FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Kaviargewinnung durch Stör-Massage

Bei einem neuen Verfahren der Gewinnung von Fischeiern muss der Stör nicht mehr getötet werden und die so gewonnen Delikatessen müssen nicht einmal mehr konserviert werden.
​Lecker! Kaviar auf Wachteleiern. Foto: Wikipedia

So köstlich und elegant Kaviar auch sein mag, das genüssliche Futtern des selbigen hat—wie so manche Delikatesse—etwas extrem unethisches. Um einfach nur an die kleinen Fischeier zu kommen, werden die Störe geschlachtet. Mittlerweile nutzen einige Händler und Verarbeiter manchmal auch noch das Fleisch und die Haut der primitiven Knochenfische, aber das ist nicht die Regel.

Kaviar ist eine der teuersten Delikatessen der Welt und kostet im Kilo schon einmal 3000 Euro. Für den berühmten goldgelben Zarenkaviar musst du sogar 30.000 Euro auf den Tisch legen. Die Meeresbiologin Angela Köhler möchte das ethische Dilemma des Luxusgutes lösen und hat zusammen mit der Firma Vivace in einer vor wenigen Wochen eröffneten Fabrik in Bremerhaven mit der Gewinnung von Kaviar begonnen für den kein Stör mehr sterben muss.

Anzeige

Doch zunächst zu den weniger appetitlichen allgemeinen Details der Delikatesse: Bei dem herkömmlichen Verfahren zur Kaviargewinnung wird das Tier betäubt, ausgeblutet und die Gonade aus dem Bauch entnommen. Der Rogen wird durch ein Sieb gerieben, um ihn von Blut und Follikelzellen zu befreien. Dafür eigenen sich nur die unbefruchteten Eier, da diese eine besondere Festigkeit besitzen.

Es gibt jedoch durchaus auch Eier, die vom lebenden Tier entnommen werden können. Diese haben schon einen höheren Reifegrad erreicht und fallen sauber aus dem Ovar in die Bauchhöhle. Es sind reifere Eier, die aus dem Fisch extrahiert bzw. in einer Art „Massage" abgestreift werden—und genau dieses von Köhler und dem Alfred Wegener Institut (AWI) patentierte Verfahren wird nun seit einigen Wochen in Bremerhaven eingesetzt.

Ein Problem bei der bisherigen Kaviargewinnung besteht darin, dass die reifen Eier in Verbindung mit Wasser gelig und weich werden, in Kombination mit Salz platzen und verklumpen sie. Um an die unreifen Eier zu kommen, die zu Kaviar verarbeitet werden können, müssen die Störe deshalb weit vor ihrem natürlichen Lebensende getötet werden: Meist nach rund fünf bis 16 Jahren—denn so lange dauert es bis der Fisch zum ersten Mal Eier gibt—während die Tiere eigentlich bis zu 120 Jahre alt werden können.

Die Wildbestände des Fisches im Kaspischen Meer sind aus diesem Grund schon so gut wie ausgerottet, so dass die Störe in Aquakulturen vorgezüchtet und daraufhin ausgesetzt werden. Da jedoch noch immer Unklarheiten über die Ernährung der Fische herrschen, werden sie schnell zu fett und geben später weniger Eier.

Anzeige

Prof. Angela Köhler vom Alfreg Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung untersucht eigentlich die Auswirkungen von Schadstoffen und Mikroplastik im Meer auf die dort lebenden Pflanzen und Tiere. Ein ökologisches Problem, dass kürzlich auch bei der Suche nach dem verschwundenen Flugzeug MH 370 wieder zum Thema wurde.

„Bei dem Kongress der World Sturgeon Cociety im iranischen Ramsar wurden wir in eine Kaviarproduktion eingeladen und sahen zu wie ein großes Störweibchen aus Wildfang vor unseren Augen getötet wurde", berichtete mir Angela Köhler per E-Mail von ihrer Erfahrung der ganzen Sinnlosigkeit der gegenwärtigen Kaviarwirtschaft:

„Die iranischen Kaviarmeister entdeckten beim Öffnen des Bauches, dass die acht Kilogramm Rogen für die Kaviarproduktion zu reif waren. Die wertvollen Eier und der Stör wurden vernichtet."

Diese Erfahrung schockierte die Wissenschaftlerin, und so begann sie in ihrem eigenen Labor nach einer Methode zu forschen, hochwertigen Kaviar aus reifen, abgestreiften Eiern herzustellen—ohne dabei die Fische töten zu müssen.

Angela Köhler hat sich die Reifevorgänge der Störeier genau angesehen und in fünf Jahren Forschung die richtigen natürlichen Signalmoleküle für die Behandlung der Eier gefunden. Durch den Kontakt der frisch gestreiften Rogen mit diesen Molekülen in der richtigen biologischen Konzentration, stabilisieren sich die empfindlichen Eier selbstständig. In der Natur bewirken genau diese Moleküle, dass die Außenhaut des Eies so geschützt wird, dass sich ein gesundes Lebewesen entwickeln kann.

Anzeige

Das AWI hat sich die internationalen Rechte für diese schonende Kaviarproduktion mit dem Namen Vivace-Verfahren gesichert und ist weltweit das einzige Unternehmen, das die neu entwickelte Methode anwendet. Die ersten hunderte Kilo Kaviar wurden in einer Testproduktion in der Nähe von Leipzig hergestellt, und Anfang März hat eine neue Anlage in Bremerhaven eröffnet, die den Kaviar vom lebenden Stör für den deutschen Markt zugänglich machen.

Das Verfahren bietet verschiedene Vorteile, von denen Vivace hofft, dass sie sich bis in die Luxusproduzenten dieser Welt herumsprechen:

  • Der Stör bleibt am Leben.
  • Die Qualität und die Größe des Kaviars steigen mit jeder Ernte.
  • Die Eier sind gleichmäßig groß.
  • Die gestreiften Eier haben eine vollkommen reine Oberfläche.
  • Textur und Körnigkeit des Kaviars können den Wünschen der Kunden angepasst werden.
  • Das Vivace Verfahren bringt absolut sauberes Kaviar-Korn hervor und garantiert damit eine lange Haltbarkeit ohne Zusatz von Konservierungsstoffen.

Die unreifen Eier, die aus dem getöteten Fisch entnommen werden, sind durch die Blutgefäße und Follikelzellen ein Paradies für Bakterien und erfordern den Einsatz starker Konservierungsstoffe. Die Verwendung des gesundheitsschädigenden Stoffes Borax in der Kaviarproduktion wurde gerade erst wieder in einem Bericht des Focus kritisiert. Auch Erhitzung und Farbzusätze tragen nicht unbedingt zu einer Verbesserung des wertvollen Produktes bei.

„Die Störaquakultur und Kaviarproduktion ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu machen wird den Druck auf die Wildpopulationen auf jeden Fall verringern.", erklärt Angela Köhler. „Da das Verfahren erst in den vergangenen fünf Jahren entwickelt wurde und in diesem Jahr in die Produktion geht, wird man künftig sehen, welchen Marktanteil nachhaltig produzierter Kaviar haben wird."

Vivace Correct Caviar bewegt sich preislich im gleichen Segment, wie hochwertiger herkömmlicher Kaviar, jedoch überzeugt inzwischen die Qualität schon einige Spitzenköche und Gastronomen—vor allem in Deutschland und Nordamerika.

Eine Spezialität, die dem Tier per Massage entnommen wird, schmeckt auch sicherlich um einiges besser als Kavier, für den der Stör betäubt, ausgeblutet und dann seiner Eier beraubt wird.