In bin in einem städtischen Umfeld großgeworden. Bis vor ganz kurzer Zeit habe ich die Stadt als meinen natürlichen Lebensraum angesehen, und wenn ich mich in die wilde Natur begebe, ist es noch immer ein Schock. Damit meine ich nicht nur, dass sich die Landschaft verändert. Vielmehr meine ich einen Paradigmenwechsel, indem sich meine Art zu denken und zu handeln verändert, genauso wie das Verständnis meiner Umgebung und meines Platzes in der Welt.
Ich wollte nach Alaska aufbrechen, weil es eine der letzten wirklich wilden Gegenden auf dieser Welt ist. Alaska, das ist ein genauso immenses wie menschenleeres Stück Erde. Dort ist die Natur noch authentisch und intakt, während die menschlichen Infrastrukturen rar gesät sind. Ich wollte der modernen Gesellschaft entfliehen und mich in sein genaues Gegenteil begeben, also die wilde Natur kennenlernen, sehen, ob ich fernab der modernen Welt mehrere Monate überleben könnte, ob ich mich an diese neue Umwelt anpassen könnte, ob ich autonom werden und nur mit dem auskommen würde, was ich in der Mutter Natur vorfinde. Im hohen Norden ist die Vielfalt der Landschaften, der Fauna und Flora einfach nur atemberaubend. Es gibt einfach alles, Berge, Flachland, Flüsse, Seen, Wälder, die Tundra. In einem Wort: wunderschön.
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Das Ziel dieser Reise bestand also darin, mit der Natur zu verschmelzen. Dafür habe ich mir einige Regeln auferlegt. Als Erstes habe ich mir verboten, Straßen oder Wegen zu folgen, nicht mal Wanderpfade waren erlaubt. Ich musste mir einen eigenen Weg bahnen und so tief wie möglich in unberührte Landschaften vordringen. Ich habe also meine Reiseroute so gelegt, dass ich keine Straße, keine Siedlung, keine menschliche Infrastruktur kreuzen würde. Glücklicherweise ist das in Alaska nicht allzu schwer.
Die zweite Regel sah vor, dass ich in meinem Rucksack deutlich weniger Sachen mitschleppen wollte als bei meinen vorherigen Reisen (vorbei die Zeiten der Nahrungsreserven, drei Pullis, Isomatten, vorbei die Zeiten von Wasserfilter und Gaskocher). Ich habe das Nützliche eliminiert und nur das Unentbehrliche beibehalten. In meinem Rucksack trug ich: ein Zelt (das ich nach einer Bärenattacke flicken musste), einen Schlafsack, einen Pulli, ein Feuerzeug, einen Kompass, Karten, ein GPS-Gerät, ein Satellitentelefon, ein Messer, eine Flasche, einen Campingtopf, Bücher, einen Fotoapparat, eine Kamera, einen Block und einen Stift. Mit diesem Equipment kann man es fast überall mehrere Monate aushalten. Mein Ziel für meine kommenden Expeditionen ist es zu lernen, auch auf diese Objekte nach und nach zu verzichten, indem ich beispielsweise selbst Feuer mache, ein Stein zu einem Messer schleife, mithilfe der Natur eine Art Zelt errichte usw.
Diese radikale Veränderung war in den ersten Wochen sehr schwierig. Danach habe ich begonnen, mich daran zu gewöhnen und zu lernen, wie ich mich zu verhalten habe, um mehrere Monate in Alaska überleben zu können. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich es geschafft, mich einen Großteil der Zeit eigenständig zu ernähren, durch Angeln etwa oder das Pflücken von Beeren und Pilzen. Nachts machte ich Feuer, um mich aufzuwärmen, tagsüber wusch ich mich in Flüssen und trank auch aus ihnen. Um schnell voranzukommen, musste ich – wie mir bald klar wurde – den Spuren von Grizzlys und Rentieren folgen.
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Jeden Tag paddelte oder wanderte ich für viele Stunden (anderthalb Monate Wandern folgten auf anderthalb Monate Paddeln). Morgens und abends sammelte ich Obst, und wenn immer sich die Gelegenheit ergab, versuchte ich mir mein Mittag- oder Abendessen zu fischen. Nach acht Stunden Paddeln oder Wandern baute ich mein Zelt da auf, wo es mir gerade passte. Zum Essen machte ich ein Feuer, danach schnürte ich all meine Sachen, die nicht geruchlos waren (Mückenspray, Zahnpasta, der gerade benutzte Kochtopf…) in Baumspitzen fest, um keine Bären anzulocken.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich solange in einer so wilden Natur auf mich alleine gestellt war. Ich hatte das Gefühl, den Ursprung der Welt, den Ursprung allen Lebens zu entdecken. Trotz des Hungers, trotz der Schmerzen, trotz der Müdigkeit wurde mir klar, wie frei, lebendig und glücklich ich dadurch wurde, dort zu sein.
Aber das war nicht immer einfach, es gab auch extrem schwierige Momente, wo ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Meine schlimmste Erinnerung habe ich an den Start meiner 900 Kilometer langen Wanderung, die mich einige Wochen später bis zum arktischen Ozean führen sollte. Nachdem meine Kanutour nach 1.800 Kilometern beendet war, verkaufte ich mein Boot in dem Dorf, wo ich damit gelandet war. Ich habe im Anschluss einen Fischer gebeten, mich zehn Kilometer auf dem Yukon mitzunehmen. Ziel war ein anderer Fluss, der nach Norden und damit in die für mich richtige Richtung führt. Meine Idee war es, den Marsch damit zu beginnen, dass ich die ersten 70 Kilometer dem Flussverlauf folge. Der Fischer hat mich also abgesetzt, dann ist er weitergefahren. Es war schon spät, als ich am Uferrand losmarschierte. Schnell sollte sich zeigen, dass meine Route eine Mission Impossible war, als sich das Ufer zu einer Wand auftürmte. Mit letzter Kraft habe ich diese Mauer aus Erde erklommen. Oben angekommen, wartete der Wald auf mich. Und das war die Hölle. Ich fand mich in einem Dschungel wieder, wo man keinen Schritt vor den nächsten tun konnte. Von überall kratzten mich unsichtbare Stachel und ich stolperte durch die pechschwarze Nacht. Ich fiel in einer Tour hin, und jeder Meter verlangte mir unfassbar viel Kraft ab. Dazu umschwirrten mich noch von allen Seiten Mücken, in deren blutigen Einstichwunden sich mein Schweiß mischte.
Nach drei Stunden Wanderung musste ich dann feststellen, dass ich gerade mal zwei Kilometer vorwärtsgekommen war. Ich beschloss, nicht weiter zu gehen, und schlief mit der Hoffnung ein, dass das alles nur ein Albtraum sei. Am nächsten Morgen entschied ich, in das Dorf zurückzukehren und von dort aus die Berge anzusteuern, wo ich eine leichtere Route vermutete. Ich bin also im Wald in Richtung Startpunkt zurückmarschiert, doch schon nach einer halben Stunde konnte ich nicht mehr. Da habe ich meine Sachen am Uferrand abgestellt, bin in den Fluss gesprungen und in dem eiskalten Wasser 25 Minuten lang bis zu dem Punkt zurückgeschwommen, wo mich der Fischer tags zuvor abgesetzt hatte. Dort musste ich dann zwei Tage warten, bis ein Fischer vorbeikam und mich zurück zur Siedlungs brachte. Drei Tage später habe ich meine Wanderung wieder aufgenommen und dieses Mal kam ich endlich auch voran.
Ich habe auch die unglaublichsten Sachen erlebt. Ich glaube, meine beste Erinnerung habe ich an einen Tag rund drei Wochen nach Beginn meiner Wandertour. Ich hatte gerade ein Waldstück verlassen und machte meine ersten Schritte in der Tundra, also in der Welt, wo es so kalt ist, dass nicht mal Bäume wachsen.
Ich stapfte durch das bunte Paradies aus Moos und Flechten und hatte das Gefühl, Teil eines Gemäldes zu sein. Auf einmal riss mich etwas aus meinen Gedanken. Ein riesiger Grizzly stürmte von einem Hügel schnurstracks in meine Richtung. Zehn Meter vor mir machte er plötzlich Halt. Die Zeit schien stehenzubleiben, ich hörte mein Herz bis zum Hals schlagen. Wir haben uns rund zehn Sekunden angeschaut, irgendwo zwischen Todesangst und purem Glücksgefühl, weil ich mich nur wenige Schritte von einem der schönsten und gefährlichsten Tiere befand, die mir jemals begegnet waren. Ohne Zweifel waren das die zehn intensivsten Sekunden meines Lebens. Dann ist er plötzlich wieder weggerannt, wie ein Kind, das sich darüber gefreut hat, mir soeben einen gehörigen Schrecken eingejagt zu haben.
Ich bereite schon meine nächste Expedition vor, die im August losgehen soll: die komplette Überquerung des Himalaya, von Pakistan nach Butan, zu Fuß und alleine. Ein vier Monate und 4.000 Kilometer langes Abenteuer. Ich werde mir für die Aufstiege an den höchsten Punkten ein Yak kaufen. Auch eine Polarexpedition ist bereits in Planung: Erst gilt es, von Québec aus mit Schlittenhunden das Packeis zu erreichen und dann alleine und zu Fuß bis zum Nordpol weiterzuwandern.
Eine der Expeditionen, an die ich aktuell am meisten denke, soll auf einer einsamen Insel in der Südsee stattfinden. Meine Idee ist, nackt und nur mit einem Messer ausgerüstet auf die Insel zu kommen und ohne Hilfe von außen mehrere Monate zu überleben. Ich will die Anden überqueren, außerdem den gesamten Amazonas in einem Kanu abfahren. Ich würde außerdem gerne die Antarktis zu Fuß überqueren. Und dann wäre da noch das Projekt, das mir am meisten am Herzen liegt: Zusammen mit Freunden im hohen Norden eine Hütte bauen und dort ein paar Monate im Jahr verbringen.
Weitere Fotos von Eliott findet ihr auf seiner Website sowie auf seiner Facebook-Page.