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Gegen dieses neue Universal-Antibiotikum sind selbst mutierte Keime chancenlos

Ein aufstrebender neuer Star unter den eher dünn gesäten Antibiotika-Kandidaten tötet zumindest bei Mäusen multiresistente Krankenhauskeime und Tuberkulose.
​Der multiresistente Erreger MRSA. Alle Bilder: ​NIAID Flickr  ​CC BY-SA 2.0

Glaubt man Statements von Ärzten, Forschern und der WHO, ist das Feld der Antibiotikaforschung „vor allem ​von Untergang und Trübsinn geprägt". Denn es gibt kaum neue, wirksame Mittel: Viele gefährliche Keime haben sich gegen Antibiotika Resistenzen gebildet—nicht nur, weil sie uns in der Humanmendizin so wahllos nachgeschmissen werden, sondern auch durch ihren großzügigen Einsatz in der Massentierhaltung.

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Doch es gibt wieder Hoffnung im Jammertal der Endlos-Mutationen: Ein internationales Team aus Wissenschaftlern hat ein neues Antibiotikum entdeckt. Es heißt Teixobactin und kommt bislang auch mit Resistenzen klar. Es könnte ein Schleichweg sein, um potentiell hochgefährlichen Superkeimen (den multiresistenen Erregern, kurz MRE) endlich einen Schritt voraus zu sein. Die Ergebnisse wurden gestern in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Bilder des multiresistenten Krankenhauskeims MSRA. Alle folgenden Bilder: ​NIAID

Diesen Schatz haben die Forscher in der Erde gefunden—auf der routinemäßigen Suche nach interessanten Bakterien. Zur Analyse von rund 10000 Bakterienstämmen nutzen die Wissenschaftler ein Laborgerät namens iChip, eine Art Bakterienbrutkasten. Damit können die Mikroben im Boden im Gerät weiter in ihrem natürlichen Umfeld gedeihen. Unter Laborbedingungen starben viele der Stämme bislang einfach ab.

„Hier hat die Natur offenbar eine Komponente produziert, die sich ohne Resistenzen entwickelt hat. Das stellt das Dogma in Frage, dass Bakterien immer irgendwann Resistenzen produzieren. Tja, in diesem Fall offenbar nicht.", freut sich Kim Lewis von der Northeastern University in Boston in einer Pressemitteilung seiner Uni.

Der Unterschied in der Behandlung mit Teixobactin liegt im Angriffspunkt: Die meisten herkömmlichen Antibiotika attackieren das Eiweiß eines Bakteriums, aber genau das kann leicht mutieren. Teixobactin greift aber die starre Hülle von Bakterien an und zerfrisst diese. Ohne diesen schützenden Mantel kann das Bakterium nicht überleben und zerplatzt.

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AUCH DIE CHARITÉ GEHT MIT HOCHGEFÄHRLICHEN KEIMEN VIEL ZU LAX UM.

Denn besonders für alte und geschwächte Menschen können Infektionen durch bestimmte resistente Bakterien lebensbedrohlich werden. Antibiotika schienen lange das Mittel der Wahl zu sein, um Infektionen zu bekämpfen. Doch die Mittel werden unwirksam: Mindestens 15.000 Menschen sterben jährlich an Krankenhauskeimen, und das ist nur die offizielle Zahl.

Tatsächlich könnte die Dunkelziffer viel höher liegen, denn auch renommierte Krankenhäuser wie die Charité gehen mit den infizierten Patienten viel zu lax um: Statt sie wie eigentlich vorgeschrieben auf der Station zu isolieren, wandern MRE-Patienten beispielsweise nachts in Küche und Flur herum und benutzen die gemeinschaftliche Behindertentoilette, wie verdeckte Recherchen von ZEIT, der Funke-Mediengruppe und CORRECT!V ergaben.

Bild: ​NIAID

Einer der bekanntesten multiresistenten Erreger ist der hier abgebildete MSRA. Obwohl es die Bakterienstämme schon länger gab, sind sie mittlerweile durch ihre Resistenzen schwerer zu behandeln. Die Sterblichkeit bei MSRA liegt bei 15.000 Neuinfektionen pro Jahr bei 33 Prozent. Anders ausgedrückt: Jeder Dritte, der sich mit dem Krankenhauskeim infiziert, stirbt daran. Und auch die resistenten Variante von E.coli und anderen Keimen, die in Kliniken gefunden werden, nehmen weiter zu.

Bakterienstämme werden resistent, weil der eiweißbasierte Bauplan der Bakterien (die DNS) auf natürliche Art und Weise mutiert. Setzt man nun ein Antibiotikum ein, überleben die resistenten Bakterien und können sich weiter vermehren. Wenn es richtig blöd läuft, geben die Bakterien sogar ihre DNS an andere Bakterien weiter, die dann ebenfalls resistent werden.

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Bild: ​NIAID

In der Humanmedizin verschreiben Ärzte gleichzeitig immer häufiger sogenannte Breitband-Antibiotika (z.B. Doxycyclin, das man praktisch überall in Asien kaufen kann). Bei gleicher Menge sind diese Mittel um ein Vielfaches wirksamer, während gleichzeitig viel zu viele Antibiotika verschieben werden. In einer Befragung der ZEIT hielten 88 Prozent der Klinikärzte und über zwei Drittel der niedergelassenen Ärzte das Problem der Antibiotika-Resistenzen für eine relevante Herausforderung.

Insbesondere Mastanlagen gelten als Brutstätten für resistente Keime—dort werden massenweise Antibiotika verfüttert. Durch mangelnde Hygiene bei der Verarbeitung können die MRSA-Erreger von der Tierhaut auf das Fleisch gelangen. Auch Menschen, die beruflich Kontakt zu Tieren haben sind mit den Erregern besiedelt—manchmal gelangt der Erreger auch nur durch Dünger mit resistenten Keimen auf das Obst und Gemüse.

Teixobactin könnte nicht nur zur Behandlung von multiresisten Keimen verwendet werden, sondern auch gegen Tuberkulose zum Einsatz kommen. Dafür brauchte man bisher mehrere verschiedene Mittel, die eine ganze Reihe von Nebenwirkungen auslösen können. Teixobactin vernichtete in klinischen Versuchen aber nun erfolgreich und ganz auf eigene Faust alle Tuberkulose-Bakterien bei Mäusen.

Dabei arbeitete das Team aus Boston um Losee Ling von der Pharmafirma NovoBiotic mit der Universität Bonn und der Firma Selcia Limited aus Cambridge in Großbritannien zusammen. Klinische Tests am Menschen sollen in ungefähr zwei Jahren starten, so Kim Lewis, der Teixobactin patentieren ließ.

Vielleicht ist also das Erdreich eine bislang übersehene Lagerstätte für eine ganz neue Klasse von Antibiotika, die man nach und nach auf ihre Wirksamkeit hin scannen kann.

Teicobaxtin gibt definitiv Anlass zur Hoffnung und verhält sich bislang vielversprechend—ein Grund zum Jubeln oder ein Allheilmittel für die Antibiotikakriese ist die Entdeckung aber keineswegs. Denn nicht nur ist Teixobactin wirkungslos gegen Stämme wie beispielsweise E.coli, es ist auch noch nicht klar, ob man auf der Grundlage der Neuentdeckung Medikamente entwickeln kann.