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Schwule dürfen weiterhin kein Blut spenden—Was sagt die Wissenschaft dazu?

Angesichts der Tragödie in Orlando ist die Debatte um die Blutspende-Regelung für Homosexuelle aktueller denn je.
Bild: WikimediaCommons | Public Domain

Nach dem schrecklichen Attentat im Pulse-Nachtclub in Orlando ist es mehr als verständlich, dass gerade die LGBT-Community alles in ihrer Macht stehende tun will, um den Verletzten zu helfen. Doch vielen schwulen und bisexuellen Männern ist etwas untersagt, was in diesem Fall Leben retten könnte: Blut zu spenden.

Und so hat das Attentat nicht nur die Diskussion um Waffenkontrolle neu entfacht, sondern auch eine alte Debatte um die strikten Blutspende-Regeln, die für homosexuelle Männer sowohl in den USA als auch in Deutschland gelten. In Deutschland ist das Gesetz sogar noch schärfer: Denn hier ist homosexuellen Männern die Blutspende seit Einführung des Transfusionsgesetzes 1998 komplett untersagt.

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Auch laut den Regelungen der us-amerikanischen Regulierungsbehörde FDA gelten Männer, die Sex mit Männern (auch unter dem Kürzel MSM bekannt) hatten, als Risikogruppe und dürfen entsprechend kein Blut spenden. Zwar wurde das lebenslange Blutspende-Verbot für homosexuelle Männer von 1983 in den USA im vergangenen Jahr aufgehoben, doch aktuell beträgt der gesetzlich vorgeschriebene Zeitraum, der vor einer Blutspende seit dem letzten Sex, den ein Mann mit einem Mann hatte, eingehalten werden muss, immer noch ein Jahr. Kritiker der Regularien argumentieren, dass auch diese Einschränkungen nicht auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, sondern lediglich in irrationaler Angst und konservativem Stigma Homosexueller gründen.

Ein Blick auf die Fakten zeigt: Es gibt eigentlich keinerlei wissenschaftliche Grundlage, die dafür spricht, jeden Mann, der in den letzten zwölf Monaten gleichgeschlechtlichen Sex hatte, pauschal von der Blutspende auszuschließen.

Das Verbot wurde ursprünglich eingeführt, um zu verhindern, dass jemand, der mit HIV infiziert ist, Blut spendet. Natürlich gilt es zu verhindern, dass infiziertes Blut in den Spenderpool gelangt—deshalb gibt es auch weitere Risikogruppen, denen das Spenden untersagt wird, wie zum Beispiel Personen, die sich intravenös Drogen verabreichen und somit ebenso ein erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion haben. Statistisch gesehen ist es tatsächlich korrekt, dass MSM verglichen mit heterosexuelle Menschen eine höhere Prävalenz für HIV aufweisen: Schätzungen des Centers for Disease Control zufolge sind 18 Prozent der MSM HIV-positiv, wohingegen die Verbreitung des Virus in der restlichen Gesamtbevölkerung weniger als ein Prozent beträgt.

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„Die überarbeiteten Richtlinien sind immer noch diskriminierend."

Doch selbstverständlich sind MSM nicht die einzigen, die mit HIV infiziert sein können, und daher wird jede Blutspende auf Infektionskrankheiten untersucht, HIV eingeschlossen. Seit dem Aufkommen von HIV liegt die Wahrscheinlichkeit einer Virusinfektion über gespendetes Blut dank erhöhter Vorsorgemaßnahmen anno 2016 nur noch bei eins zu zwei Millionen. Was genau bringt also die Regel, erst nach einem Zeitraum von einem Jahr Spenden zuzulassen—dauert es wirklich so lange, bis HIV im Blut nachgewiesen werden kann?

„Wissenschaftler und Blutbanken verbessern die Tests stetig und können inzwischen Infektionen nachweisen, die erst vor einigen Tagen erfolgt sind", erklärte Dr. Paul Volberding, Direktor des AIDS Research Institute an der University of California Motherboard am Telefon. „Eine zwölfmonatige Sperre ist also nicht gerechtfertigt."

Volberding sagte außerdem, dass das Zeitfenster zwischen dem Zeitpunkt der Infektion und dem erbringbaren Nachweis der Viren durch einen Test ziemlich kurz sei. Seiner Meinung nach könne die Zeit, die ein Mann keinen Sex mit einem anderen Mann gehabt haben sollte, bevor er Blut spendet, von einem Jahr auf eine Woche verkürzt werden. Das würde der Sicherheit der gespendeten Blutkonserve keinen Abbruch tun (Volberding betonte jedoch, dass es vor neuen Regelungen und der Verkürzung der Wartezeit eine Debatte unter Wissenschaftlern geben sollte).

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In den vergangenen Jahren sind die Schnelltests um einiges genauer geworden. Das bedeutet, dass sie nun sogar sehr niedrige Antikörperspiegel erkennen, was wiederum eine schnellere Diagnose ermöglicht. Und die Rate von falsch-negativen Tests ist deutlich gesunken. Selbst die konservativsten Schätzungen hinsichtlich der Dauer zwischen Infektion und positivem Test liegen bei deutlich weniger als einem Jahr: 98 Prozent der infizierten Menschen haben schon innerhalb von drei Monaten nach der Exposition genügend Antikörper in ihrem Blut, um positiv auf HIV getestet zu werden, so die San Francisco AIDS Foundation.

Volberding wies auch darauf hin, dass die Mehrheit der HIV-positiven Amerikaner sich über ihren Gesundheitszustand bewusst sind, und schon allein aufgrund ihres Wissens von einer Blutspende absehen würden. Das CDC schätzt, dass 88 Prozent der HIV-positiven Amerikaner ihren Status kennen. Volberding betont, dass diese Rate in manchen Gegenden—wie zum Beispiel in San Francisco—sogar bei 95 Prozent liegt.

„Man könnte die Einschränkung also folgendermaßen formulieren: ‚Spenden Sie kein Blut, wenn Sie wissen, dass Sie infiziert sind'. Schon so würde das Risiko bedeutend gesenkt werden. Wenn man zusätzlich noch die neuesten Verfahren zur Blutkontrolle nutzt, kann man so die Infizierten ausfindig machen, die selbst noch nicht von ihrer Krankheit wissen", sagte Volberding.

Als in den USA die Novelle der Blutspenden-Regelung verkündet und die Einführung der Ein-Jahres-Sperre ankündigt wurde, hatte die FDA betont, dass die Entscheidung aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse getroffen worden sei. Allerdings führten die zuständigen Beamten nicht genauer aus, warum man ausgerechnet einen Zeitraum von 12 Monaten festgelegt hatte. Die einzige Begründung war, dass es auch in anderen Ländern die Ein-Jahres-Regel für MSM, die Blut spenden wollen, gebe.

„Die überarbeiteten Richtlinien sind immer noch diskriminierend", erklärte allerdings die Initiative Gay Blood Drive damals in einer Stellungnahme. Noch am Sonntag hatte die Gruppe in einem Tweet die Menschen dazu ermutigt, Blut zu spenden, merkte aber an: „Wir sind in einer Situation, in der die direkt von der Tragödie betroffenen Opfer, die die lebenswichtigen Blutspenden brauchen, genau diejenigen sind, die selbst nicht Blutspenden dürfen."

Die Gay Blood Drive tritt also statt einer wochen- oder gar monatelangen Sperre für eine Politik der individuellen Risikobewertung ein. Dabei kann schon anhand des langen Fragebogens, der bei jeder Blutspende vom potenziellen Spender ausgefüllt werden muss, das HIV-Risiko stark eingegrenzt werden. Italien hat im Jahr 2001 genau jene von Gay Blood Drive geforderten Regeln eingeführt. Seitdem dürfen dort MSM wie alle anderen Menschen Blut spenden, wann sie wollen—ihr HIV-Risiko wird durch das Ausfüllen eines Fragebogens eingeschätzt. Mindestens in einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass die Veränderung der Vorschriften nicht zu einem erhöhten Aufkommen von mit HIV infizierten Blutspenden geführt hat.

Die gute Nachricht ist, dass es in Orlando nicht an willigen Blutspendern mangelt—örtliche Blutbanken sind nach anfänglicher Knappheit nun überfüllt und müssen Spender sogar wieder nach Hause schicken und bitten, zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu kommen. Für viele Menschen aus der LGBT-Community ist das Spendeverbot jedoch gerade jetzt in Zeiten der Trauer über den schrecklichen Angriff auf den Pulse-Nachtclub wie Salz in der Wunde.