Tech

Die Höllenengel aus Los Santos: Mein Trip mit den gefährlichsten Bikern von GTA

Alle „Grand Theft Auto Online” Screenshots wurden vom Autor gemacht. „Grand Theft Auto Online” wird von Rockstar Games herausgegeben

Tausende Spieler haben es versucht, aber nur die wenigsten schaffen es: als Mitglied bei den Reaper Lords, der berühmtesten Biker-Gang von GTA, aufgenommen zu werden. „98 Prozent der Leute weisen wir höflich ab”, erklärt mir Dirty Worka, der als sogenannter „Sergeant-at-Arms” beim Los Santos-Charter der Reaper Lords dient—zusammen mit insgesamt nur 26 anderen Bikern. Selbst wenn man Playstation 4 und Xbox One zusammenrechnet, zählt die Gang in der gesamten Online-Welt nur etwa 100 Mitglieder. Für ein paar Stunden war ich einer von ihnen: Dirty Worka hat mich eingeladen, mit den Bikern durch Los Santos zu ziehen, wobei ich viel über gesellschaftliche Werte wie Respekt, Bescheidenheit und Zusammenhalt gelernt habe—was ich bei einer Gang in einem Videospiel eher nicht erwartet hätte. Für die Reaper Lords geht es um mehr als nur ums Spielen: „Ich weiß, dass wir das zu ernst nehmen, aber das ist OK für uns”, erklärte mir der Sergeant.

Videos by VICE

GTA-Entwickler Rockstar Games hat die Motorrad-Kultur von GTA-Online vor gar nicht langer Zeit mit einem eigenen Update versorgt—ein von vielen der aktiven Gaming-Biker heiß erwarteter Schritt, nachdem sich Anfang des Jahres Dutzende virtuelle Motorradclubs zusammengetan haben und in einer Petition von Rockstar mehr Biker-Content gefordert haben. Nachdem sie Tausende Unterschriften sammeln konnten, bekamen sie neue Motorräder, neue Waffen, neue Kleidung und Tattoos. Jetzt konnten die Spieler auch offiziell ihre eigenen Motorradclubs mit richtigen Clubhäusern gründen. Eine Entwicklung, die auch den Reaper Lords gut gefällt. Es gibt jedoch etwas, das sie stört: Diejenigen Clubs, die sie abfällig als „DLC-Clubs” bezeichnen, weil sie von Gamern gegründet wurden, die in ihren Augen Neulinge sind, sind ihnen ein Dorn im Auge. „Wir warten darauf, dass sie bald wieder mit ihren Autos und ihren Raketenwerfern spielen”, meint Dirty.

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Was sie selbst aus den neuen Features machen und wie sie sich ihr exklusives GTA-Universum aufbauen, haben mir die Reaper Lords aber netterweise trotzdem gerne gezeigt.

Als ich am Clubhaus ankomme, bietet sich mir ein Bild, als sei ich nicht im Multiplayer-, sondern im Einzelspieler-Modus: Zwei Typen haben sich mit Sturmgewehren in der Hand am Tor vor einer Lagerhalle postiert und überwachen stumm die Straße. Hinter ihnen warten Männer und Frauen in Lederkutte in Reih und Glied, während vor ihnen Dirty Worka steht, der mir in aller Schnelle erklärt, wie es bei den Reaper Lords abläuft. „Dieser Club ist besser organisiert als die meisten Unternehmen in der echten Welt”, meint er—das glaube ich ihm sofort.

„Das da sind die braunen Lederjacken”, erklärt er und zeigt auf die bewegungslosen Wachposten, die eher wie Roboter und nicht wie echte Spieler wirken. Das sind die Anwärter, die „Prospects”, die auf einen richtigen Reaper-Lords-Aufnäher hoffen und vollständige Clubmitglieder werden wollen. „Wir quälen diese Kerle richtig”, meint Dirty weiter. „Es ist schrecklich.”

Die Prospects tun genau, was ihnen befohlen wird, sie dürfen nur sprechen, wenn sie angesprochen werden. Einer von ihnen ist bereits seit einem Monat da und die höherrangigen Mitglieder werden bald entscheiden, ob er dauerhaft aufgenommen wird. Von ihnen wird zunächst verlangt, stets aufmerksam zu sein, die Regeln zu lernen und die Tests zu bestehen. Sie müssen lernen, in Formation zu fahren—wofür man ziemlich geübt sein muss: Wer in der Formation plötzlich bremst, riskiert sofort einen Unfall. Die Neuen müssen also das Fahren lernen und auch Kurven sanft meistern können. Ihre Fahrkünste werden getestet, indem sie ein paar Runden auf vorgegebenen Strecken fahren müssen; dann lernen sie das Parken, fahren die Strecke noch mal in die andere Richtung, parken wieder und so weiter und so fort. „Nach sechs bis acht Wochen kennen wir ihre Namen und wissen ein bisschen was über sie”, meint Dirty.

Nach dieser recht eindeutigen Einführung war es Zeit für eine Tour. „Reaper Lords, formiert euch”, brüllt Dirty. Da ich kein eigenes Motorrad besitze, fahre ich bei einem der Gang-Mitglieder mit. Alle Bikes sind feinsäuberlich hinter dem Clubhaus geparkt. Die Reaper Lords positionieren sich in zwei Reihen vor dem Tor, die Motoren dröhnen—die Prospects reihen sich natürlich hinten ein. Der „Road Captain”, Swifty, fährt vorneweg und gibt uns die Richtung vor. Es ist immer noch ein Videospiel, die vom Computer generierten Fahrer treffen also manchmal dumme Entscheidungen, weshalb Unfälle unvermeidbar sind, auch wenn die Biker noch so perfekt organisiert sind. „Alle Lords stop! Alle Lords stop!” heißt es jedes Mal, wenn jemand am Boden liegt. Die Crew hält an und wartet, bis jeder wieder in Position ist und fährt dann weiter.

Schnell zeigt sich, dass die bescheidenen Bikes der Anwärter nicht mit den Custom-Bikes der richtigen Lords mithalten können, also soll ich bei FireFoxKitt aufsteigen, einem der ältesten Mitglieder des Charters in Los Santos.

Als ich sie frage, beginnt sie mir ein bisschen was von sich zu erzählen, und auch von den anderen erfahre ich etwas mehr. Alle loben die Reaper Lords in den höchsten Tönen und sind unglaublich stolz darauf, Mitglied im besten und wohl exklusivsten Club von GTA Online zu sein. Doch die Biker bilden nicht nur im Spiel eine Bande: „Wenn ich persönliche Probleme habe, wende ich mich sofort an meine Brüder und Schwestern hier im Club”, erzählt FireFoxKitt. „Sie geben mir wertvolle Tipps und urteilen nicht sofort über mich wie meine Freunde oder meine Familie im echten Leben.”

Nachdem wir aus der Stadt herausgefahren sind, in eine der hintersten Ecken der Karte, erreichen wir schließlich eine Ranch, auf der die Reaper Lords viel Zeit verbringen. Zeit für einen Fight Club—ohne dass irgendjemand irgendwelche Regeln erwähnt, geht es auch schon los: Als Erstes kämpfen zwei Prospects gegeneinander. Nachdem sie 20 Sekunden ziellos umherlaufen und immer wieder ins Leere schlagen, langweilen sich die höherrangigen Mitglieder. Sie scheinen ihre Zieleinstellungen schlecht konfiguriert zu haben, weshalb sie überhaupt nicht treffen.

„Wollt ihr uns blamieren, oder was?” Es folgen Schüsse und die zwei Prospects sinken tot zu Boden. Wer als Anwärter einen Fehler macht, wird bestraft. Wer die Regeln bricht, ist eine Woche lang „auf Bewährung”. Währenddessen kann man verschiedene Aufgaben bekommen: Man soll zum Beispiel alle Geschäfte von Los Santos ausrauben und das Geld dem Club geben oder stundenlang auf bestimmten Strecken umherfahren. Die schlimmste Strafe: bis auf den Gipfel des Mount Chiliad hochklettern.

Nach ein paar Runden soll auch ich in den Ring steigen. Ich checke noch mal, ob alles richtig eingestellt ist, was aber am Ende auch egal ist: Nach ein paar Sekunden liege ich am Boden. Ein anderes Spiel: Zwei Mitglieder fahren auf einer Straße neben dem Ring in voller Geschwindigkeit aufeinander zu und versuchen, sich dabei mit einer abgesägten Schrotflinte abzuknallen. Oder sie nehmen einen Tomahawk, eine der neuen Waffen, die nach dem jüngsten Update zur Verfügung stehen. Einer der Spieler leiht mir sein Motorrad, damit ich mitmachen kann, und ich positioniere mich am Ende der Piste. Während die anderen dran sind, berichtet mir die Bande mehr über die Waffenregeln bei den Reaper Lords.

Die Reaper Lords bezeichnen sich selbst als sogenannter „1 % Club”—und als solcher gelten bei ihnen strenge Regeln: Sie sprechen sich zum Beispiel gegen die Nutzung von automatisierten Schießsystemen aus und schwören der Auto-Lock-Funktion ab. Als „1 Prozent-Clubs” oder sogenannte „Outlaw Motorcycle Gangs” bezeichnen sich im echten Leben jene Motorradclubs, die statt staatlichen Gesetzen ihren eigenen Normen folgen.

Auch die Reaper Lords folgen einer strengen Gebotsliste: Sie schießen nur, wenn sie auch angegriffen werden, wenn man sie jedoch provoziert, antworten sie ohne zu zögern mit Gewalt. Wenn sich der Feind im Auto befindet, sind alle Waffen zugelassen, bei Gegnern, die zu Fuß unterwegs sind, dürfen die Reaper Lords nur das Sturmgewehr oder die Pumpgun nehmen. „Für uns ist es interessanter, sich an einen Kodex halten zu müssen”, erklärt Dirty Worka. Er erinnert sich noch, wie er oft von Kampfjets angegriffen wurde oder nur getötet wurde, damit man ihn fotografieren kann und sich so damit rühmen wollte, einen Reaper Lord geschlagen zu haben. Die Reaper Lords sind extrem stolz darauf, nicht einfach nur ein „Nachahmer-Club” zu sein, wie andere, die die Sons of Anarchy oder die Hells Angels kopieren. „Wir setzen den Maßstab, alle anderen versuchen nur, uns nachzumachen”, meint Rusty Cage, Vice President des Charters Los Santos.

Zurück im Clubhaus hänge ich noch ein wenig mit den Reaper Lords ab. Sie haben natürlich eine Bar, sie spielen Darts und Armdrücken. Hinten gibt es eine Werkstatt, wo jeder den anderen sein neues Motorrad zeigen kann. Ich sitze mit den anderen Mitgliedern an einem großen Tisch mit ihrem Logo und erfahre, was sie machen, wenn sie nicht gerade Neuankömmlinge quälen, die freundlichere Seite des Clubs sozusagen. Genauso wie richtige Biker-Clubs engagieren sich auch die Lords wohltätig. 2015 haben sie zum Beispiel eine Tour gemacht, um Geld für den 13-jährigen Anthony Parello zu sammeln, der eine Nierentransplantation brauchte. „Er ist wie unser kleiner Bruder”, sagt Dirty und erzählt auch, was die Lords in der Vergangenheit alles für die Make-A-Wish-Foundation getan haben. Bald organisieren sie auch ein Event für die Brustkrebsforschung.

Die meisten Mitglieder sind auch im echten Leben befreundet und treffen sich oft. Abschließend erzählen sie mir von Fällen, in denen ein Mitglied einem anderen einen neuen Job beschafft hat oder wie der gesamte Club einmal einem Mitglied geholfen hat, das gerade eine extrem schwere Zeit durchmachte. Außerhalb von GTA haben alle sehr unterschiedliche Hintergründe und haben ein komplett anderes Leben und stammen auch aus allen Ecken der Welt. Manche von ihnen sind echte Biker, andere einfach nur Gamer, aber sie sind eine wahre Familie.

Einer von ihnen, Sweef, bringt es perfekt auf den Punkt: „Viele sagen, dass das nur ein Spiel ist. OK, es ist nur ein Spiel, aber unser Zusammenhalt ist echt.”