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Priorities

Wieso gehen junge Menschen 2017 noch immer den Jakobsweg?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist zirka so leicht zu beantworten, wie zu versuchen, Nebel anzufassen.

Foto: VICE Media

Dieser Artikel ist im Zuge der Kampagne #SIMDESLEBENS entstanden.

Das Klischee klebt an uns wie Agavensirup am Ärmel: Wir lassen uns ständig nur berieseln, sind konstant online, checken die Likes unter unseren Posts, verwerten unseren Alltag in Instagram-Storys, teilen unsere Aufmerksamkeit öfter mit Bildschirmen als unserem Gegenüber. Und doch sind wir eine Generation, die keine Angst hat, unbequeme Fragen zu stellen – weder an unsere Mitmenschen noch uns selbst.

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Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt: Die Frage nach dem Sinn von all dem, dem Sinn des Lebens – die etwa so leicht zu beantworten ist, wie zu versuchen, Nebel anzufassen. So kommt es, dass sich noch immer viele junge Menschen dafür entscheiden, den Jakobsweg zu gehen. Egal, ob in völliger Einsamkeit oder mit anderen: Die Motivation, diesen Weg zu gehen, ist fast immer spiritueller Natur, wobei die eigentlichen Gründe trotzdem immer individuell sind.

Wir haben ein paar von ihnen gefragt, warum sie aufgebrochen sind und ob sie auf dem Weg die Antwort auf die Frage aller Fragen gefunden haben.

ERIC, 28

VICE: Hast du dich zeitweise am Jakobsweg gelangweilt und wie bist du mit dieser Langeweile umgegangen?
Eric: An den ersten beiden Tagen habe ich mitunter sowas wie Langeweile empfunden. Aber es war eher ein "Nicht-Zurechtkommen" damit, nichts zu tun zu haben, außer zu laufen. Ab dem dritten Tag fiel bei mir der Groschen, was für eine unfassbare Erleichterung das eigentlich ist. Niemand, wirklich niemand, will oder erwartet etwas von dir. Dein ganzes Handeln bezieht sich auf dich und deine Grundbedürfnisse: Laufen, essen, laufen, duschen, Wäsche waschen, essen, schlafen – that's it. Mehr muss nicht sein.

An den ersten beiden Tagen habe ich mitunter sowas wie Langeweile empfunden. Aber es war eher ein "Nicht-Zurechtkommen" damit, nichts zu tun zu haben, außer zu laufen.

Was war der ursprüngliche Gedanke, eine Reise wie den Jakobsweg anzutreten?
Ich musste zum ersten Mal seit vielen Jahren völlig alleine einen Urlaub machen und wollte auch nicht darauf verzichten. Beim Brainstormen kam ich darauf, weil mein Vater das schon seit Jahren vorhatte. Und natürlich habe ich gehofft, mich etwas zu resetten und vielleicht ein, zwei Dinge mit mir selbst zu klären.

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Wie sehr hat sich deine Erwartung von deinen tatsächlichen Erfahrungen unterschieden?
Es war genau die richtige Entscheidung, das alleine zu tun. Dass es mal nur um mich gehen konnte, war eine Wohltat. Und ein paar Fragen konnte ich mir tatsächlich auch beantworten. Mitunter auch zu Dingen, von denen ich vor der Reise noch nicht wusste, dass ich darauf Antworten brauchte. Aber natürlich habe ich auch viele Dinge wieder mit nach Hause genommen.

Was war die schlechteste Erfahrung, die du am Jakobsweg gemacht hast?
Die einzig wirklich schlechte Erfahrung war, in einer mittelgroßen Stadt einfach keinen Schlafplatz zu bekommen. Ich habe mehrere Stunden lang gesucht, bin unzählige Male abgewiesen worden und hatte mich schon fast mit dem Gedanken abgefunden, mich neben einen Straßenmusiker zu legen. Und kurz vor der Abenddämmerung habe ich am hintersten Ende der Stadt noch etwas bekommen. Bis dahin hatte ich über Stunden einen ziemlich ungesunden Puls.

Was waren deine ersten Gedanken oder Gefühle, als du in Santiago de Compostela angekommen bist?
Endlich am Ziel sein. Das war super. Wann legt man schon mal sein gesamtes Handeln für zehn Tage darauf aus, nur an einem Ort anzukommen? Ein großartiges Gefühl. Und obwohl ich weder katholisch bin, noch Spanisch spreche, war der Pilgergottesdienst sowas wie eine Welcome-Party. In einer riesigen Kathedrale, voll besetzt mit hunderten von Leuten, wird eine Veranstaltung gehalten, die dir gilt. Die honoriert, was du gerade auf dich genommen hast. Dieses Gefühl der Erleichterung hat mir seit langem zum ersten Mal wieder Tränen in die Augen gedrückt.

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Es wird vorkommen, über Stunden völlig alleine zu sein – dabei sollte man sich wohlfühlen können.

Würdest du diese Reise anderen empfehlen?
Jedem. Wirklich jedem, der ein Reset für sein Hirn gebrauchen und mit sich allein sein kann. Das ist wirklich notwendig. Es wird vorkommen, über Stunden völlig alleine zu sein – dabei sollte man sich wohlfühlen können.

Hast du eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden?
Den hab ich nicht gefunden. Und ich bezweifle sehr, dass man ihn dort finden kann. Aber man bekommt einen neuen Blick darauf, was eigentlich wichtig ist im Leben, was man wirklich braucht und was nicht und was einen im normalen Leben so alles vergiftet. Die Kunst liegt darin, das auch mit nach Hause zu nehmen und sich immer wieder daran zu erinnern.

Einen Club eröffnen, so wie Mike, oder die ganze Welt bereisen, so wie Nicky? Gemeinsam mit T-Mobile Austria haben wir uns in unserer Serie Priorities auf die Suche nach dem Sinn des Lebens gemacht.

MARION, 28

VICE: Was war der ursprüngliche Gedanke, eine Reise wie den Jakobsweg anzutreten?
Marion: Als ich jünger war, habe ich schon öfter vom Jakobsweg gehört. Ich weiß nicht mehr, aber irgendwann war ich mir sicher, dass ich ihn eines Tages gehen würde.

Wie sehr hat sich deine Erwartung von deinen tatsächlichen Erfahrungen unterschieden?
Ich benutze Karten und bin immer etwas überrascht, wie befreiend das manchmal ist.

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Was war die beste Erfahrung, die du mitgenommen hast?
Es war eigentlich konstant super. Aber wenn ich mich für eine Erfahrung entscheiden müsste, dann wäre es, Liebe erfahren zu haben. Also, so richtig.

Meine nächste Pilgerreise werde ich auf einem Pferd machen.

Was waren deine ersten Gedanken oder Gefühle, als du in Santiago de Compostela angekommen bist?
Freude, Dankbarkeit, Friede, Liebe.

Was würdest du anders machen, würdest du den Weg noch einmal gehen?
Nichts. Aber meine nächste Pilgerreise werde ich auf einem Pferd machen, was wohl doch ziemlich anders ist, oder?

Hast du eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden?
Ja, ich denke schon. Aber ich suche trotzdem noch weiter danach.

JOHANNES, 23

VICE: Worauf konntest du beim Pilgern nicht verzichten?
Johannes: Ich hatte mein Smartphone dabei, was für mich meine kleine portable Musikquelle war, ohne die ich härtere Etappen auch nicht durchgehalten hätte. Wenn man immer den ganzen Tag läuft und irgendwann einfach Schmerzen hat, dann hilft einem Musik dabei, den Fokus vom Schmerz abzulenken. Ich habe mein Smartphone aber nur zum Musik hören genutzt. Ansonsten habe ich es genossen, offline zu sein.

Ich glaube, ich habe auch noch nie so regelmäßig Alkohol getrunken. Pilger trinken viel, vor allem Wein.

Hast du dich zeitweise auch gelangweilt und wie bist du mit dieser Langeweile umgegangen?
Langweilig wurde es eigentlich nie. Obwohl ich da noch mal differenzieren muss. Der Camino del Norte ist einsamer, da kann es auch mal passieren, dass man den ganzen Tag keinen anderen Pilger sieht. Auf dem populären Camino Francés fühlt es sich eher an wie ein fahrendes Dorf. Da ist man andauernd unter Leuten. Was Vorteile und Nachteile hat, wie alles im Leben. Es kommt nur darauf an, was man sucht. Abends in den Pilgerherbergen trifft man sich dann andere Pilger und man isst gemeinsam, das verbindet. Ich glaube, ich habe auch noch nie so regelmäßig Alkohol getrunken. Pilger trinken viel, vor allem Wein.

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Wie sehr hat sich deine Erwartung von deinen tatsächlichen Erfahrungen unterschieden?
Ich hatte eigentlich wenige Erwartungen. Ich habe auch nicht das Buch Ich bin dann mal weg von Harpe Kerkeling vor meinen zwei Jakobswegen gelesen, wozu ich mich auch bewusst entschieden hatte. Der Jakobsweg ist wunderschön und beide Reisen waren meine liebsten Urlaube. Es war jeweils ein Urlaub für den Geist, der Körper musste ordentlich arbeiten.

Was war die beste Erfahrung, die du mitgenommen hast?
Die Einfachheit des Lebens zu erfahren. Der Tagesablauf ist ganz einfach. Man steht auf und setzt dann den restlichen Tag einen Schritt vor den anderen. Und abends genießt man dann einfache spanische Küche oder man kocht selber und dann geht man wieder schlafen. Und trotzdem ist das irgendwie erfüllend.

Nach meinem ersten Jakobsweg habe ich mein erstes Studium abgebrochen, das mich unglücklich gemacht hat. Das war eine direkte Auswirkung des Weges.

Was waren deine ersten Gedanken oder Gefühle, als du in Santiago de Compostela angekommen bist?
Ich war erleichtert. Ich habe aber ein paar Tage gebraucht, um das zu realisieren. Die Stimmung unter den Pilgern ist ausgelassen, abends in Santiago steppt der Bär.

Hast du eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden und wenn nicht, suchst du noch danach?
Nach meinem ersten Jakobsweg habe ich mein erstes Studium abgebrochen, das mich unglücklich gemacht hat. Das war eine direkte Auswirkung des Weges. Der Weg endet ja nicht in Santiago, sondern wie der Priester in der Predigt gesagt hat: Der Weg beginnt in Santiago. Man macht die Erfahrungen des Weges und dann begreift man, dass es erst der Anfang der Suche war und nicht das Ende der Suche.

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LAURIN, 28

VICE: Wie lange warst du insgesamt unterwegs und wie oft hast du dein Smartphone währenddessen genutzt?
Laurin: Insgesamt war ich 30 Tage unterwegs, von denen wir zwei nichts gemacht haben. Also die reine Laufzeit waren 28 Tage. Smartphone und WLAN war zu der Zeit eher noch spärlich vorhanden, darum war damit nicht viel anzufangen. Höchstens mal auf dem Klo ein Spiel gespielt.

Die Idee, den Jakobsweg zu gehen, hatten wir bei einem Schnaps.

Was war der ursprüngliche Gedanke, eine Reise wie den Jakobsweg anzutreten?
Ich wollte meinen Bruder besuchen, der damals in A Coruña gelebt hat. Und was unternehmen mit meinem Kollegen David. Die Idee dafür hatten wir bei einem Schnaps. War infolge dessen eine Schnapsidee.

Was war die beste Erfahrung, die du mitgenommen hast?
Das Treffen vieler neuer Menschen mit ihren Problemen. Wir haben dort auch den Gewinner von Big Brother getroffen. Der war ganz anders als erwartet.

Was waren deine ersten Gedanken oder Gefühle, als du in Santiago de Compostela angekommen bist?
Kirche ist nicht so mein Ding. Ich war eher auf der Suche nach der Straße mit den Bars von Paris nach Dakar. Die gibt's!

Was würdest du anders machen, würdest du den Weg noch einmal gehen?
Etwas weniger Wein würde ich trinken und den Berg langsamer hoch.