegg

Ich sichere mich bei Dutzenden Freunden ab, ob ich tatsächlich Wohnungssuchende bei mir antanzen lassen kann, nur um eine gute Geschichte über den “terroristischen Berliner Wohnungsmarkt” zu schreiben. So formuliert es ein Bewerber. Kann man schon machen, finden alle. Einer ist der Ansicht, dass die Leute selbst schuld seien. Wer meldet sich denn auf so eine Anzeige? Recht hat er, versuche ich, mein Gewissen zu beruhigen.

Um dem moralischen Dilemma zu entkommen, sortiere ich trotzdem einige Gruppen von vornherein aus. Bewerber, die extra für einen Besichtigungstermin anreisen oder sich nur kurz in Berlin aufhalten. Menschen, die sich in einer akuten Notlage befinden, von ihrer Frau rausgeschmissen oder dem Vermieter fristlos gekündigt wurden, bleiben ebenfalls außen vor.

Die Stunden vor dem Casting verbringe ich damit, mich vor mir selbst zu rechtfertigen. Es steht doch dick und fett drin, dass die Kammer nur drei Quadratmeter hat und ich dafür 400 Euro verlange. Gleichzeitig frage ich mich, wie beschissen die Zimmersuche laufen muss, damit ein fensterloser Raum in der Größe einer Telefonzelle wie ein attraktives neues Zuhause erscheint.

Menschen ohne Chance auf ein bewohnbares Zimmer einzuladen, ist schon schäbig. Und meine Mitbewohner zwinge ich obendrein dazu, in diesem Schmierentheater mitzuspielen. Ich schärfe ihnen die vereinbarten Decknamen ein, bereite sie auf Nachfragen zu Herkunft, Hobbys und Beziehungsstatus vor. Das Casting rückt näher, 19:05, 19:06, 19:07.

Lisa

Der erste Bewerber, ein Student aus Birmingham, hatte per Mail geschrieben, dass das Zimmer “really cool” wirke. Ich lese Matts Mail mehrmals, um optimal vorbereitet zu sein. Umsonst, er kommt nicht. Auch die nächsten Abende verbringe ich hauptsächlich mit Warten. Die meisten Kandidaten sagen gar nicht erst ab. Dann klingelt es das erste Mal an der Tür. Davor steht Lisa, 18 Jahre, aus einer bayerischen Kleinstadt. Für ihren Bundesfreiwilligendienst ist sie nach Berlin gezogen.

Ich öffne die Tür: “Hallo, Emanuel.” Ich lächele gequält, biete ein Bier an und frage, ob sie gut hergefunden habe. Lisa, Abipulli und Pferdeschwanz, erzählt bei einem Leitungswasser, dass ihr Vater sie vorbeigebracht habe. Weil es bei der WG-Suche so schlecht laufe, sei er extra angereist, um sie zu unterstützen. Ihre bisherige Unterkunft am Stadtrand müsse sie nämlich schnellstmöglich verlassen. Ach du Scheiße, denke ich. Das gibt Ärger.

Ihre Mitbewohnerin dürfe gar nicht untervermieten, hat der Eigentümer gesagt. Lisa will aber eh keinen Tag länger bleiben, denn ihre Mitbewohnerin behandele sie wie ein kleines Kind, das mit schwarzer Pädagogik erzogen werden müsse. Nachts hält sie ihr Standpauken per WhatsApp-Sprachmemo. Mein Plan, die Härtefälle bei den Besichtigungen auszulassen, ist jetzt schon gescheitert. Ein Gespräch kommt nur schwer in Gang.

Lisa will nichts Falsches sagen und ich traue mich nicht, ihr die Kammer zu zeigen. Als das Schweigen sich immer länger zieht, reiße ich mich zusammen. Die Tür des Hauswirtschaftsraum geht auf, Lisas Augen werden groß. Sie bringt nur ein langgezogenes “Oooh” hervor. Dann hat sie ihre Fassung wieder und fragt, wie man denn auf das Bett komme. “Da müssen wir noch ne Strickleiter anbringen”, sage ich knapp. “Und hält das dann?” Ich glaube nicht, zu weiteren Lügen bin ich nicht in der Lage.

Ob sie sich das Zimmer vorher richtig angeschaut habe, will ich wissen. Lisa sagt, dass es eigentlich egal sei, wie das Zimmer aussehe. Wenn sie als 18-Jährige überhaupt mal eingeladen wird, geht sie auch hin. In diesem Moment wünsche ich mir, dass ihr Vater reinkommt und mir eins in die Adresse haut.

Als wir wieder am Tisch im Flur sitzen, löse ich die Nummer auf. “Oh, dann ist das nur ein Witz?” Ja, schon irgendwie. Lisa bleibt freundlich, anstatt mir die Meinung zu geigen. Doch nichts passiert, Lisa findet das Projekt “ganz lustig”. Als meine Mitbewohner dazukommen, löst sich die Stimmung etwas. Wir sitzen noch eine halbe Stunde zusammen. Lisa wird mutiger, erzählt offen von sexuellen Belästigungen bei Castings (“Die Miete ist nicht umsonst so günstig”), von Daniela-Katzenberger-Klodeckeln und ihrer schrecklichen Mitbewohnerin. Seit Monaten hat sie nur die Wohnungssuche im Kopf, von Berlin hat sie kaum etwas gesehen.

Morgen ist eine weitere Besichtigung angesetzt, ein Restfunken Hoffnung ist ihr geblieben. Ihr Vater begleitet sie. Die Wohnung ist in Spandau. Beim Abschied entschuldige ich mich drei Mal für die Einladung, die enttäuschten Erwartungen und alles. Lisa bedankt sich im Gehen dafür, dass sie da sein durfte.

Ethan

Am nächsten Tag kommt Ethan, 25 Jahre aus Austin, Texas. Aufgewachsen ist er in Brooklyn. Mit großen Schritten kommt Ethan auf mich zu, feste Stimme: “Nice to meet you Emanuel!”: So schlimm kann das nicht werden. Ethan ist Videoproduzent, trägt Jeansjacke und Strubbelfrisur. Aktuell teilt er sich mit Fremden ein Zimmer in einem Hostel in Kreuzberg. Ethan liest gerne und bei einem Bier sprechen wir über Döblins Berlin Alexanderplatz, die Serie Babylon Berlin und sind irgendwann bei den Midterm-Wahlen in den USA angelangt.

Nach einer Viertelstunde beschließe ich, Ethan nicht noch mehr Zeit zu stehlen, und schlage vor: “Let’s check out the room.” Er tritt in die Kammer, nickt demonstrativ und sagt knapp: “That will work.” Viel zu gucken gibt es nicht, mit einem Blick hat man ja alles gesehen. Ethan kommt aus der Kammer hervor und will wissen, wie wir das mit dem Putzplan regeln würden. Ich bin verdutzt. Versuche, ihm die schwäbische Kehrwoche auf Englisch zu erklären, was mir aber nicht gelingt.

Noch eine Collage aus zwei Fotos der sehr, sehr kleinen Kammer.
Foto: Flora Rüegg

Also sage ich Ethan lieber, was Phase ist. Erst wirkt er enttäuscht. Seine Mundwinkel kämpfen gegen die Schwerkraft. Dann erklärt Ethan, er habe sein Interesse sowieso nur vorgetäuscht. In dem Zimmer könne er nicht mal seine Beine ausstrecken. Von zu Hause, also aus dem Hostelzimmer, hätte er mir direkt abgesagt. Im Gegensatz zu Lisa rechnet sich Ethan gute Chancen aus, bald ein Bleibe zu finden. Er habe mehrere vielversprechende Besichtigungen gehabt. Also alles halb so wild, meint er. Wenn der Artikel veröffentlicht wird, soll ich ihm unbedingt den Link schicken.

Wir sind ja quasi Kollegen. Am Ende des Biers bedankt sich Ethan höflich und wir versichern uns gegenseitig, die Tage gemeinsam in eine Bar zu gehen. Ganz bestimmt. Ich vermute, sein Interesse an einem weiteren Treffen ist so groß wie das an der Rumpelkammer. Schade, aber verständlich.

Klara

Mein nächster Gast heißt Klara. Die Studentin von der Humboldt-Universität hat einen Freund dabei, Joao. Joao kommt aus Portugal und macht ein Erasmus-Semester, Klara ist eigentlich Magdeburgerin. Für einen Moment überlege ich, ob Klara und Joao ein Paar sind und die Rumpelkammer gemeinsam anmieten wollen. Sie wirkt ziemlich angespannt. Beim Smalltalk im Flur schielt Klara mehrmals zur Kammer. In den letzten Wochen war sie auf fünfzehn, in Zahlen 15, Besichtigungen.

Dafür ist Joao gut drauf, er schwärmt von den Vorzügen seiner Heimatstadt Porto. An Lissabon lässt er kein gutes Haar, da sei es wie in München. “München”, denken wir alle drei verächtlich. Weil Klara das seichte Gespräch sichtlich nervt, komme ich zur Sache. Ich frage, ob sie die Eckdaten des Zimmers im Kopf hat. “Ja, aber ist das Zimmer wirklich nur drei Quadratmeter groß?” Genau. Sie gesteht, dass sie insgeheim darauf gehofft hatte, dass es sich bei der Größenangabe um einen Schreibfehler handele.

Ich ermutige Klara, mir zu sagen, was ich für ein dummes Arschloch bin.

Desillusioniert bewegen wir uns auf die Kammer zu. Die Tür meines Zimmers nebenan steht offen. Es hat mit einem Mal die Größe einer Bahnhofshalle angenommen. Schnell schiebe ich den Einhornvorhang zur Seite. Geschockt ist Klara nicht, sie analysiert nüchtern: “Kein Platz zum Verstauen meiner Sachen, ein Fenster hat das Zimmer auch nicht.” Ich will ihren Hass provozieren und erkläre, dass die Alpenlandschaft auf dem Gemälde einen besseren Ausblick als jedes Fenster biete. Klara ignoriert das. “Und die Miete ist 400 Euro?” Genau.

“Also langfristig ist es nichts, aber zum Übergang würde ich es nehmen.” Du würdest was? Das kam jetzt überraschend. Klara erklärt, dass sie nicht länger mit ihrem Bruder in einem Zimmer schlafen könne. Dann schon lieber die Kammer. Ehrliches Interesse, das hätte ich nicht erwartet. Ich rudere schnell zurück und erkläre, dass ich das Zimmer nicht wirklich anbiete.

Klara denkt, ich verarsche sie. Ich zeige ihr die übrigen geräumigen Zimmer, die instabile Bettvorrichtung, weise auf den Wucherpreis hin. Das kann man doch keinem Menschen anbieten. Klara überlegt, es rattert: “Ich hätte es trotzdem genommen, ja doch.” Ich überlege, ihr das Zimmer für lau anzubieten. Bis sie was anderes hat. Verwerfe die Idee aber schnell, denn nicht der Mietpreis macht die Abstellkammer zu einem menschenunwürdigen Ort.

Wir stehen eine Weile ratlos im Flur. “Ja, OK”, sagt Klara immer wieder ins Nichts, macht aber keine Anstalten zu gehen. Joao, den wir ganz vergessen haben, sitzt am Tisch und versteht nicht so richtig, was gerade vor sich geht. Ich ermutige Klara, mir zu sagen, was ich für ein dummes Arschloch bin. Sie ringt sich zu einem “Es ist schon scheiße” durch. Ein “von dir” hätte sie ruhig noch ranhängen können.

Wie immer verspreche ich, die Augen offenzuhalten und mich zu melden, wenn ich etwas höre. Dann geht sie, mit Joao im Schlepptau. Der letzte Kandidat versetzt mich. Eine Stunde zuvor hatte er noch gefragt, ob ich das Drei-Quadratmeter-Zimmer anbieten würde. Ich sitze da und freue mich für den Bewerber, dass er nicht gekommen ist. Freue mich für mich, dass ich nicht nochmal den Lockvogel spielen muss.

Keine Pointe. Kein Happy End. Ich denke darüber nach, wie ich den Kandidaten doch noch helfen kann. Ich hatte nicht vor, ein paar hilfsbedürftige Leute an der Nase herumzuführen. Keiner von ihnen hatte das verdient, ich schäme mich für den Gedanken. Wer jemanden kennt, der ein freies WG-Zimmer anbietet, schickt bitte eine E-Mail an emanuelflickenschild@gmx.de. Danke!

*Alle Namen geändert

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